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Offenes Visier statt Computer-Deckung

Gerade Singles, und unter ihnen viele Männer, stürzen sich via Internet zu oft in Liebesabenteuer - und landen dann nicht selten auf der Therapeuten-Couch, wie das ORF-Servicemagazin konkret berichtet hat.

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Die Suche nach Liebespartnern im Internet ist verlockend und aufregend. Doch man muss ihr gewachsen sein. Denn das schillernde Angebot von Hunderten möglichen Partnern im virtuellen All kann verwirren, belasten und manchmal sogar krank machen. Vor allem dann, wenn man selbst schon traumatische Verluste hinter sich hat und wenig stabil im eigenen Leben steht.

Pragmatisch und rational - so nähern sich viele Männer der Liebe im Internet. Sie verschicken Hunderte E-Mails mit gleichem Inhalt, treffende Dutzende Frauen und legen Computerdateien an, um sich einen Überblick über die Kandidatinnen zu verschaffen. Und landen dann völlig erschöpft beim Arzt oder bei der Therapeutin.

Die Liebe als Excel-Datei

„Bei Männern gibt es die Tendenz, dass sie wirklich ins Konsumieren gehen“, sagt die Liebeskummer-Therapeutin Birgit Maurer: „Da gibt es die Excel-Datei, ein Ranking mit Datum, einen Eineinhalb-Stunden-Takt - und dann gibt es eine Bewertung. Wo ich sage, das sind keine Bewerbungsgespräche, das sind potenzielle Kandidatinnen für eine Liebesbeziehung. Und die Liebe findet man woanders als in der Excel-Datei.“

Liebeskummertherapeutin Mag. Birgit Maurer

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Therapeutin Maurer: „Liebe findet man in keiner Excel-Datei.“

Birgit Maurer berät Männer und Frauen in Liebesangelegenheiten. Ihre Praxis geht gut, mehr als die Hälfte aller Klienten sind Männer. Männer leiden ebenso wie Frauen unter Liebeskummer, schämen sich allerdings oft, darüber zu sprechen.

„Die Krankenstände häufen sich, Medikamente werden genommen, am Abend trinkt man ein, zwei Bier mehr, es kommt zu Schlafschwierigkeiten, Essstörungen, es wird wenig gegessen, auch bei Männern kommt das vor. Es kommt zu Konzentrationsschwierigkeiten, die versuchen, Haltung zu bewahren, vor allem im Job, aber sie schaffen es immer weniger“, erzählt Maurer aus ihrer Praxiserfahrung.

Das überforderte Herz

Einige finden in Partnerbörsen das große Glück. Doch Partnerbörsen werfen auch neue Probleme auf: das der Beliebigkeit von Begegnungen und Beziehungen, das der akkumulierten Begegnungen und Enttäuschungen.

Eine Überforderung für unser Herz, warnt Georg Titscher, Psychokardiologe im Hanusch-Krankenhaus in Wien: „Unser Herz hat nur eine begrenzte Dosis an Emotionalität im Sinne von Liebe und Zuwendung“, erläutert Titscher. Diese Kapazität hänge aber sehr stark von den Erfahrungen ab, die jeder mache: „Wenn die Enttäuschungen häufig sind, dann wird man sich abkapseln, dann wird man schwer wieder Vertrauen fassen - und dann ist die Möglichkeit, eine neue offene Beziehung einzugehen, beschränkt.“

In der Herzstation des Hanusch-Krankenhauses berücksichtigt man die psychische Seite von Herzerkrankungen bei der Therapie. Hier lässt man Herzpatienten auch malen. Insbesondere Männer kümmern sich erst um ihre Gefühle, wenn es brennt. Und Partnerbörsen können brandgefährlich werden für das Herz. Zu schnell, zu oft gibt es heftige Begegnungen, heftige Abschiede:

Psychokardiologe Dr. Georg Titscher

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Kardiologe Titscher: „Man steigt sofort ein in eine Beziehung, ohne Vorarbeit, ohne Geplänkel. Die Vorarbeit ist aber wichtig für die Bildung einer Beziehung. Auch die Orte, wo man sich trifft, und die man normalerweise sehr sorgfältig auswählt. Wenn diese Vorarbeit fehlt, aber der Rucksack an Erwartungen da ist, dann kann das zu Enttäuschungen führen, zu einer Abflachung unserer Gefühle.“

„Liebeskummer und Trennungen machen Herzprobleme“, erinnert Experte Titscher: „Unser Herz reagiert auf Emotionen. Es gibt viele, die haben in ihrer Kindheit traumatische Trennungen erlebt. Diese können durch wiederholte Trennungen reaktiviert werden.“

Eine Trennung könne zur Ausbildung von Panikstörungen oder Depressionen führen. „Bei vielen Depressionen steht am Anfang ein schwerwiegender Verlust, der Tod, aber auch eine Trennung“, so Titscher, der daran erinnert, dass Depressionen auch physiologische Wirkungen haben, die wieder am Herz sichtbar würden.

„Es gibt erwiesenermaßen starke Verbindungen zwischen Depressionen, Verstimmungen und koronaren Herzkrankheiten und dem Herzinfarkt“, erläutert Titscher. Menschen, die an koronarer Herzkrankheit und einer Depression litten, gehörten unbedingt behandelt, da sie eine wesentlich schlechtere Prognose hätten, sagt Titscher.

Die größten Hürden auf der Suche nach einer stabilen Partnerschaft sind laut Experten alte Beziehungsmuster, die uns nachhängen, zu hohe Erwartungen an unsere Partner und zu wenig Geduld. „Liebe ist kein Computerprojekt, das man in einer Woche, 14 Tagen verpacken kann“, sagt Therapeutin Maurer.

„Singles fürchten sich vor Einsamkeit“

Maurer sieht gerade Singles gefährdet: Aus Angst vor Einsamkeit stürzten Singles von einer Beziehung in die andere. „Wenn die Stabilität fehlt im eigenen Leben und man sich sehr orientiert nach außen und auch an anderen Beziehungen, dann kann dieses Konsumieren von Partnerbörsen sehr belastend sein. Jedes Mail, jedes Telefonat, jedes Treffen bedeutet Emotionen, ob man das jetzt will oder nicht. Das heißt, man wird irgendwie zugemüllt“, meint Maurer.

Maurer rät Betroffenen, sich mehr Zeit zu lassen bei der Partnersuche im Internet, nur ein, zwei Treffen pro Woche, nicht zwei pro Tag. Damit mehr Leichtigkeit, mehr Verspieltheit, mehr Entspanntheit in die Begegnungen kommen könne. Denn im Internet wie im realen Leben gilt der schöne Spruch:
„Die Liebe zu finden, ohne sie zu suchen, ist der einzig wahre Weg, ihr zu begegnen“, meint Maurer. Wie wir diesen Zauber in Internet-Begegnungen bringen können, ist eine große Herausforderung für uns alle.

Christina Kronaus, ORF konkret

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