Szene aus "West Side Story"

Salzburger Festspiele / Silvia Lelli

„West Side Story“: Die Opernwelt spielt Musical

Mit „West Side Story“ hat Cecilia Bartoli, Intendantin der Pfingstfestspiele, heuer ein Tabu gebrochen: Statt einer Eröffnungsoper setzte sie ein Musical an - und landete damit einen Publikumshit, der am Samstag seine Wiederaufnahme feierte. Bartoli erfüllt sich damit auch einen Jungmädchentraum, wie sie sagt - damit das klappt, und die 50-Jährige als Teenager Maria auftreten kann, sind aber auch ein paar Tricks nötig.

„Romeo und Julia“ lautete das heurige Motto der Salzburger Pfingstfestspiele, unter dem verschiedene Bearbeitungen der Shakespeare’schen Tragödie zu sehen waren, und nichts anderes ist auch das Musical von Leonard Bernstein. Der wollte ja eigentlich, notierte er in seinen Kompositionsnotizen, der „Opernfalle“ entgehen - besetzte aber Jahrzehnte später für eine Studioaufnahme selbst Opernsänger in den Hauptrollen.

Nichts anderes ist jetzt in Salzburg passiert - neben Bartoli steht mit Normann Reinhardt als Tony ein ausgewachsener, lyrischer Operntenor auf der Bühne, den man normalerweise eher als Tamino, Alfredo oder Don Ottavio besetzt.

Was wurde aus Maria? („Maria, Maria, Maria ...“)

Dass die 50-jährige Bartoli dank ihrer umwerfenden Aura mühelos jugendliche Rollen in der Oper (und dabei manch junge Kollegin an die Wand) spielt, ist bekannt. Dass sie in der „West Side Story“ eine Maria im Teenager-Alter geben könnte, diesen Spagat traute sie sich dann aber auch nicht zu. Regisseur Philip Wm. McKinley wusste die Lösung: Zwei Marias mussten her.

Szene aus "West Side Story"

Salzburger Festspiele / Silvia Lelli

Die doppelte Maria: Michelle Veintimilla (links) als junge Version von Cecilia Bartoli (rechts)

„Maria I ist die ältere Maria, die all jene Ereignisse vor 20 Jahren in ihrer Jugend erlebt hat. Maria II ist das junge Mädchen, dem all dies widerfuhr“, erklärte er seine Regieidee. Mit diesem Trick ermögliche er dem Publikum, „die Produktion nicht als historische Wiedergabe eines in seiner Zeit verhafteten amerikanischen Musicals zu erleben, sondern als lebensvolle und leidenschaftliche Geschichte über eine wahrhaftige Liebe“ zu erleben.

In der Praxis schaut das so aus: Bartoli wandert ähnlich wie ein Geist durch ihre eigene Geschichte und singt, während auf der Bühne die junge US-amerikanische Film- und Fernsehschauspielerin („Gotham“) Michelle Veintimilla spielt und spricht.

Distanzen auf verschiedenen Ebenen

Wie das gemeint ist, versteht man auch ohne Erklärung sofort. Schwierig wird es aber in den Duetten, bei denen sich Maria II und Tony anschmachten, während Maria I aus der Entfernung singt - Intimität hört sich anders an. Distanzen anderer Art, musikalischer nämlich, sind eine weitere Schwachstelle des Abends.

Nicht weil irgendjemand auf dieser Bühne stimmlich seinem Part nicht gewachsen wäre - im Gegenteil -, sondern weil Bartolis reife Opernstimme eben doch nicht so unbeschwert jung klingt, wie sie manchmal sollte, und dadurch nicht immer mit dem Musicalton verschmelzen mag. Wo es gelingt, dort geht es aber unter die Haut - bei „Somewhere (There’s a Place for Us)“ etwa.

Szene aus "West Side Story"

Salzburger Festspiele / Silvia Lelli

Traumballett zu „Somewhere (There’s a Place for Us)“

Die musikalische Verschmelzung im Orchestergraben, wie sie Bernstein in seiner Partitur zwischen Jazz, Musical und Oper angelegt hat, funktioniert unter Dirigent Gustavo Dudamel perfekt. Temporeich führt er durch das Stück, stets gut akzentuiert und trotzdem mit der notwendigen Lässigkeit. Ihm und auch dem Simon Bolivar Symphony Orchestra, das aus dem venezolanischen Musiksozialprogramm „El Sistema“ hervorgegangen ist, liegen die lateinamerikanischen Rhythmen, das merkt man und das macht Freude.

Selbiges kann man ohne Abstriche von der restlichen Sängerbesetzung, der Choreografie und dem Bühnenbild sagen. Film-, Opern- und Musical-Ausstatter George Tsypin verbaute die Felsenreitschulbühne mit einer vierstöckigen Graffitiwand, die sich in alle Richtungen verschieben und öffnen lässt. Dahinter verbergen sich ein Brautmodengeschäft, ein Drugstore, verschiedene New Yorker Straßenszenen und jede Menge Feuertreppen, auf denen die Gangfehde zwischen Jets und Sharks genauso in Fahrt kommt wie die Liebe zwischen Tony und seinen Marias.

Profis in allen Rollen

Neben den Opernstimmen von Bartoli und Reinhardt haben die Festspiele in der ganz oberen Musicalliga gefischt, bis zur kleinsten Nebenrolle. Besonders gefeiert wurde Karen Olivio, die als Anita schon am Broadway mit einem Tony Award ausgezeichnet wurde. George Akram stand auch in New York als Bernardo an ihrer Seite, Dan Burton (Riff) spielte die Rolle bereits in London.

Szene aus "West Side Story"

Salzburger Festspiele / Silvia Lelli

Gangkrieg zwischen Jets und Sharks - perfekt choreografiert

Aus dem Vollen schöpfen konnte auch Choreograf Liam Steel, der mit vielen Zitaten des Originalchoreografen Jerome Robbins einen fantastisch detailreichen Abend zauberte. Kostümbildnerin Ann-Hould Ward erdachte dafür unzählige 1950er-Jahre-Kostüme, perfekt abgestimmt und in jeder Szene passend.

Große Broadwayshow eben - für nichts anderes hat man Regisseur McKinley, der vor einigen Jahren immerhin die Skandalproduktion „Spiderman“ am Broadway retten konnte, wohl auch engagiert. In Salzburg hat er perfektes Handwerk abgeliefert - mit viel Retrocharme und völlig entpolitisiert.

Hinweis

„West Side Story“ ist bei den Salzburger Festspielen noch am 21., 23., 25., 27. und 29. August in der Felsenreitschule zu sehen.

Dass der Ausflug ins Musical-Business für die Festspiele die Ausnahme bleiben wird, davon ist eher auszugehen. Dass sich der Seitensprung mit dem Publikumsrenner „West Side Story“ ausgezahlt hat, ist trotzdem gar keine Frage. Zu Premierenjubel und Applausmusik wurde am Samstag dementsprechend nach der Aufführung auf der Bühne gefeiert - kein Wunder.

Sophia Felbermair, ORF.at

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