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Intellektuell, schlagfertig, reformwillig

13 Jahre stand Bruno Kreisky als SPÖ-Kanzler an der Regierungsspitze, zwölf Jahre davon mit absoluter Mehrheit. Reformen im Familienrecht, in der Justiz, die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, der Bildungsausbau und Gleichstellungspolitik prägten seine Amtszeit. Die Nachwirkungen sind noch immer zu spüren. Nicht zuletzt deswegen besitzt Kreisky bis heute Relevanz.

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„Die Kreisky-Zeit war für mich eine Hochblütephase der Sozialdemokratie“, sagte der Politologe Emmerich Talos im Interview mit ORF.at. Davon versucht die Sozialdemokratie bis heute zu zehren. Nicht umsonst wurde bereits im April 2010 der Beginn der Ära Kreisky vor 40 Jahren gefeiert. Am 29. Juli vergangenen Jahres jährte sich zum 20. Mal sein Todestag.

Von dem, wofür Kreisky stand, habe sich die Sozialdemokratie mittlerweile aber weitgehend entfernt, ist Talos überzeugt: „Wenn heute von Kreisky die Rede ist, dann verklärend und unkritisch. Die heutige Sozialdemokratie führt keine Auseinandersetzung über die Regierung Kreisky und überlegt nicht, die Optionen von damals auf die heutigen Bedingungen zu übertragen.“ Die SPÖ sei zu einer pragmatischen Politik gelangt, die kaum noch Perspektiven erkennbar mache.

Nostalgie statt Reformen

Kreisky stand für Reformpolitik, die Talos in der heutigen Sozialdemokratie vermisst: „Heute wird alles als Reform bezeichnet, wenn sich nur irgendetwas bewegt - egal in welche Richtung. (Bundeskanzler Werner, Anm.) Faymanns Regierung ist im Hinblick auf Reformperspektiven noch ungleich flacher als das Vorgängerprogramm der SPÖ.“ Vor allem müsste den geänderten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen mehr Rechnung getragen werden.

Auch der Politologe Anton Pelinka, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Konfliktforschung, vermisst gegenüber ORF.at Bezüge zu heute. Er beobachtet eine gewisse Nostalgie und die Tendenz, dorthin zu müssen, wo Kreisky gewesen sei. „Das ist verfehlt“, betonte Pelinka. Das Parteiensystem und die Bedingungen hätten sich enorm verändert.

„Eigenständiges Profil verloren“

Als problematisch beurteilt Talos das Verhältnis Kreiskys zur SPÖ als Partei, die ihre Eigenständigkeit eingebüßt habe: „Die SPÖ wurde zu einem Instrument der Regierung.“ Dabei gehe das eigenständige Profil der Sozialdemokratie verloren. Auch die persönliche Dominanz Kreiskys wirkte sich auf seine Nachfolger in der SPÖ aus. Pelinka: „Kreisky ist zu stark. Jemand, der drei absolute Mehrheiten geschafft hat, ist für eine Partei, die mit Mühe 30 Prozent schafft, schwierig. Kreisky erschlägt die Sozialdemokratie durch seine Erfolgsbilanz.“

Politologe Anton Pelinka

APA/Georg Hochmuth

Pelinka: „Erfolgsbilanz Kreiskys erschlägt Sozialdemokratie.“

Intellektualität, Schlagfertigkeit, Offenheit, Innovationskraft, soziale Sensibilität und Reformwilligkeit bescheinigen ihm die Wissenschaftler, die sich mit dem Phänomen Kreisky auseinandergesetzt haben. Bis heute besitzt Kreisky nach Meinung des Historikers Oliver Rathkolb Leitfunktion in der Politik. Der Wissenschaftler, der auch 15 Jahre wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Bruno-Kreisky-Archiv war und heute Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien ist, sieht vor allem Kreiskys Durchsetzungskraft gegen Widerstände in der SPÖ und in der Gesellschaft als entscheidende Stärke.

Kreisky hatte laut Rathkolb mit enormen Widerständen zu kämpfen: "Kreisky war in einer mehrfachen Minderheitensituation. Er war jüdischer Herkunft, Intellektueller, im Exil, Diplomat und Außenpolitiker gewesen - und damit nicht der „klassische" Standardpolitiker in Österreich.“ Heute tendieren laut Rathkolb einige zu einer Politik möglichst ohne große Widerstände.

„Persönliche Unsicherheit“

Als eine seiner größten Schwächen sehen die Wissenschaftler Kreiskys Umgang mit seinem „Kronprinzen“ Hannes Androsch, oft einsam getroffene Entscheidungen und insbesondere seine Reaktionen bei der Auseinandersetzung mit Simon Wiesenthal, der an der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit mitarbeitete und 1975 die NS-Vergangenheit des damaligen FPÖ-Obmanns Friedrich Peter aufdeckte. Kreisky warf Wiesenthal indirekt Kollaboration mit dem NS-Regime vor und sorgte damit für einen Eklat.

Jüdische Herkunft

Kreisky trat 1931 aus der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) aus. Seine jüdische Herkunft war aber auch in den Jahren danach - in der sozialistischen Arbeiterjugend, im schwedischen Exil und bei seiner Rückkehr nach Österreich - bekannt. Immer wieder wurde er mit Antisemitismus konfrontiert.

„Der intellektuell brillante Kreisky war verloren, wenn es um etwas Jüdisches gegangen ist“, analysierte Pelinka. Kreisky wollte Zeit seines Lebens Anzeichen einer Parteilichkeit aufgrund seiner jüdischen Herkunft vermeiden, schrieb Rathkolb schon in seinem Buch „Die paradoxe Republik“. Wie Kreisky auf die Peter-Wiesenthal-Affäre reagiert habe - aggressiv, emotional und auf einer persönlichen Ebene - sei rational nicht erklärbar, sagte Pelinka. „Das geht nur aus der persönlichen Unsicherheit hervor.“

Internationale Anerkennung

Abgesehen von seinen persönlichen Schwierigkeiten mit dem Judentum und Israel konnte Kreisky auf dem internationalen Parkett punkten. Er schaffte es, einen neutralen Kleinstaat wie Österreich Anerkennung zu verschaffen. Auch als Bundeskanzler zeigte er außenpolitische Aktivität. Besondere Aufmerksamkeit erreichte er etwa mit der Anerkennung der Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) unter Jassir Arafat.

„Die internationale Karte Kreiskys fehlt bei der heutigen SPÖ völlig. Seit den 90er Jahren gibt es in diesem Bereich keine Profilierung - weder intellektuell noch international“, sagte Pelinka gegenüber ORF.at. Auch die europäische Ebene fehle völlig.

Simone Leonhartsberger, ORF.at

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