Bernhard-Premiere mit Notlichttrick
Thomas Bernhard und die Geschichte der Salzburger Festspiele sind ein mehr als jahrzehntelanges Spiel gegenseitiger Missverständnisse, Erwartungen, Schmähungen, Unterstellungen - und schließlich immer großer Aufregungen. Konnte sein eigentlich für Salzburg geschaffenes „Fest für Boris“ als betonter Anti-„Jedermann“ keine Uraufführung erleben, war es beim zweiten Anlauf 1972 bekanntlich nicht besser bestellt.
Bernhard hatte damals mit Claus Peymann („Eine ganz schicke Scheiße, die Festspiele“) einen mehr als eigensinnigen Promotor seines Werkes gefunden, der die Forderungen des Autors so sehr auf die Spitze trieb, dass Bernhards erstes Salzburg-Stück „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ genau zwei Aufführungen erlebte: eine Uraufführung - und eine Aufzeichnung für den ORF.
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Schwierige Uraufführung 1972
Bruno Ganz spielte den Doktor bei der Uraufführung des Stücks 1972 in Salzburg. Der „Notlichtskandal“ brachte nur eine Reprise der Peymann-Uraufführung: für die Aufzeichnung des ORF.
Da die Forderung nach der absoluten Dunkelheit im Finale des Stücks trotz vorheriger Versprechungen wegen feuerpolizeilicher Vorgaben nicht durchzusetzen war, gab es keine weiteren Vorstellungen des Dramas. Die Hintergründe dieses Theaterskandals füllen mittlerweile zahlreiche Bücher und aktuell eine wunderbare Salzburger Ausstellung - mehr dazu in Bernhard, Handke: Eine Abrechnung.
Ein Stück Risiko zum Abschied
Dass sich der künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele, Sven-Eric Bechtolf, just dieses Stück als Abschied vom Festival vornimmt, ist nicht ohne Pikanterie, denkt man an das Arsenal von Sätzen wie „Die Kultur ist ein Misthaufen“ in Bernhards Text.

Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Barbara De Koy, Annett Renneberg, Gerhard Grashof und Sven-Eric Bechtolf auf der sehr floralen Bühne von Martin Zehetgruber
Es ist zugleich aber auch nicht ohne Risiko für ihn, schlüpft er doch nach Jahren der Abstinenz als Schauspieler in eine der schwierigsten Rollen, die man auf einer deutschsprachigen Bühne verwirklichen kann. Zudem wird man im Fall von Bernhard an nicht gerade wenigen Vorbildern gemessen. Und so entscheidet sich Bechtolf für eine ganz besondere Lesart in der recht braven Inszenierung seines Freundes Gerd Heinz.
Ein Hauch von Gottfried Benn
Überspannt-hysterisierend ist der Tonus dieses Abends. Alles scheint auf die mitunter recht gepresste Intonation Bechtolfs als Doktor ausgelegt, der seine Überblendung von Medizin-, Kunst- und Gesellschaftsmonolog so anlegt, als hätte eher Gottfried Benn einen Nervenarzt erfunden als Thomas Bernhard einen Pathologen. Bevor die Koloratursängerin, gespielt von Annett Renneberg, als Königin der Nacht die Bühne betritt, hat sich Bechtolf an allen Kardinalfragen Bernhards schneidend abgearbeitet. Der alkoholkranke Vater (Christian Grashof) ist an diesem Abend besonders zu Staffage verdammt und kann nur kurz sein Können aufblitzen lassen.
Veranstaltungshinweis
„Der Ignorant und der Wahnsinnige“ ist bei den Salzburger Festspielen noch bis 27. August in sieben weiteren Vorstellungen zu sehen.
Renneberg muss in diesem Kontext so auf die Hysteriedrüse drücken, dass in der Mitte des Stücks wenig von Bernhards rhythmisierender Textpartitur übrigbleibt. Bechtolf nutzt seine Rolle, um auch den dandyhaften Verehrer mit ins Spiel zu bringen. Sein brüsker Abgesang auf die Welt könnte demgemäß besonders an der Zurückweisung eines bettelnden Liebhabers liegen. Denn die als „Koloraturmaschine“ beschriebene Sängerin hat im Finale am ehesten Augen für den blondierten, mephistophelischen Kellner, den Michael Rotschopf so süffisant mimt, als müsste er mit seinem Gesichtsausdruck gleich die Inszenierung mit beurteilen.

Salzburger Festspiele / Ruth Walz
„Wir existieren, indem wir uns von der Existenz ablenken“
Die kurze semiabsolute Finsternis
Wenn am Ende statt der Auflösung der Finsternis durch das Licht, wie in Bernhard Lieblingsoper „Der Zauberflöte“, die absolute Finsternis über die Gesellschaft hereinbricht und das Scheitern des übersteigerten Kunstanspruchs verdeutlicht, hat das Publikum schon sehr viel gleißendes Licht ertragen. Geschickt umgeht man die Erwartung, diesmal würde es bei der Inszenierung absolut dunkel werden. Das Dunkel am Ende verkürzt man zeitlich zudem so sehr, dass sich das Publikum zu einem frenetischen Beifall (vor allem für den Hauptdarsteller des Abends) erlösen kann.
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Viel Beifall bei Premiere
Das Publikum der Salzburger Premiere zeigte sich am Sonntag Abend begeistert - mehr dazu in salzburg.ORF.at.
Salzburg möchte Bernhard mittlerweile wohl als seinen Klassiker reklamieren. Und manchmal, etwa bei der besprochenen Penis-Sektion, so mitkichern, als wäre man noch am gesellschaftlichen Aufklärungsstand des Jahres 1972. Am Ende des Abends sieht man auch jene mit zufriedener Miene heimgehen, die zu Lebzeiten Bernhards seine schärfsten Kritiker waren.
Gerald Heidegger, ORF.at
Links:
- Salzburger Festspiele
- Thomas Bernhard (Suhrkamp)