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Freundschaft, Hass und Paranoia

John Lurie ist eine lebende Legende. Er spielte in den Jim-Jarmusch-Klassikern „Stranger than Paradise“ und „Down by Law“ mit, schrieb die Musik für diese und einige weitere Kultfilme, war eines der Enfants terribles der New Yorker Underground-Szene in den 80ern, zog sich Mitte der 90er wegen einer mysteriösen Krankheit zurück und arbeitete fortan als Maler und zwischendurch auch als TV-Moderator.

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Selbst, wer mit dem Namen Luries nichts anfangen kann, erkennt sein markantes Gesicht. Buschige Augenbrauen, hohe Backenknochen, mager wie Nick Cave and the Bad Seeds im Film „Himmel über Berlin“, immer in zerknitterten, billigen Discounteranzügen. Oft sah man ihn gemeinsam mit Tom Waits. Einer größeren Öffentlichkeit wurde Lurie durch die zahlreichen TV-Auftritte mit seiner Jazzband „Lounge Lizards“ bekannt. Viele Legenden ranken sich um ihn, seine Affären und seine Kunst. Nun hat der 57-Jährige selbst eine hinzugefügt.

Abgetaucht im Niemandsland

Seit gut eineinhalb Jahren gilt Lurie als verschwunden. Nicht im kriminaltechnischen Sinne. Er tauchte einfach ab, und nur seine allerengsten Freunde wissen, wo er sich aufhält. Bei seiner letzten Geburtstagsparty waren gerade einmal fünf Menschen anwesend - verglichen mit 55 im Jahr davor. Einer fehlte mit Sicherheit: John Perry, ein aufstrebender New Yorker Maler, vormals der beste Freund Luries und der Grund, warum sich dieser in einem abgeschiedenen Haus auf dem Land versteckt. Der „New Yorker“ hat recherchiert und eine verstörende, traurige Geschichte über Freundschaft, Hass und Paranoia zusammengetragen.

Die Affäre scheint folgendermaßen abgelaufen zu sein, wie das Magazin in Gesprächen mit Freunden, mit Lurie und Perry selbst und nach der Lektüre des E-Mail-Verkehrs zwischen den beiden berichtet. Lurie arbeitete an einem Filmprojekt, bei dem Perry mitmachen hätte sollen. Perry scheint der Job extrem wichtig gewesen zu sein. Seine Bilder wurden gelobt und waren in New York immer wieder in Ausstellungen zu sehen. Der große Durchbruch fehlte aber noch. Ein kleiner Kick durch eine Zusammenarbeit mit Lurie hätte vielleicht geholfen.

Perrys geplatzter Traum

Aber Lurie, seit 15 Jahren an einer seltsamen Krankheit leidend, von der offenbar keiner recht weiß, ob es sich dabei um eine Borreliose mit zahlreichen Auswirkungen oder um psychosomatische Leiden mit einem Schuss Hypochondrie handelt, hatte auf dem Set nach ein paar Stunden einen seiner Zusammenbrüche, verschwand, blies das Projekt ab und tauchte nicht mehr auf. Schon wenige Stunden später soll Perry - wenn man Lurie Glauben schenken darf - begonnen haben, seinen berühmten Freund mit unaufhörlichen Anrufen zu „stalken“ und schließlich sogar mit Mord zu bedrohen.

Perry bestreitet auch gar nicht, sauer gewesen zu sein. Er hatte sich von dem Job nicht nur einen Karriereschub erwartet, sondern auch einiges an Energie und 6.000 Dollar investiert. Perry zeigte Lurie an, weil er sich betrogen fühlte. Lurie zeigte Perry an, weil er sich bedroht fühlte. In gegenseitigen E-Mails befetzten die beiden einander auf unschöne Weise - wiewohl zumindest schriftlich keine Gewaltandrohungen festgehalten wurden.

Waffen immer in Griffweite

Lurie jedenfalls traute sich nicht mehr nach Hause aus Angst, von Perry auf der Treppe abgepasst und gemeuchelt zu werden. Er ging zuerst ins Hotel und floh dann zu seinem Freund Flea, dem Bassisten der Red Hot Chili Peppers, nach Big Sur. Später zog er sich nach Palm Springs zurück, wo er nun inkognito lebt. Unter seinem Bett liegt stets eine Machete, erzählte er dem „New Yorker“, und auch ein Pfefferspray.

Freunde berichten, dass Lurie nach wie vor nur ein Thema kennt: John Perry. Was genau zwischen den beiden abgelaufen ist, kann niemand sagen. Dass sie ein Verhältnis miteinander hatten, bestreiten sie jedenfalls vehement. Entsprechende Gerüchte waren aufgetaucht, weil die ganze Angelegenheit für Außenstehende wie ein Ehekrieg wirkte.

Verschwinden inszeniert?

Ob Lurie nun unter Paranoia leidet oder ob Perry ihm tatsächlich und glaubwürdig bedroht hat, bleibt offen. Insgeheim hoffen viele Fans, dass es sich bei der ganzen Sache um einen „Prank“ handelt, um eine Inszenierung, die alle in die Irre führen soll (Lurie war für solche Ulkereien in der Vergangenheit bekannt). Immerhin war es um ihn während der vergangenen Jahre recht ruhig geworden, und er schien als „80er-Jahre-Faktotum“ herumgereicht zu werden. Nun ist er wieder in aller Munde. Gerüchte gibt es zuhauf, etwa, dass er, um zu Geld zu kommen, unter falschem Namen Werbejingles schreibt und wieder Saxophon spielt. Beweise dafür gibt es nicht.

Ansonsten profitiert vor allem Perry. Seine Kunst taucht plötzlich in Magazinen auf, die sich sonst nie für ihn interessiert hätten. Und man liest bereits die ersten Vergleiche mit Jean-Michel Basquiat, auch so ein 80er-Jahre-Phantom. Lurie jedenfalls vermisst New York, wie er versichert: „Es gibt da eine Stelle auf dem Astor Place, in der Nähe der U-Bahn, zwischen dem Broadway und Lafayette - ein Saxophon klingt unglaublich dort, wenn es Abend wird.“

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