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Revival der jamaikanischen Volksmusik

Britische Medien sprechen vom „jamaikanischen Buena Vista Social Club“: Die Mitglieder der Jolly Boys sind jenseits der 70 und spielen mit Freude und Engagement die traditionelle Musik ihrer Heimat - kombiniert mit aktuellen Hits. Mit ihrem Coveralbum „Great Expectation“ und einer Tournee wollen sie nun ein internationales Publikum ansprechen.

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„Jeder hier kennt Albert“ betont der 71-jährige Albert Minott stolz im Interview mit der britischen Tageszeitung „Telegraph“. „Das ist meine Stadt. Ich wurde hier geboren, ich werde hier sterben. Mein ganzes Leben habe ich gesungen und getanzt. Es ist wie ein innerliches Feuer.“ In einem Alter, in dem sich die meisten seiner Kollegen längst zur Ruhe gesetzt haben, veröffentlicht Minott mit seiner Band Jolly Boys gerade sein Debütalbum.

Die drei Musiker der jamaikanischen Mento-Band The Jolly Boys

Geejam Recordings

Die Jolly Boys verbinden traditionelle Musik mit neuen Hits.

Unter dem Titel „Great Expectation“ - benannt nach der heruntergekommenen Stammbar der Musiker - hat die Band Punksongs gecovert und im Stil der traditionellen jamaikanischen Mento-Musik neu interpretiert. „Mento ist meine ganze Welt“ - und seine Band, die Jolly Boys, sind die lokale Mento-Band Port Antonios. Die Geschichte der Formation ist lang und kompliziert - mindestens 18 Mitglieder haben die Band zwischendurch verstärkt und wieder verlassen.

Von Errol Flynn benannt

Für den Namen der Band ist der Filmstar Errol Flynn verantwortlich, der in den Vierzigerjahren als der bekannteste Tourist Jamaikas galt. Er soll die kleinen Bars der Einheimischen geliebt und auch gerne ab und an eine Flasche Rum spendiert haben. Speziell eine Gruppe junger Männer fühlte sich dadurch ermutigt, Flynn überallhin zu folgen, berichtete seine Witwe Patrice dem „Telegraph“. „Sie nannten sich Navy Island Swamp Boys und waren überall dort, wo Errol war, um für ihn gegen Essen und Trinken zu spielen“. Als sich Flynn 1955 von der Insel verabschiedete, gab er der Band ihren neuen Namen: Jolly Boys.

CD-Hinweis:

The Jolly Boys: „Great Expectation“ ist am 17. September 2010 bei Pias/Wall of Sound erschienen.

Jamaika wird normalerweise automatisch mit Reggae verbunden - und doch ist Mento wahrscheinlich die authentischere Musik der Insel. „Mento entstand im späten 19. Jahrhundert, auch wenn manche behaupten, sie geht zurück bis zur Sklaverei“, erklärt der Musikwissenschaftler Daniel Neely von der New Yorker Universität im „Telegraph“-Interview. „Mento ist eine Gemeinschaftsmusik, sie hat ihre Wurzeln in Folk, Gospel und traditionellem Liedgut. Mento-Bands spielen auf Begräbnissen, Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten.“

Ein Musiker der jamaikanischen Mento-Band The Jolly Boys

Geejam Recordings

Albert Minott ist auf Jamaika längst ein gefeierter Star.

Vorläufer des Trinidad-Calypso

Die Musik wurde von Jamaika über die ganze Karibik verbreitet und beeinflusste maßgeblich die Entwicklung der Inselmusik. In Trinidad entstand aus Mento etwa die in den fünfziger Jahren populär gewordene Calypso-Musik, die durch Harry Belafonte in den USA und Europa populär wurde. Die rhythmischen Karibiksongs – eigentlich wiederentdeckte Balladen und Volkslieder – wie der Banana Boat Song, Matilda, Island in the Sun und Jamaica Farewell sind noch immer auf der ganzen Welt bekannt.

Die Jolly Boys wurden schließlich 2000 vom Punkveteranen Jon Baker entdeckt, dem früheren Besitzer des Hip-Hop-Labels Gee Street. Baker zog sich nach Jamaika zurück, um dort ein Luxushotel und ein Tonstudio zu errichten. Er engagierte die Mento-Truppe als Unterhaltungsact für die auf Jamaika arbeitenden Bands - darunter No Doubt, Gorillaz, Drake und Amy Winehouse. Baker entschied sich, gemeinsam mit den jamaikanischen Musikern eine Art Audioarchiv ihrer traditionellen Lieder zu erstellen.

Relaunch als Mento-Cover-Band

„Die Zeit dieser Musik war so gut wie abgelaufen“, erklärt Baker dem „Telegraph“. „Die Musik hat den alten Punk in mir berührt - sie war so roh und echt. Ich war total von Alberts Charisma und Humor eingenommen.“ So entstand die Idee, die traditionelle Mento-Musik mit modernen Klängen zu verbinden. Er überredete Minott und seine Band dazu, Songs von Grace Jones, The Clash und Amy Winehouse aufzunehmen, und dabei trotzdem ihrem Stil treu zu bleiben.

Die drei Musiker der jamaikanischen Mento-Band The Jolly Boys sitzen vor einem bunten Haus

Geejam Recordings

Die Musik der Jolly Boys vermittelt ihre positive Sicht der Dinge.

Das Konzept erwies sich als erfolgreich: Der gecoverte Winehouse-Song „Rehab“ ist auf Jamaika längst ein Hit. Konzerte der Altherrenband werden geradezu gestürmt. „Eine derartige Masse an Zuschauern würde niemals einen Mento-Gig besuchen“ erklärte Baker, der stolz auf sein erfolgreiches Konzept ist. „Touristen hätten den Musikern vielleicht ein paar Münzen in den Hut geworfen, mehr aber auch nicht“, ist er überzeugt. Nun spielt die Band vor großem Publikum - derzeit touren die alten Herren durch Großbritannien. Im Herbst 2010 erscheint das neue Album der Jolly Boys.

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