Poppea, Frau Nero und der Drehwurm
Jan Lauwers ließ mit Tänzerinnen und Tänzern seiner Needcompany das Geschehen doppeln - und ständig musste sich eine Person in der Mitte drehen, sodass man denken durfte: Wird nicht getanzt, dann müsste fast das Orchester stocken.
Meisterwerke, sagt der Belgier Lauwers, ließen sich nicht entschlüsseln. Seine Interpretation von Claudio Monteverdis „Krönung der Poppea“ zieht Kraft und Dynamik aus den Widersprüchen der Vorlage. Und die sind in der Tat reichhaltig. Eine letztlich durch und durch widerwärtige Gesellschaft besingt teilweise in den schönsten Tönen den Abstieg der Vernunft und lässt sich treiben in einem Rausch von Eros und Machtbesessenheit.
Ottone liebt eigentlich Poppea, doch die ist angezogen alleine von der Macht und will die Frau an Neros Seite werden. Nero wiederum verzehrt sich in einer fast schon sexuellen Gier nach Poppea, muss aber seine bisherige Frau Ottavia loswerden, um Poppea an seiner Seite als Kaisergattin haben zu können.
Barockoper als Gesamtkunstwerk
Sie gilt als erste „Sex and crime“-Oper der Musikgeschichte: „L’incoronazione di Poppea“ von Claudio Monteverdi. Die Oper ist als Gesamtkunstwerk bei den Salzburger Festspielen zu sehen.
Da nun alles im Barock Venedigs auf offener Bühne ausgetragen und ausgesprochen wird, bleibt die Liebe zwischen Nero und Poppea ohnedies kein Geheimnis, fliegt das Komplott zur Ermordung der Poppea auf, gibt Anlass für Verbannung und Trennungen bisheriger Verbindungen - und macht so eine neue Kaiserhochzeit auf fast natürlichem Wege möglich. Vernunft und Ethik, personifiziert durch Seneca, werden unterwegs erledigt. So darf die Philosophie in der Badewanne vor dieser Sozietät kapitulieren.

Salzburger Festspiele / Maarten Vanden Abeele
Kate Lindsay als weiblicher Nero (links), Sonya Yoncheva als Poppea
Die Dynamik des Hintergrunds
Was Lauwers bei seiner ersten klassischen Opernarbeit sichtlich reizte, war das Dekor, war der Hintergrund dieser an Personen eigentlich nicht armen Szenerie des 17. Jahrhunderts. Denn nicht nur ist die Oper in ihrem Prolog reich an Überhöhungsgestalten. Sie ist vor allem reich an Nebenfiguren. Und sie schreit für Lauwers offenkundig danach, dass es für die triebhafte Oberschicht ein Gegenbild geben müsse - quasi den Rest der Gesellschaft. Für diesen hat Lauwers ein Bild, das er am Boden groß aufspannen lässt. Es sind die Gefallenen, die Gestrauchelten.
Heute würden wir in den Toten, die hier auf dem Boden liegen, wohl die Ertrunkenen des Mittelmeers sehen - und wie schon Romeo Castellucci vor ihm, so lässt auch Lauwers bewusst diesen zeitpolitischen Bezug in seiner Inszenierungsarbeit zu.
Das Libretto als Theorie des Staates
Lauwers holt seine Needcompany auf die Bühne, um das Getriebe hinter dem Hofe Neros und seiner Domus aurea in den Blick zu nehmen. Und er liest den Text des Librettos von Giovanni Francesco Busanello sehr genau und entdeckt darin fast so etwas wie eine Theorie des frühneuzeitlichen Staates. „Wer Herrlichkeit aufgeben muss, geht weinend in den Tod“, sagt Poppeas Dienstmädchen Arnalta zynisch: „Doch für den Sklaven ist es ein glückliches Los, er liebt den Tod als das Ende seiner Not.“

Salzburger Festspiele / Maarten Vanden Abeele
Das Orchester als Teil des Bühnengeschehens - und in der Mitte immer eine Tänzerin oder ein Tänzer, die sich schier endlos in eine Richtung drehen
Lauwers nimmt alle in seinen Kreis hinein. Während die Mächtigen ihre Kämpfe austragen, schleppen sich die Krüppel über den Rand der Bühne. Das Orchester, die einmal mehr brillanten Arts Florissants unter William Christie, sitzt vertieft in der Bühne - und auch um die Musiker zieht dieser ständige Karneval herum, als müsste für die Theorie Bachtins eine künstlerische Form gefunden werden.
Die Gesellschaft reagiert in Zeitlupe
Den Aspekt des amourösen Getriebes und der Machtverschiebungen auf der Bühne spiegeln und doppeln die Tänzerinnen und Täzner - mitunter verlangsamen sie ihre Gesten in Zeitlupe. Und immer steht eine Drehfigur in der Mitte, die wie eine menschliche Spieluhr wirkt. Bis an die Grenzen gehen, das fordert Lauwers von seiner Company - und in der Tat sieht dieser Abend so aus, als wäre ein flämisches Barockbild zum Leben erweckt.
Die Sängerinnen und Sänger lässt Lauwers so statisch wie möglich agieren. Eigentlich hätte er sich von ihnen eine besonders brüchige Interpretation gewünscht. Dass das in einem auf Bestleistung gedrillten Opernbetrieb schwer zu haben ist, liegt auf der Hand. Aber es gab musikalische Pausen, wo sich die Hauptakteure quasi in den Zwischenräumen ihrer Rollen bewegten. Die im Wesentlichen rezitative Struktur der Vorlage ließ das zu. Das machte besonders den Abschied des Seneca, subtil nachdenklich interpretiert von Renato Dolcini, deutlich. Der Philosoph nutzt vor seinem Freitod viele Momente der Stille.

Salzburger Festspiele / Maarten Vanden Abeele
Carlo Vistoli als starker Ottone, der sich mit der Kraft der Verzweiflung gegen seinen „Abschuss“ wehrt
Die Enttäuschten und die Sieger
Furios und beinahe überdeutlich in ihrer Dramatik wahrnehmbar waren Stephanie d’Oustrac als Ottavia und Carlo Vistoli als Ottone. Bleibt das Liebespaar Poppea und Nerone, das ja immerhin das erste große Liebesduett der Operngeschichte anstimmt: Yoncheva ist eine sehr weibliche, stolze Poppea, deren Griff nach der Macht mitunter ins Hintertreffen gerät.
Spannend interpretiert und vom Publikum mit viel Applaus belohnt: Lindsey als Nerone - sie verstört bewusst am Anfang und bekommt zum Ende hin Ausdruckskraft und eine schöne, dunkle Klarheit, die ihrer Rolle gemäß ist. Wenn Kaiser Nero zur Liebeshuldigung ansetzt und über die Rührung des Herzens deliriert, dann ist das Perversion in Reinform. Das in der Widersprüchlichkeit über die Bühne zu bekommen, nämlich Original und Reflexion darüber zugleich wirken zu lassen, ist eine mehr als beachtliche Leistung.
Nero und Poppea auf der Couch
Für den Arzt und Therapeuten Georg Titscher ist die „Krönung der Poppea“ ein besonders schwerer Fall. Mit Nero und Poppea habe man ein eigentlich schreckliches Paar vor sich - das zugleich das erste Liebesduett in der Geschichte der Oper anstimmt.
Wie eine Serie von Tableaus vivants
Lauwers und eine perfekte Maschinerie aus Licht und Ausstattung verwandelten die drei Akte der Vorlage in eine Serie an leuchtenden Tableaus vivants. Die Blicktiefe, nähmlich das Gefühl, dass sich im Hintergrund das ganze Getriebe immer weiter spiegle und vertiefe, diese Inspiration hat sich Lauwers offenkundig bei Van Eyck geholt.
Dieser so außergewöhnliche Abend begeisterte das Publikum auf jeden Fall in musikalischer und sängerischer Hinsicht. Beim Feedback für Lauwers wirkte die Balance aus Pros und Cons doch ein wenig so, als ob man sich in diese neue Form der Operninterpratation noch einfinden müsse. Doch wer den Intendanten der Festspiele kennt, weiß, dass gerade das alte Fach in einer mutig neuen Lesart genau seine Sache auch in Zukunft sein wird.
Gerald Heidegger, ORF.at