Szene aus Endspiel

Salzburger Festspiele / Bernd Uhlig

„Endspiel“: Das perfekte Match

Bestellt man für eine Beckett-Inszenierung eine Regielegende wie Dieter Dorn und dazu Schauspieler wie das langjährige Bühnentraumpaar Nicholas Ofczarek und Michael Maertens, dann darf man sich über einen Erfolg eigentlich nicht wundern. Das Apokalypsedrama „Endspiel“ hat am Samstagabend das Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele eröffnet und das Publikum im Landestheater mit perfektionistisch-klassischer Darstellung begeistert.

Die „Endspiel“-Welt Becketts in der Clowntragödie ist geschlossen: Eine Gesellschaft, die noch zu retten wäre, gibt es nicht mehr, übrig ist nur mehr ein völlig zerschlissenes und auf ein verzerrtes Minimum reduziertes Abbild davon. Die äußere Welt ist längst untergegangen - was bleibt, ist eine Ruinenepoche, in der außer vier schwer beschädigten Figuren niemand mehr existiert.

Szene aus Endspiel

Salzburger Festspiele / Bernd Uhlig

Mehr Welt gibt es nicht mehr. Eine Ratte wird noch auftauchen, und ein Floh (oder eine Filzlaus?)

„Der Schachkönig einer verlorenen Partie“

Das exzentrische Egozentrum davon ist Hamm (Ofczarek). Er thront im wahrsten Sinne des Wortes in der Mitte der kleinen Holzkiste, die am Ende die ganze Welt sein muss. Er ist blind und gelähmt und bleibt trotzdem der Herrscher, der die Fäden in der Hand hält. Tyrannisch sitzt er da, Befehle schreiend, selbstgefällig philosophierend.

Für Beckett ist die Figur der „König dieser von vorneherein verlorenen Schachpartie“ - von Anfang an wissend, dass seine Züge unsinnig und durchschaubar seien. Seine einzige (und auch die halbherzige) Bemühung ist es, das unvermeidliche Ende hinauszuzögern.

Szene aus Endspiel

Salzburger Festspiele / Bernd Uhlig

Ein Mann, ein Thron

Ofczarek, der sonst so oft in Rollen brilliert, in denen er mit voller Körperlichkeit agiert und die Bühne einnimmt, zeigt mehr als zwei Stunden lang, dass er das auch voll und ganz im Sitzen kann.

Die vermeintliche Freiheit

Sein Diener oder Sohn Clov (Maertens) kennt kein anderes Leben - alles, was er weiß, weiß er von Hamm, was er sagt, sagt er im Wesentlichen nach. Auch Clov ist beschädigt, kann nicht sitzen und schwer gehen - und doch hat er als Einziger die Freiheit, sich im Raum zu bewegen.

Minutenlang arbeitete sich Maertens im stummen Vorspiel auf grandiose Weise ab, schleppt sich und eine Leiter über die Bühne, schlurft langsam, mühsam, jeder Schritt schon beim Zuschauen eine Qual. Präzise und feingliedrig agiert Maertens hier von tiefem Textverständnis geprägt.

Die Elterngeneration wird weggeworfen

Die verstümmelten Eltern Hamms (ihre „Haxen“ haben sie bei einem Tandemunfall in den Ardennen verloren) wurden im wahrsten Sinne des Wortes in die Tonne getreten - in zwei solchen stecken nämlich Barbara Petritsch und Joachim Bissmeier als ganz großartiges Paar Nell und Nagg. „Nichts ist komischer auf der Welt als das Unglück“, sagt Nell - und spricht damit den Satz, der das Archetypische des absurden Theaters auf den Punkt bringt.

Szene aus Endspiel

Salzburger Festspiele / Bernd Uhlig

Die abservierten Eltern, in die Tonne getreten

Theater, „auf seine eigenen Mittel reduziert“

Beckett hat stets deutlich gemacht, dass er seine Texte nicht unbedingt von Regieeinfällen vergewaltigt sehen wollte. „Ich glaube nicht an eine Kollaboration der Künste, ich will ein Theater, das auf seine eigenen Mittel reduziert ist. Wort und Spiel, ohne Malerei, ohne Musik, ohne Gefälligkeiten.“

Was sich Beckett für sein Stück gewünscht hat, bekommt er von Dorn, der mit 80 Jahren noch immer keineswegs auf dem Sprung in die Pension zu sein scheint. Der langjährige Münchner Theaterdirektor gilt als penibler Textforscher, der seine Zeit nicht mit Regieideen, sondern mit detailreicher Textarbeit verbringt. Wenig überraschend deshalb hält sich Dorn auch hier an die weit verbreitete Ansicht, dass die Struktur des „Endspiels“ sakrosankt bleiben muss.

Regisseur Dieter Dorn

Salzburger Festspiele / Bernd Uhlig

Dieter Dorn, Theaterlegende

Die Freiheit zu interpretieren, nimmt sich Dorn dabei nämlich explizit nicht heraus. Er lässt die Schauspieler vielmehr den Worten der fragmentierten Szenen nachspüren, lässt sie Betonungen genauso gezielt setzen wie Pausen und Wiederholungen.

Hinweis

„Endspiel“ ist bei den Salzburger Festspielen noch am 3., 4., 6., 7. und 8. August jeweils um 19.30 Uhr im Salzburger Landestheater zu sehen.

Selbst das Bühnenbild von Jürgen Rose entspricht genau dem, wie es sich Beckett vorgestellt haben mag - es müsse „aus dem Text hervorgehen, ohne irgendwelche Zutaten“, so der Autor 1951.

Die Deutung obliegt so rein den Zuschauern, die sich dafür in Salzburg recht stürmisch bedanken. Mit „Endspiel“ und der Verbindung von meisterhaften Schauspielern und einem Regisseur, den Beckett vielleicht selbst ausgesucht hätte, hat Bechtolf dem Publikum das gegeben, wonach es offenbar fast ausgehungert war: werktreues Theater auf höchstem Niveau. Ganz die alte Schule, ganz zeitlos.

Sophia Felbermair, ORF.at

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