„Auf freiwilliger Basis“
Trotz breiter Kritik macht Frankreich Ernst mit seiner Ankündigung, Roma abzuschieben. In den vergangenen Wochen wurden bereits Dutzende Roma-Lager geräumt. Am Donnerstag soll die Abschiebung von zunächst 79 Betroffenen begonnen werden. Laut Regierung verlässt diese Gruppe Frankreich „auf freiwilliger Basis“.
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Jedem Ausreisenden werden 300 Euro und 100 Euro für jedes minderjährige Kind gezahlt. Bis Ende August sollen 700 Roma laut Innenminister Brice Hortefeux „in ihre Heimat“ nach Bulgarien und Rumänien ausgeflogen werden. Nach einer Ankündigung von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, in der er die Lager von Sinti und Roma als Quelle von Menschenhandel und Prostitution bezeichnete und alle illegalen Camps schließen wollte, wurden innerhalb von zwei Wochen über 51 Lager aufgelöst.
Strikte Sicherheitspolitik
Hintergrund der „Aktion scharf“ ist die Entscheidung der konservativen französischen Regierung insbesondere nach der empfindlichen Niederlage der Konservativen bei den Regionalwahlen im März, bei der inneren Sicherheit eine härtere Linie einzuschlagen. Diese hatte Sarkozy bereits 2007 in den Elysee-Palast gebracht.
Innerhalb von drei Monaten soll landesweit die Hälfte der rund 600 illegalen Lager geräumt werden. Bestimmten Straftätern aus Einwandererfamilien solle zudem die französische Staatsbürgerschaft entzogen werden.
Vergleich mit Nationalsozialismus
Rumänien und Bulgarien hatten daraufhin angekündigt, „gemeinsame Handlungen zur Rückführung“ der Roma zu unternehmen, die die öffentliche Ordnung in Frankreich gestört hätten. Allerdings wurde bald darauf Kritik laut. Rumäniens Außenminister Teodor Baconschi warnte Paris davor, Roma nicht „kollektiv“ und „aufgrund ethnischer Kriterien“ auszuweisen. Die bulgarische Oppositionszeitung „Sega“ warf Frankreich „die größte Massendeportation seit dem Zweiten Weltkrieg vor“. Sarkozy stieß mit seinem Vorgehen nicht nur in Rumänien und Bulgarien auf Kritik.
Der deutsch-französische grüne Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit warf Sarkozy „Ausgrenzungspopulismus“ vor. Auch im konservativen Lager von Staatschef Sarkozy wuchs die Kritik. Oppositionspolitiker werfen Sarkozy vor, von dem Skandal rund um die L’Oreal-Erbin Liliane Bettencourt ablenken zu wollen. Kritik kam aber auch aus den eigenen Reihen. „Diese Politik ist schockierend“, sagte etwa der konservative Abgeordnete Francois Goulard, gegenüber der Tageszeitung „Le Parisien“. Die Regierung halte die Franzosen damit „zum Narren“, denn die Sicherheitsprobleme des Landes hätten nichts „mit ein paar Roma-Lagern“ zu tun. Auf mehr Zustimmung stößt Sarkozy offenbar in der Bevölkerung. Einer Umfrage zufolge unterstützen 79 Prozent der Franzosen den harten Regierungskurs.
Heimflug und 300 Euro
Der französische Einwanderungsminister Eric Bresson sprang für Sarkozy in die Bresche und verteidigte die Abschiebungspolitik damit, dass die Regierung den in unerlaubten Lagern lebenden Roma Geld und einen Heimflug anbiete. Parallelen zum Nationalsozialismus, wo Sinti und Roma zur Deportation zusammengetrieben worden waren, wies Bresson entschieden zurück. Er betonte aber, dass die Roma als Mitglieder der Europäischen Union wieder nach Frankreich zurückkommen könnten: „So ist das Gesetz.“
„Fahrendes Volk“
Die Begriffe „fahrendes Volk“ und „Landfahrer“ sind französische Verwaltungsbegriffe von Anfang der 70er Jahre und umfassen fahrende Händler, Schausteller, reisende Saisonarbeiter und andere Roma in „mobilen Unterkünften“. Auf 400.000 wird ihre Anzahl geschätzt, 95 Prozent von ihnen haben die französische Staatsbürgerschaft. Gemeinden über 5.000 Einwohner sind per Gesetz verpflichtet, für die „Landfahrer“ eine ausreichende Stellfläche für ihre Wohnwägen und Zelte zur Verfügung zu stellen.
Bereits zuvor hatte die Menschenrechtsorganisation Helsinki Komitee Frankreichs Vorgehen kritisiert. Es sei „eine absurde Idee“, innerhalb der EU jemanden ausweisen zu wollen. Da es keine Grenzkontrollen gebe, könnten die Leute jederzeit wieder einreisen. Die EU-Kommission verlautbarte am Mittwoch, „sehr aufmerksam“ zu verfolgen, ob Frankreich bei der geplanten Ausweisung das geltende EU-Recht akzeptiere. Die Ausweisung von EU-Bürgern aus einem EU-Land ist gemäß einer Richtlinie aus dem Jahr 2004 nur bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Gesundheit möglich. Vorgeschrieben ist auch eine Prüfung des Einzelfalls, Massenausweisungen sind also verboten.
15.000 Roma in Frankreich
Als Roma werden in Frankreich offiziell nur diejenigen bezeichnet, die überwiegend aus Rumänien oder Bulgarien stammen. Die Landfahrer sind im Gegenzug dazu meist französische Staatsbürger. Auf 15.000 wird die Anzahl der Roma geschätzt. Die meisten von ihnen waren in den vergangenen Jahren eingewandert. Nach dem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien am 1. Jänner 2007 war eine Übergangsregelung in Kraft getreten, wonach deren Staatsangehörige ohne Formalitäten nach Frankreich einreisen und drei Monate lang bleiben können, ohne eine Arbeit nachweisen zu müssen.
Danach müssen sie arbeiten oder anderweitig ausreichende Einkünfte zur Verfügung haben. Sie können eine Stelle aus einer Liste von Berufen annehmen, in denen Arbeitskräfte gesucht werden. Bereits während der ersten drei Monate können Roma ausgewiesen werden, wenn sie die „öffentliche Ordnung stören“ oder die Sozialkassen „unzumutbar“ belasten.
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