Schwierige Rettungsmission für den neuen „Jedermann“
Moretti spielt in „Jedermann“ ganz klar jetzt mehr als nur die Titelrolle. Wie er selbst in Interviews nicht verhehlt, brachte er sich mehr als üblich - nämlich sowohl in dramaturgischer als auch ästhetischer Hinsicht, in die Entwicklung des Stücks ein. Dass Änderungen am Text direkt aus Schauspielersicht passiert sind, das merkt man der neuen Fassung auch in vielen Passagen an, in denen statt holpriger Deklamation jetzt flüssige Gedanken formuliert werden können.
Gestrafft wurde vieles für die mit 95 Minuten Spieldauer rekordverdächtig kurze „Jedermann“-Neuauflage, und auch die Idee an sich, „die Menschen in der Gegenwart abzuholen“, wie es der erst im April von den Festspielen engagierte Sturminger formuliert, klingt grundsätzlich spannend. Warum auch nicht das von Hugo von Hofmannsthal aus dem Mittelalter ins 20. Jahrhundert geholte Stück irgendwann ins 21. bringen?
Frauenrollen neu gedacht
Neu gedacht sind so auch Konstellationen und Rollen - vor allem den Frauen des Stücks tut das gut. Statt die Mutter Jedermanns als nervige Alte zu lesen, lässt Sturminger Edith Clever als Pensionistin mit Stil und vor allem Selbstbewusstsein auftreten. Auch der Buhlschaft (Stefanie Reinsperger), bisher mehr schmückendes Beiwerk und nach Birgit Minichmayr ohnehin zunehmend in die Society-Berichterstattungsecke gestellt, gesteht man jetzt ein bisschen mehr zu. Die Beziehung zwischen Buhlschaft und Jedermann hat jetzt nämlich erstmals schon ein über die Affäre hinausgehendes Stadium erreicht - fix zusammen sozusagen.

Salzburger Festspiele / Matthias Horn
Die Buhlschaft (Stefanie Reinsperger) mag den Jedermann (Tobias Moretti) jetzt wirklich
So fix, dass er schon an ein gemeinsames Domizil denkt - im Dom, versteht sich, den Jedermann der Buhlschaft (statt des Lustgartens im Original) schenken will. Ganz aufgehen tut die dramaturgische Idee zur Buhlschaft in der Umsetzung trotzdem nicht: Wie im echten Leben gibt es auch auf der Bühne Paare, die nicht zusammenpassen - und woran es auch liegen mag, Reinsperger und Moretti kommen genau als ein solches über die Rampe, es fehlt die Chemie.
Der Glaube ist männlich
Die guten Werke, gespielt von Mavie Hörbiger, sind recht eindrücklich verortet: leichenblass, geradezu durchsichtig und kurz vor der Auflösung macht sie die Versäumnisse Jedermanns recht deutlich. Peter Lohmeyer hat als Tod schon ein paar Jahre Bühnenerfahrung, als Spielansager eröffnet er jetzt auch den Abend. Auch der Glaube ist neuerdings männlich (Johannes Silberschneider), der Teufel (Hanno Koffler, auch als Guter Gesell im Einsatz) ist ein komischer Kobold - nicht schön anzuschaun, dabei aber weder dämonisch noch besonders witzig, was auch für den goldenen Mammon (Christoph Franken) gilt.

Salzburger Festspiele / Matthias Horn
Schiacher Teufel (Hanno Koffler)
Ein Vorhang vor dem Dom
Auch wenn man sich im Regenausweichquartier nur schwer die ganze Wucht der Domkulisse im Hintergrund vorstellen kann - das, was die Ausstatter Renate Martin und Andreas Donhauser mit ihren drei schlanken Lichtbögen und einem (Achtung: Premiere!) Vorhang geschaffen haben, wirkt wie eine (möglicherweise zu) schicke Fusion aus historischer und zeitgenössischer Architektur.
Weniger gelungen ist die Umsetzung des Konzepts bei den Kostümen. Was einerseits modern ist oder sein soll, ist auch beliebig. Von der pastellfarbenen Familie des Schuldknechts bis zur Lederjacke des guten Gesellen wirkt das mehr nach Stadttheaterfundus als nach Festspielinszenierung.

Salzburger Festspiele / Matthias Horn
Die Fotoprobe fand auf dem Domplatz statt, die Premiere wurde wegen heftiger Regenfälle ins Festspielhaus verlegt
Geschmack kann man nicht kaufen
Das Buhlschaftskleid in taftigem Rosarot tut absolut gar nichts für Reinsperger, schon gar nicht vor dem Hintergrund der neuen Rollenverortung. Einzig vorstellbare Botschaft der optischen Aufmachung vom „Jedermann“: In der Casa Jedermann soll deutlich werden, dass man Geschmack genauso wenig kaufen kann, wie sich selbst frei vom Tod.
Hinweis
„Jedermann“ ist heuer bei den Salzburger Festspielen noch bis Ende August auf dem Domplatz, bei Schlechtwetter im Festspielhaus, zu sehen. Alle Vorstellungen sind ausverkauft.
Verloren gegangen ist unterwegs irgendwo das Mysterium im Mysterienspiel. Und auf die Essenz reduziert, ins heute transferiert ist die zeitlose Relevanz der Geschichte nicht deutlicher, wie von Sturminger und Moretti beabsichtigt, sondern möglicherweise sogar eher in Frage gestellt worden. Schon bei den früheren „Jedermann“-Inszenierungen galt allerdings, dass nichts in Stein gemeißelt ist, und jedes Jahr weitergedacht werden darf. So gesehen ist die Probezeit für die Neuauflage vielleicht einfach noch nicht vorbei, und mit Moretti hat Salzburg jetzt jedenfalls wieder einen Jedermann, der weiß, was er will.
Sophia Felbermair, ORF.at