„Penthesilea“: Liebe bis zur Untergatte
Waren wir gestern noch Salome, so sind wir heute im neuen großen Salzburger Welttheater der Tiefenpsychologie Achill oder Penthesilea - und die sehnen sich ja auch nach dem, was sie nicht kennen: ein wenig Alltag - samt der Mutmaßung, dass es auch ohne die großen (Kriegs-)Umstände schwierig genug sein würde zwischen zwei Menschen.
Nachkritik von Peter Schneeberger
Bei den Salzburger Festspielen hat „Penthesilea“ von Heinrich Kleist Sonntagabend im Landestheater Premiere gefeiert. Das antike Liebesdrama habe viele Jahrzehnte als unspielbar gegolten, so Peter Schneeberger in seiner Premierenkritik.
In Zeiten des ständigen Bildüberschusses ist die Erinnerung an den Begriff „Sprechtheater“ in seiner nüchternsten Form ein ehrbares Unterfangen. Simons nahm sich dieses Konzept für seine Salzburger (und dann Bochumer) „Penthesilea“ zu Herzen und gab seinen Hauptdarstellern große Sprechaufgaben mit auf den Weg, als er beschloss, Kleists „Penthesilea“ als minimalistisches Zweipersonenstück im dunklen Raum aufzuführen.
Sie sollten im Sinne Kleists reden - von dem, was passiert - und nicht handeln. Und das, was sie zu behandeln hatten, war die Beziehung zueinander. Was schwer genug ist, haben wir doch mit Kleist auch einen Meister des dramaturgischen Redens übereinander vor uns, ja des Nichtdialogisierens, wenn zwei nebeneinander stehen.
Sie müssen auf der Bühne bleiben
Wenn die Figuren freilich davon reden, was passiert, nämlich vor allem mit ihnen, dann müssen sie als Erzählinstanzen beide bis zum letzten Moment auf der Bühne bleiben. Sich erzählend aus dem Weg räumen, das geht schon dramaturgisch nicht.

Monika Rittershaus
„Wer bist du?“ - „Du wirst es schon noch sehen“: Minimalistische Theaterabende funktionieren nur mit den Besten im Fach
Sandra Hüller als Penthesilea und Jens Harzer als Achill erdachten in zwei Stunden, was käme, würden sie so handeln, wie es ihnen das Original zugedacht hat. Achill, der siegreiche Held vor Troja, hätte zunächst die Amazone niedergerungen; sie am Ende dem Gesetz ihres Stammes folgend jenen Mann aus dem Weg geräumt, den sie doch so begehrte, aber kraft der Gesetze im Haus der Amazonen nicht hätte lieben dürfen.
Der Rahmen kann grausam sein und erdrückend für Menschen, die zueinander kommen wollen. Hier sollte er nur noch Vorlage sein, nicht mehr Ausrede dafür, ob sich zwei schwierige Charaktere mit der Last der (Text-)Geschichte finden können.

Monika Rittershaus
Das Kriegerische blieb in diesem Stück der beinahe gelösten Gender-Troubles nur Andeutung
Hätte, hätte, Fahrradkette
Zwei Stunden behandeln und befragen Hüller und Harzer das Original als Vorlage, ob alles tatsächlich so kommen müsse, wie es geschrieben steht. Sie antworten mit einem Nein. Denn über lange Strecken wird an diesem Abend klar: Kleist kann einen schon ganz schön kaputtmachen mit seiner ewigen Lust der Mauerschau, zwischen der Dialoge erlösende Ausnahmen darstellen.
Vor allem Hüller zeigte an diesem Abend verschmitzt und verspielt, wie man sich der Penthesilea entziehen kann (und erinnerte damit auch daran, wie oft Darstellerinnen von dieser Rolle zermalmt wurden); immer auch ein bisschen als keckes Mädchen, das sein männliches Gegenüber, das sich doch so bemühte, endlich ein anderer Typ Mann zu sein, nicht ganz ernst nehmen will. Da stand er also, der griechische Held von Troja, in der Unterhose, dann sogar splitternackt mit zartem Gemächt. „Wer bist du?“, fragt er sie zu guter Letzt. „Du wirst es schon noch sehen“, sagt sie - und lädt ihn auf dem Weg ins Dunkel zum Unausgesprochenen ein: Kommst du mit in den Alltag?
Gerald Heidegger, ORF.at