Testosteron-„Giovanni“ im Stundenhotel
Über 2.000 Frauen hat Don Giovanni laut Leporellos in der „Registerarie“ aufgezählter Liste schon abgeschleppt, was Donna Elvira (Layla Claire) in Bechtolfs Inszenierung - einer Wiederaufnahme von 2014 - zum Kotzen bringt. Schon da, recht bald am Anfang, wird deutlich, dass hier kein romantisch verklärter Verführer und kein alternder Ideal- oder Freiheitssucher gezeigt wird, sondern schlicht ein geiler Erotomane. Einer, der, während er Zerlina (Valentina Nafornita) mit „La ci darem la mano“ gerade erst zu beschmusen beginnt, schon dem nächsten Zimmermädchen hinterherrennt und der Donna Annas (Carmela Remigio) Hand führt, wenn er sie zum Vatermörder macht.

Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Don Giovanni (D’Arcangelo) kennt keine Selbstzweifel
Die so gern angewandte „Psychopathologisierung“ Don Giovannis spart Bechtolf, wie er im Programmheft beschreibt, aus. In einer „durch und durch sexualisierten Zeit“ habe es eine Theaterfigur wie Don Giovanni paradoxerweise noch schwerer, verstanden und inszeniert zu werden. Bis auf wenige Eingriffe lässt er den Sexsüchtigen deshalb auf die Vorlage vertrauend recht oberflächlich vor sich hin agieren und konzentriert sich - wie auch in seinen anderen Salzburger Mozart-Arbeiten - auf handwerkliche Details in der Personenführung.
Zu Gast im Stundenhotelfoyer
Der dreieinhalbstündige Coitus interruptus spielt sich im Foyer eines nobleren Stundenhotels (Bühne: Rolf Glittenberg, Kostüme: Marianne Glittenberg) in den 1930er Jahren ab. Das Motto scheint unaufdringliche Anonymität zu lauten, was für die Handlung ein stimmiges, gleichzeitig aber auch beliebiges Setting ergibt.

Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Zerlina (Valentina Nafornita) brummt der Kopf vor lauter Liebesschwüren
Dunkel getäfeltes Edeldesign, rechts eine Bar, in der Mitte eine Stiege, die zu den auf der Galerie angeordneten Zimmern führt: Hinter denen spielt sich einiges ab, wird man erahnen können, wenn der wütende Mob auf der Suche nach Don Giovanni leicht bekleidete Mädchen aufscheucht. Der Chor gibt Hotelpersonal und -gäste, das Bauernpaar Zerlina und Masetto arbeitet im Service, und den Commendatore (Alain Coulombe) kann man hier als Hotelbesitzer lesen.
Don Giovanni, tiefer gelegt
Bewährt hat sich schon im letzten Jahr das italienische Duo D’Arcangelo und Luca Pisaroni als Don-Giovanni-Leporello-Gespann. D’Arcangelo legt seine Partie mit deutlicher Tiefe an, bleibt kräftig und trotzdem viril und leidenschaftlich. Mit zurückgepickten Haaren und Schlangenledermantel hat er auch optisch alles, was der Gigolo, den er hier geben soll, braucht. Ihm zur Seite steht mit Pisaroni ein hellerer Bassbariton, dem die Rolle des gewitzten Dieners Leporello sichtlich Freude bereitet und gut zu seiner Stimme passt.

Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Der Teufel trinkt mit
Remigio bleibt als Donna Anna eher ein Versprechen - zu groß sind vielleicht auch die Vorbilder. Claire gibt bei ihrem Festspieldebüt eine kraftvolle Donna Elvira ab, Nafornita bezaubert als Zerlina, hätte aber auch noch Luft nach oben. Iurii Samoilov als Masetto und vor allem Paolo Fanale als Don Ottavio bieten beim Versuch, ihre Frauen zu schützen, Don Giovanni auch stimmlich sehr gut Paroli.
Gut gelaunte Philharmoniker
Dass sich musikalisch alles gut zusammenfügt, dafür sorgt Altinoglu am Pult der Philharmoniker. Seit Anfang des Jahres ist er Musikdirektor der Brüsseler Oper La Monnaie, mit seiner „Don Giovanni“-Interpretation gibt er ein sehr eindrucksvolles Salzburg-Debüt ab. Flott und der Dynamik der Komposition entsprechend führt er die Philharmoniker gut ausgewogen, aber farbenreich zwischen Poesie und Dramatik, für die Rezitative greift er selbst in die Tasten des Hammerklaviers.
Hinweis
„Don Giovanni“ ist bei den Salzburger Festspielen noch am 7., 9., 13., 18. und 21. August im Haus für Mozart zu sehen. Am Montag zeigt „kultur.montag“ um 22.30 Uhr in ORF2 Ausschnitte aus dem Stück sowie ein Porträt von Valentina Nafornita - mehr dazu in tv.ORF.at.
Einmal Hölle und zurück
Der Austausch am Pult hat sich also ausgezahlt. Bei der Premiere 2014 musste Christoph Eschenbach einiges an Buhrufen anhören, auch Bechtolf bekam Missfallensbekundungen zu hören. In diesem Jahr, nach der missglückten Höllenfahrt - Don Giovanni darf in der Inszenierung nämlich trotz heftigen Rotlichtflackerns und Teufelsmasken letztlich weiter weltlich braten -, hörte sich das schon anders an: ausschließlich freundlicher Jubel im Haus für Mozart - für alle Beteiligten.
Sophia Felbermair, ORF.at