Endlose Höllenparty zur Eröffnung
Es ist die dritte Oper des Briten, der nicht nur einer der wenigen zeitgenössischen Komponisten ist, dessen Werke „Powder Her Face“ und „The Tempest“ auf den größten Bühnen der Welt gespielt werden, sondern mit 45 Jahren einer der jüngsten. Für das Auftragswerk der Salzburger Festspiele hat er Bunuels Schwarz-Weiß-Klassiker aus dem Jahr 1962 (dt.: „Der Würgeengel“) als Grundlage genommen - einen Stoff, der schon seit seiner Jugend an ihm gehaftet habe, wie er sagt.

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Eingesperrt und ahnungslos: Die Festgesellschaft verfällt dem Wahnsinn
Der unterirdische Fluss der Bedeutung
Gemeinsam mit Librettist und Regisseur Tom Cairns arbeitete er jahrelang an der Bearbeitung. Die Geschichte über eine noble Partygesellschaft, die aus nicht definierten Gründen in einem Salon gefangen ist, wird auf unterschiedlichste Weise interpretiert, zumeist als surreale Parabel der Willenlosigkeit gelesen und gipfelt im völligen Verfall von sozialen Konventionen. Dieses Motiv der Gesellschaft, die von der Umwelt abgeschnitten auf sich selbst gestellt ist, ist in Literatur und Film quasi ein Dauerbrenner. Auch „The Exterminating Angel“ wird als Lehrstück über die menschlichen Verhaltensmuster unter Druck gelesen - Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ mit absurd-komischen Dialogen, ein „Herr der Fliegen“ in der High Society, ein „Lost“ ohne Insel.

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Die Hölle sind nicht immer nur die anderen
Die vielleicht beste Erklärung für den Film sei, „dass es von der Vernunft her keine Erklärung gibt“, schrieb Bunuel, der für seinen „Exterminating Angel“ gänzlich ohne Filmmusik auskam. Sie sei dennoch sehr musikalisch, sagt Ades - durch „einen unterirdischen Fluss von Bedeutung, der nicht dem entspricht, was die Personen sagen“. Mit einer Vertonung holt er nun das hervor, was unter den absurden, rätselhaften und oft schrägen Dialogen und dem Strudel des Wahnsinns liegt.
Mit Walzerklängen in den Irrsinn
In den drei Akten und knapp zweieinhalb Stunden schafft Ades dafür eine Klangwelt, in der er sich der ganzen Palette der klassischen Musikgeschichte bedient und so ein akustisches Gemälde zeichnet, das mit Farbreichtum glänzt: minimale sphärische Arien, barocke Formenwelten, lyrische Liebesduette, eine „Panikfuge“, deren Motive eine verzerrte Collage aus Strauß-Walzern darstellen, und wuchtige Höhepunkte.

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Allianzen und Affären auf der andauernden Party
Das ORF-Radio-Symphonieorchester, geleitet vom Komponisten selber, transportiert die Spannung von der ersten bis zur letzten Minute. Auch von den Sängern verlangt Ades dabei keine Kleinigkeiten. Die zwölfköpfige Tischgesellschaft ist fast durchgehend auf der Bühne und dabei nicht nur sängerisch, sondern auch darstellerisch überdurchschnittlich gefordert.
Solisten glänzen im Ensemble
Bei der Uraufführung zeigte sich die hochkarätige Besetzung dem gewachsen: Anne Sophie von Otter, Amanda Echalaz, Sally Matthews und Sophie Bevan, Thomas Allen, Charles Workman und John Timlinson - um nur einige von ihnen zu nennen. Eine Hervorhebung Einzelner fällt bei einer derartigen Ensembleleistung - zu der auch der Salzburger Bachchor (Leitung: Alois Glassner) beiträgt - schwer.

Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Ein Portal markiert die unsichtbare Barriere zur vermeintlichen Freiheit
Regisseur Cairns illustrierte den Verfall der Partygäste in der klaustrophoben Atmosphäre deutlich und schuf plastische, mit der Musik korrespondierende Bilder, die in einzelnen Szenen fast zauberhaft bis an die Grenze des Kitschs gehen. Im Bühnenbild von Ausstatterin Hildegard Bechtler dominiert ein riesiges Portal die Grenze zur anderen Seite - das unüberwindbare Hindernis, das die Gefangenen erst ganz am Ende schließlich doch bewältigen können - hinaus in die scheinbare Freiheit.
Notlösung, aber kein Lückenbüßer
Der lange andauernde Schlussapplaus im nicht ausverkauften Haus für Mozart galt recht einhellig allen Beteiligten - mit nur einer großen Steigerung: Komponist Ades wurde mit Standing Ovations gefeiert.
Hinweis
„The Exterminating Angel“ ist bei den Salzburger Festspielen noch am 1., 5. und 8. August jeweils um 19.00 Uhr im Haus für Mozart zu sehen.
Dass er an diesem Abend an diesem Pult und auf dieser Bühne stehen durfte, war eigentlich eine Art Notlösung: Als Eröffnungsoper hätte in diesem Jahr ja - seit vier Jahren ein Running Gag der Programmierung - das bei György Kurtag in Auftrag gegebene „Endspiel“ gezeigt werden sollen. Weil dieses nach wie vor im Entstehen ist, wurde es „The Exterminating Angel“ - alles andere als ein Lückenbüßer, wie sich gezeigt hat.
Sophia Felbermair, ORF.at