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1959 als IM „Margarete“ angeworben

Anfang der 1990er Jahre wurde bekannt, dass die Schriftstellerin Christa Wolf von 1959 bis 1962 vom DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) mit dem Decknamen „Margarete“ geführt wurde.

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Für die direkte Anwerbung setzte das MfS auf die Einschüchterung der damals 29-Jährigen und legte ihr eine Bekanntschaft mit einem in Westdeutschland lebenden Autor, der sich negativ über die DDR geäußert hatte, zur Last. Der Erfolg des Gesprächs für die Stasi war ambivalent: Wolf kam zwar dem Konspirationsbedürfnis der Stasi entgegen, indem sie bereitwillig Auskunft gab. Zu einer schriftlichen Verpflichtung war sie jedoch nicht bereit.

Wolf und Aktenordner

Susanne Schleyer / Suhrkamp Verlag

Wunsch, Kulturpolitik mitzugestalten

In ihrer 1993 in der „Berliner Zeitung“ veröffentlichten „Auskunft“ sagte Wolf, die Gespräche mit der Stasi hätten sich um „Verlagsangelegenheiten und kulturpolitische Fragen“ gedreht. Sie habe über diesen Weg Systemkritik wirksamer befördern wollen. Der „FAZ“-Mitarbeiter Jörg Magenau fügte in seiner 2002 erschienenen Christa-Wolf-Biografie erklärend hinzu, viele unter IM-Verdacht geratene Schriftsteller hätten nach der Wende diese Argumentation verwendet.

Buchhinweis

Jörg Magenau: Christa Wolf. Eine Biographie. Kindler, 494 Seiten, 24,90 Euro.

„Wer in einem Land, in dem es keine unreglementierte Öffentlichkeit gab und offene Kritik nicht vorgesehen war, mitreden wollte, musste inoffizielle Kanäle verwenden“, so Magenau. Der Akt wurde 1962 geschlossen, nachdem keine Rechtfertigung für eine weitere Zusammenarbeit gefunden werden konnte. Als Wolf ihren Wohnort wechselte, zeigte die dortige MfS-Abteilung keinerlei Interesse, IM „Margarete“ zu übernehmen.

Kennwort „Doppelzüngler“

Der Täterakt Wolfs wurde zwar 1962 aufgegeben, als Beobachtungsobjekt war sie für die Stasi jedoch weiterhin interessant. Unter dem Kennwort „Doppelzüngler“ wurden in der Zeit von 1968 bis 1980 ganze 42 Aktenordner über Wolf angelegt. 1968 wurde noch verdeckt ermittelt, ab 1976 offen. Anlass dafür war ein offener Brief an die DDR-Führung aus Protest gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann.

Wichtigste Werke

  • 1961: Debüt mit „Moskauer Novelle“
  • 1962: „Der geteilte Himmel“
  • 1968: „Nachdenken über Christa T.“

Wolf gehörte zu den ersten 13 Unterzeichnern, was sie darüber hinaus ihre Mitgliedschaft im Schriftstellerverband der DDR kostete. Die Überwachung durch die Stasi fand im großen Stil statt: Vermeintliche Freunde betätigten sich als Spitzel, das Telefon wurde abgehört, Stasi-Mitarbeiter wurden in Lesungen Wolfs eingeschleust. Vor dem Haus der Wolfs wurde ein Wagen postiert.

Der deutsch-deutsche Literaturstreit

Ihre Erfahrungen als Überwachungsobjekt der Stasi verarbeitete sie in der 1990 erschienenen Erzählung „Was bleibt“. Die Reaktionen waren negativ: Wolf habe den Text zu spät veröffentlicht, er habe an Brisanz verloren, warf ihr Frank Schirrmacher in der „FAZ“ vor. Zehn Jahre vorher hätte der Text dem DDR-Überwachungsstaat vermutlich geschadet, doch Wolf habe aus Angst um ihre Privilegien geschwiegen. Den Boden für diese Auseinandersetzung hatte Marcel Reich-Ranicki bereits 1987 mit seinem „FAZ“-Artikel „Macht Verfolgung kreativ?“ bereitet.

Reich-Ranicki prägte den Titel „DDR-Staatsdichterin“, indem er wiederholt Wolf angriff und ihr jegliche intellektuellen und künstlerischen Fähigkeiten absprach. In der TV-Sendung „Literarisches Quartett“ griff er 1989 frontal Schriftsteller an, die geschrieben hatten und in der DDR geblieben waren. Der Bonus des Schreibens unter schwierigen Bedingungen sei hinfällig, neue Wertungsmaßstäbe für DDR-Literatur sollten herangezogen werden. Der Streit um die Deutungshoheit über den wiedervereinigten Staat war voll entbrannt.

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