Tänzer auf der Bühne

Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

Händel, Bartoli und der Conchita-Zauber

Wenn es in Salzburg mittlerweile ein konstantes Ritual gibt, dann wohl die Bartoli-Festspiele im Finale. Mit der Pfingstreprise von Georg Friedrich Händels selten gespielter Oper „Ariodante“ demonstriert Cecilia Bartoli in der großartigen Regie von Christoph Loy und hervorragenden Sängerinnen und Sängern wieder einmal, wie Opernhandwerk geht. Gerade die Hölzernheit der Vorlage verwendet das Ensemble, um zwischen Virginia Woolf und Conchita frische Zeitbezüge einzustreuen, die aber den Kern eines in sich durchaus revolutionären Werkes freilegen.

Man wechsle in der Vorstellung gleich zu Beginn von der Opernbühne in das Feld der Politik und stelle sich vor: eine Regierung, die mit großer Freude ihre Nachfolge in Sicht hat, und kommende Regenten im Liebestaumel, die kaum glauben können, dass sie sich gefunden haben. Kein Wunder, dass sich da die Höflinge im falschen Film meinen. Genau mit diesem Eindruck startet Regisseur Loy einen über vierstündigen Opernabend. Nach einem Exkurs in Virginia Woolfs „Orlando“ über vertauschte Geschlechtsrollen und freie Zeitbezüge stolpern die Höflinge auf der Bühne und suchen so etwas wie die Anhaltspunkte vertrauter Realpolitik.

Szenenbild aus der Oper

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Ein zunächst harmonisch wirkender Hofstaat wird durch eine Intrige mächtig erschüttert

Ein Anfang wie im Paradies

Da ist ein junger, linkischer Held in glänzendem Harnisch, Ariodante (Bartoli), der in großer Liebe zur Tochter des Königs von Schottland, Ginevra (Kathryn Lewek), erglüht, und ein König (Nathan Berg), der diese Liebe als Fundament für den Weiterbestand seines Reiches sieht. Unnötig zu sagen, dass es so nicht bleiben wird. Denn eine Intrige wird die Treue von Ginevra infrage stellen. Und wie es nun einmal so ist auf der Opernbühne, haben Intrigen Erfolg. Der Herzog von Albany, Polinesso (Christophe Dumaux), stiftet die Hofdame Dalinda (Sandrine Piau) an, in der Nacht in das Gewand von Ginevra zu schlüpfen und sich von ihm, dem Herzog, verführen zu lassen.

Bartoli als Ariodaten

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Sensibel, naiv und linkisch: Cecilia Bartoli in der Hosenrolle als Ariodante mit deutlichen Conchita-Bezügen

Ariodante und sein Bruder Lurcanio (Rolando Villazon) sehen diesen vermeintlichen Treuebruch. Ariodante zieht aus - und die Kunde von seinem Freitod macht die Runde, während ein ungläubiger Hofstaat nun die Tochter mit einem „Gottesgericht“ bestraft: Ein Höfling, es wird Polinesso sein, der die Wahrheit kennt, tritt gegen Lurcanio, der Gerechtigkeit für seinen Bruder verlangt, an - und fällt gegen Letzteren. Da tritt auch noch der totgeglaubte Ariodante mit in den Raum.

Die letzte Person, die die Wahrheit kennt, Dalinda, wird voller Reue bekennen, dass sie in Ginevras Kleider geschlüpft ist, nachdem durch den Fall Polinessos in einem absurden Schiedsverfahren ja eigentlich die Schuld Ginevras erwiesen war. Das freimütige Herz siegt über einen grausamen Stellvertreterprozess. Das „lieto fine“ ist da, und nach der Prüfung des Schicksals binden sich die Liebenden umso fester. Und der König, er darf glücklich und zufrieden sein, wie zu Beginn erhofft.

Feinarbeit für einen großen Abend

Dass aus diesem doch hölzernen Szenario, für das Händel kräftig mit ins Libretto zwischen Ludocivo Ariosts „Orlando Furioso“ und Shakespeares „Much Ado About Nothing“ eingriff, ein derart perfekter wie perfektionistischer Opernabend wurde, ist dem Zusammenspiel vieler Kräfte gedankt. Die Kombination Loy-Bartoli und die Auswahl eines hochkarätigen Sängerensembles führt zu einer der intelligentesten Opernarbeiten, die man gerade im alten Fach je gesehen hat.

Einerseits präpariert man die Elemente dieser 1734 im frisch eröffneten Londoner Covent Garden gespielten Vorlage in großer Eleganz heraus; darin auch enthalten die drei Ballette, die jeden Akt abschließen und für die enorme choregrafische Feinarbeit (Andreas Heise) geleistet wurde. Andererseits aktualisiert Loy mit feiner Lichtregie (Roland Edrich), Kostümen (Ursula Renzenbrink) und einem Setting (Bühne: Johannes Leiacker), das nie modern um des Krampfes willen sein will, den Stoff so, dass sich Gepflogenheiten der Vorlage (Hosenrollen, stimmlicher Genderturn) mit Debatten der heutigen Zeit überschneiden können.

Intrigenschmieden aud der hellen Bühne von Chritoph Loy

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Der Preis für die Intrige: Sehnsucht motiviert Dalinda (Sandrine Piau) sich auf den Plot von Polinesso (Christophe Dumaux) einzulassen

Wenn Ariodante im Harnisch durchaus mit einem Augenzwinkern an Conchita und damit eine zeitgenössische Ikonografie erinnert, dann auch, um damit auch das Spiel mit Rollen und Rollenklischees zu hinterfragen. Wer schlüpft in welches Kleid? Das Spiel mit den schwarzen und weißen Kostümen, symbolisch zwischen Belastung und Unschuld, aber auch die Frage, wie viel Oberflächlichkeit blenden mag, greift diese Inszenierung mit großer und überzeugender Leichtigkeit auf. Die Figur Ariodantes interpretiert Bartoli großartig mit großer Linkischkeit und Naivität.

Wie viel Unverstelltheit verträgt eine Gesellschaft

Wenn im Hintergrund der Bühne die abgewandelten Lorrain-Tableaus aufgehen, dann wohl auch als Hinweis, dass aus jeglicher Form von Naturhaftigkeit und Naivität nie gesellschaftliche Ideale werden können - wohl aber daraus ein hohes Maß an Empathie abgeleitet werden mag. Auffällig, wie viele Vokabel bei Händel auf Erkenn- und Lesbarkeit des Sentiments abzielen. Der empathische Mensch erkennt schnell. So muss Ariodante nicht den Treuebruch im Details „sehen“ - eigentlich schaut der Bruder für ihn und Ariodante „liest“ aus den Kleiderresten des Abends, wie sehr er eigentlich ungläubig bleiben mag: Ungläubig, das gesehen zu haben, was zu seiner Herzensbildung nicht passt.

Rolando Villazon nach gefochtenem "Gottesurteil"

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Rolando Villazon als Lurcanio nach gefochtenem Duell, das eigentlich ein „Gottesurteil“ bringt - und doch nicht Gesetzeskraft erhält

Dass sich diese gegen alle Formen etablierter Machtfolien durchsetzt, mag man als Ablösung der barocken durch die aufgeklärte Folie lesen, wie auch wieder im Programmheft kolportiert. Doch die Aufklärung, sie ist nicht nur das nüchtern-rationale Programm des Händel-Lehrers Christian Thomasius. Dass sich zum Ende des 18. Jahrhunderts die große Kultur der Empfindsamkeit durchsetzen wird, verdankt sich auch einer jahrhundertelangen Kulturdebatte, die „honnete“ als Anständigkeit durch die „sincerite“ als „Aufrichtigkeit“ (später wird man dazufügen: des Herzens) ablöst - immerhin eine Grundlage der bürgerlichen Revolution. Letztlich wird die Grundlage für diesen Diskurs schon in der Zeit Ariosts gelegt.

Eros als Triebfeder

Dezent wie teilweise brutal spielt aber die Regie von Loy alle Fragen des Eros aus. Die große, fragile Arie der Genevra wird am Ende des zweiten Akts mit einem dunklen Ballett gekontert, dessen sprachliche Ausdeutung jede Form von Jugendfreiheit verlassen würde.

Hinweis

„Ariodante“ ist bei den Salzburger Festspielen im Haus für Mozart noch am 18., 22., 25. und 28. August zu sehen.

Brillant an diesem Abend nicht nur die sängerischen Leistungen aller Akteurinnen. Zwischen Nuancierung und großen Kolloraturen bleibt hier nichts aus. Es ist nicht Bartoli, die sich als großer unerreichbarer Star in Szene setzt. Im Gegenteil: Mit Kathryn Lewek ist eine großartige, in feinsten Nuancen glänzende Ginevra da, Sandrine Piau beweist als Dalinda, warum sie nicht nur im alten Fach gerade so gefragt ist. Zu Recht umjubelt: der französische Countertenor Christophe Dumaux. Ronaldo Villazon als Lurcanio mit Statur ist ein aufrechter, überzeugender Bruder Ariodantes mit Drang zur Wahrheit.

Überzeugend ist dieser Abend schließlich auch, weil hier nicht Opernsänger an der Rampe agieren, sondern tatsächlich das Schauspiel großgeschrieben wird. Das Publikum feierte teils jede Szene mit bis zu frenetischem Applaus. Knapp vor Ende der Festspiele schließt sich der Kreis zu Monteverdi am Beginn. Und wenn es schon so viel um Macht geht, dann darf es auch die Macht der unverstellten Liebe sein.

Gerald Heidegger, ORF.at

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