
APA/AFP/John Macdougall
Nach „Brexit“: Kein Stein auf dem anderen
Die umstrittene Frage nach dem Dominoeffekt

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Befragt man Experten in Brüssel nach dem Dominoeffekt bei einem „Brexit“, dann trifft man auf zwei Denkschulen. Die einen sagen, dass gleich mehrere Länder umfallen würden - die Niederlande, Dänemark und Polen zum Beispiel. Die anderen sagen: Im Gegenteil. Das, was unmittelbar auf ein „Leave“-Voting folgen würde, sei dermaßen abschreckend, dass so schnell keiner mehr auf eine ähnliche Idee kommen würde. Als würde das, was - in puncto Schlammschlacht - vor dem Referendum so abgelaufen ist, nicht schon reichen.
Neue Art der Politik

Dr. Melanie Sully
Politologin Melanie Sully: Die „Brexit“-Bewegung wird kaum verschwinden - egal wie es ausgeht. Parteiübergreifende Verbindungen wurden abgebrochen, andere sind entstanden. Das könnte zu einer neuen Art des Politikmachens führen.
Wer wählt wie?
Über diese Frage ist im Vorfeld mit Lust am Stereotyp heftig spekuliert worden: junge, gebildete und urbane Wählerinnen und Wähler, besonders die Londoner pro „Remain“ - ältere, wenig gebildete, rurale Britinnen und Briten pro „Brexit“. So lautete stets die - wohl auch etwas vereinfachte - Sicht.

APA/AFP/Lindsey Parnaby
Last-Minute-Mobilisierung
Vor Hängepartie in Wales
Nach Regionen gesehen gelten London, Schottland und Nordirland als fixe Bank für „Remain“. In Wales lassen die Umfragen eine Hängepartie erwarten. England - exklusive London - wird dagegen wohl klar für „Leave“ stimmen.
No matter the outcome it won't say a lot about the essential condition of the UK, aside from highlighting how divided we are. #referendum
— James (@JMSGDLL) 23. Juni 2016
Nordirland, die EU und der Frieden

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: Für Nordirland ist das Votum besonders wichtig, und der Ausgang könnte den Friedensprozess beeinflussen. Nordirland profitierte besonders von EU-Hilfen - darunter auch gezielte Friedensinitiativen.
Sinn Fein forderte bereits eine eigenes Abspaltungsreferendum für den Süden der Provinz, sollte Nordirland für „Remain“ und England für „Leave“ stimmen. Das ist aber unwahrscheinlich, weil nach dem Karfreitagsabkommen, das den Friedensprozess regelt, London einem vereinten Irland zuerst zustimmen muss.
Rauswerfen geht nicht

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Aus den Warnungen, die Juncker und Schulz in den letzten Tagen über den Ärmelkanal geschickt haben, kann man heraushören: Neben einem „Brexit“ gibt es noch ein anderes Szenario, das der EU richtig Angst macht. Wenn die Briten für einen Ausstieg stimmen, dann muss die Regierung nämlich erst einmal den offiziellen Austrittsantrag stellen. Gesetzt den Fall, sie tut das nicht, kann es wirklich nervig werden. Wenn etwa Cameron das Feld räumt und sein Nachfolger versuchen würde, noch einmal neue Deals herauszuschlagen. Dann wäre Brüssel quasi in Geiselhaft. „Leave is leave“, sagt Schulz, „out is out“, sagt Juncker. „Nachverhandelt wird nicht“ und „mehr Reformen wird es nicht geben“, sagen beide - kein Wunder.
Fahrplan durch Nacht - I
Insgesamt 382 regionale Ergebnisse werden in der Nacht und in den frühen Morgenstunden „erklärt“. Erste Ergebnisse werden aus Gibraltar und von den Scilly-Inseln vor der Südwestspitze Englands erwartet - um circa 1.00 Uhr. Ein Trend wird sich davon freilich nicht ablesen lassen.
Aus der Region Sunderland an der englischen Nordostküste wird etwas später ein deutliches „Leave“-Votum erwartet. Das Ergebnis aus dem Londoner Finanzdistrikt (nur 7.000 Wahlberechtigte) wird eindeutig „In“ sein. Aufpassen empfiehlt die „Financial Times“ beim Ergebnis (ca. 2.00 Uhr) von Darlington ebenfalls im Nordosten Englands - dort fand übrigens 1825 die Jungfernfahrt des ersten Personenzugs statt.

APA/AFP/Lindsey Parnaby
Wählen - und dann noch schnell frisieren
Fahrplan durch die Nacht - II
Rund um 3.00 Uhr sollten erste Ergebnisse aus Schottland - darunter die Regionen Angus, East und North Ayrshire - „Remain“ stärken. Etwas später sollte auch Enfield in London ausgezählt sein - alles andere als ein klares „In“ wäre ein schlechtes Vorzeichen für Cameron.
Um 3.30 Uhr werden beide Lager dank Präsenz in den Wahllokalen wohl bereits ein sehr deutliches Bild haben - auch wenn die Verkündung des landesweiten Ergebnisses noch Stunden entfernt ist.
Fahrplan durch die Nacht - III
Um 4.00 Uhr könnte sich der Ausgang abzeichnen. Jetzt sollte auch die City of Lancaster ihr Ergebnis veröffentlichen - laut dem Politologen und Wahlexperten Chris Hanretty wird das nationale Ergebnis dem von Lancaster entsprechen.
Um 4.30 Uhr sollten mit Edinburgh, Aberdeen und Dumfries weitere schottische Teilergebnisse hereinkommen - mit klaren Mehrheiten für „Remain“. Interessant wird vor allem die Wahlbeteiligung.
Fahrplan durch die Nacht - IV
Gleich 88 Gebiete werden um rund 5.00 Uhr ihre Ergebnisse bekanntgeben. TV-Stationen könnten ab jetzt mit Prognosen beginnen - außer das Rennen ist „too close to call“, sprich: „arschknapp“.
Um 6.00 Uhr werden bereits neun von zehn Regionen ausgezählt sein. Nun bleiben vor allem ländliche Gebiete übrig, die teils deutlich „Leave“ wählen dürften.
Sobald alle regionalen Ergebnisse vorliegen, wird Jenny Watson, die Vorsitzende der nationalen Wahlbehörde, aus dem Rathaus von Manchester das Gesamtergebnis bekanntgeben - übrigens wohl genau zum Frühstück.

APA/AFP/Leon Neal
Unterwegs zum Wahllokal
Hohe Wahlbeteiligung
Eine sehr hohe Wahlbeteiligung zeichnet sich ab. Viele Briten schreiben auf Twitter, sie hätten noch nie so viele Menschen zu den Wahlen gehen gesehen.
I predict massive turnout for #referendum my chippy is next to polling station. NEVER seen this many folks for any election
— 100_bozons (@ch1peater) 23. Juni 2016
Achtung auf Nordosten Englands

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: Aufpassen auf das Wahlergebnis in Nordostengland. Besonders Yorkshire, wo letzte Woche die Labour-Abgeordnete Jo Cox ermordet wurde. Wird die Beteiligung höher als erwartet sein und wird das „Remain“-Lager über dem landesweiten Durchschnitt liegen?
Wer will, kann gehen

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Wenn sich die Briten für einen Ausstieg entscheiden, dann dürfen die britischen EU-Parlamentsabgeordneten ihr Mandat bis zuletzt, also sicher noch zwei Jahre, ausüben. Dass zumindest die Austrittsbefürworter nicht mehr zurückkommen würden, ist aber anzunehmen.
Zumindest hat UKIP-Chef Nigel Farage bei seiner - gewohnt theatralischen - Wortmeldung vor zwei Wochen gesagt: „I’ going out now I maybe sometime.“ Den Spruch hat er vom britischen Polarforscher Lawrence Oates geborgt. Der hat 1912 gemeinsam mit Robert F. Scott das Rennen zum Südpol gegen Roald Amundsen verloren - und ist mit diesen Worten zum Sterben aus dem Zelt in die Kälte gegangen.
Verkehrschaos in London
Eigentlich sollte der Termin gutes Wetter garantieren, damit möglichst viele Briten abstimmen. Doch nach heftigen Regenfällen ist es heute in London und dem Südosten Englands zu Straßensperren und Zugausfällen gekommen. U-Bahn-Haltestellen, Straßen und Keller wurden teilweise überflutet.
Abstimmung in Zielgerade
Die letzten Minuten des historischen Votums laufen. Aktuelle Wetten lassen beim erst dritten landesweiten Referendum ein Ja für den Verbleib in der EU erwarten. Doch alles ist möglich - und sowieso ist alles „Stay“ oder „Leave“:
Just went to close a window in Chrome - even browsers have sage advice for us today. #brexit #bremain #referendum pic.twitter.com/bY0Wvu2vsr
— Jerome Turner (@jezturner) 23. Juni 2016
Simple Botschaften hüben wie drüben

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: Beide Seiten haben auf einfache Botschaften gesetzt: Die Botschaft des „Brexit“-Lagers war, „die Kontrolle über das eigene Leben zurückgewinnen“. Das „Remain“-Lager setzte voll und ganz auf den alten Wahlkampfschlager „It’s the economy, stupid“.
Klar ist jedenfalls: Eine Stimme für den Verbleib ist keine Pro-EU-Stimme.
Thatcher als Modemodell für „Bremainianer“
Modetipps für „Bremainianer“ mit dem Model Maggie Thatcher hat der „Guardian“:
Thatcher’s pro-Europe jumper – perfect referendum day fashion https://t.co/uMYzTTAXlh
— The Guardian (@guardian) 22. Juni 2016
GB- vs. EU-Verwaltung 0:1

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: Apropos schlechtes Wetter: Zu Jahresbeginn mussten viele Menschen im Nordosten Englands wegen Überschwemmungen ihre Häuser verlassen. Die Regierung weigerte sich zunächst, um EU-Hilfe in Brüssel anzusuchen. Als sie das nach langem Zögern doch tat, gab es administrative Probleme. Brüssel wartete derweil vergeblich auf das Hilfsansuchen, um aktiv werden zu können.
US-Börsen beflügelt
Die US-Börsen haben klar im Plus geschlossen. Das heißt: An der Wall Street rechnet man mit einem Votum für einen britischen Verbleib in der EU.
- Dow Jones Industrial Index + 1,29 Prozent
- S&P-Index + 1,34 Prozent
- NASDAQ + 1,59 Prozent.
Lieblinge müssen draußen bleiben
Einstieg mit Onlinebefragung
Unmittelbar nach Wahlschluss will YouGov eine Onlinebefragung veröffentlichen. Da es praktisch keine Vergleichswerte mit anderen Referenden gibt, ist aber unklar, wie genau diese sein wird. YouGov hatte allerdings eine ähnliche Befragung nach dem Schottland-Referendum vor zwei Jahren vorgelegt und das Endergebnis damit relativ genau vorhergesagt.
Wahlbeteiligung in Gibraltar: 84 Prozent
Gibraltar gibt unmittelbar vor der Schließung der Wahllokale die Beteiligung bekannt: Sie liege bei fast 84 Prozent, meldet die Press Association.
Wahllokale geschlossen
Die Wahllokale im ganzen Land haben geschlossen. Aber erst in der Früh wird klar sein, ob Premier David Cameron oder sein innerparteilicher Kontrahent Boris Johnson und der rechtspopulistische UKIP-Chef Nigel Farage siegreich aus einem der bittersten Wahlkampagnen Großbritanniens hervorgegangen sind.
YouGov-Umfrage: 52 Prozent für „Remain“
Laut der Onlinebefragung von YouGov haben 52 Prozent für einen Verbleib bei der EU gestimmt - 48 stimmten für einen „Brexit“. Angesichts des knappen Ergebnisses gilt aber erst recht: Es bleibt abzuwarten, wie verlässlich die Umfrage am Wahltag ist.
Pfund steigt
Das britische Pfund steigt um 0,75 Prozent zum Dollar auf ein Sechsmonatshoch von 1,4987 Dollar.
Auch Farage sieht Mehrheit für „Remain“
Auch UKIP-Chef Farage sieht eine Mehrheit für die EU-Befürworter. Das sagt er dem Sender Sky.
80 Abgeordnete appellieren an Cameron
80 konservative Abgeordnete - darunter alle Minister - fordern von Premier Cameron, unabhängig vom Wahlausgang im Amt zu bleiben. Das berichtet der „Telegraph“.
Auszählung läuft
Die Auszählung der Stimmen hat begonnen. Das teilte die Leiterin der nationalen Wahlkommission, Jenny Watson, mit.
Cameron bedankt sich bei Pro-EU-Wählern
Premierminister Cameron bedankt sich bei allen Pro-EU-Wählern: „Dank an alle, die dafür gestimmt haben, dass Großbritannien stärker, sicherer und besser in Europa bleibt“, so Cameron nach Schließung der Wahllokale auf Twitter. Erste Wählerbefragungen deuten auf einen leichten Vorsprung des Lagers der EU-Befürworter hin.
Thank you everyone who voted to keep Britain stronger, safer & better off in Europe - and thousands of @StrongerIn campaigners around the UK
— David Cameron (@David_Cameron) 23. Juni 2016
Farage macht Rückzieher
UKIP-Chef Farage will nun offenbar doch zuerst die Ergebnisse abwarten. Nachdem er dem Sender Sky gesagt hat, „Remain“ dürfte gewonnen haben, meldet sich nun der Sprecher der „Leave“-Kamapagne zu Wort: Farage habe ihm eben gesagt, dass er nicht mehr als irgendjemand anderer über den Ausgang des Referendums wisse.
Ältere Umfrage - deutlichere Mehrheit
Auch das Forschungsinstitut Ipsos-Mori zieht eine Umfrage nach, deren Ergebnisse sie bis zum Schluss der Wahllokale nicht publik machten durfte: Nach der Erhebung vom Mittwoch und Donnerstag waren 54 Prozent der Befragten für einen Verbleib in der EU und 46 Prozent für einen Austritt, schreibt Ipsos-Mori-Chef Ben Page auf Twitter - aber die Umfrage ist nicht repräsentativ.
Off to @CNBCi @CNBC to talk #EuRef in few mins. We have carried on polling and have 54 Remain v 46 Leave today/yesterday
— Ben Page, Ipsos MORI (@benatipsosmori) 23. Juni 2016
Gibraltar ganz „in“

APA/AFP/Jorge Guerrero
Ein kontinentales Frühstück?

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: Nun steht eine lange Auszählnacht bevor - 382 Wahlbezirke werden, über die Nacht verteilt, die Ergebnisse bekanntgeben. Die Auszählung erfolgt durch Beamte - sie werden nicht von Parteien entsendet. Das Endergebnis soll zur Frühstückszeit bekanntgegeben werden - was wird serviert: ein englisches oder eine kontinentales Frühstück?
Auch Boris Johnson sagt „Danke“
Boris Johnson, Wortführer des „Brexit“-Lagers beim britischen EU-Referendum, sagt „Danke“. „Wir erwarten das Urteil des Volkes. Dank an alle, die beteiligt waren, und an alle, die gewählt haben“, twittert der ehemalige Londoner Tory-Bürgermeister.
The polls have now closed, democracy has been served + we await the verdict of the people. Thanks to everyone involved + everyone who voted
— Boris Johnson (@BorisJohnson) 23. Juni 2016
EU-Kommission um Mitternacht

ORF.at/Sophia Felbermair
Auch Brüssel steht diese Nacht unter Strom.
Rote Karte für Irreführung

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: Wenn die Wahlbeteiligung bei 84 Prozent - so wie in Gibraltar - liegt, wäre das fast so hoch wie beim Schottland-Referendum (85 Prozent). Die hohe Beteiligung ist ein gutes Zeichen für die Demokratie. Aber die aggressiven Kampaganen und gefälschte Statistiken machen eine Reform der Bestimmungen rund um die Abhaltung von Referenden nötig. Eine Rote Karte könnte etwa all jenen gezeigt werden, die die Öffentlichkeit unverfroren irreführen.
„The Final Countdown“

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: In der britischen Botschaft in Brüssel soll heute eine der wildesten Partys steigen - bei strikt geschlossener Gesellschaft. Für die Diplomaten und Angestellten dort ist die Nacht eine Zäsur, während der sie ein paar Stunden Ruhe haben - weil sie eh nichts mehr ändern und auch noch nicht reagieren können.
Böse Zungen behaupten, dass das Fest nur deshalb stattfindet, weil man die Botschaftsmitarbeiter von anderen Veranstaltungen fernhalten will, wo sie womöglich irgendwann geheime Details ausplaudern könnten. Das EU-Nachrichtenblog Euractiv.com will die Playlist kennen. Mit dabei: die schwedischen Rocker Europe und der Klassiker „The Final Countdown“.
96 Prozent für Verbleib - in Gibraltar
Besser wird es für das „In“-Lager vermutlich nicht werden: Gibraltar hat als erste Region fertig ausgezählt. Das Ergebnis könnte man eindeutig nennen: 96 Prozent für den EU-Verbleib (19.322 Stimmen), vier Prozent für den Austritt (823 Stimmen) - bei 84 Prozent Wahlbeteiligung.
Farage wirft Cameron Tricksereien vor
Farage betont im Interview mit dem TV-Sender Sky: „Das Gefühl sagt mir, dass ‚Remain‘ gewinnt, aber ich räume die Niederlage noch nicht ein.“ Und er hat auch schon einen Schuldigen gefunden: die Regierung, die mit Tricksereien die Zahl der Wahlberechtigten erhöht habe.
Farage meint damit die Verlängerung der Registrierungsfrist nach einer Computerpanne. Für Farage ist nach dem Referendum vor dem Referendum: „Auch wenn wir heute Nacht die Schlacht verlieren sollten - wir werden diesen Krieg gewinnen.“
.@Nigel_Farage says "the Eurosceptic genie is out of the bottle" #EUref https://t.co/zCvMOfBGv0
— Sky News (@SkyNews) 23. Juni 2016
Cameron vor Regierungsumbildung?

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: Die große Frage, wenn „Remain“ wirklich gewinnt: was tun mit Boris Johnson? Ihm einen Ministerposten geben, um ihn abzulenken? Wenn ja, welches Ressort? Ein unbeliebtes, sodass er nur Fehler machen kann? Das ist der alte Trick von Regierungschefs, um Rivalen kaltzustellen. Michael Gove, der von Camerons auf die „Brexit“-Seite wechselte, könnte das Justizministerium verlassen. Das schafft Raum für eine Regierungsumbildung.
Zweiter Wahlbezirk für „Remain“
Nach Gibraltar geht auch Newcastle upon Tyne im Nordosten Englands an das „Remain“-Lager, allerdings denkbar knapp: 50,7 Prozent für und 49,3 Prozent gegen einen EU-Verbleib.
Debatte über Briefwahlstimmen
Deja-vu: Bei der BBC geht bereits eine Briefwahlstimmendebatte los. Demnach erwarten Experten, dass das Gros der vielen Briefwahlwähler Ältere sind und daher mit klarer Mehrheit für „Brexit“ stimmten. In Newcastle könnten die Briefwahlstimmen den Ausschlag geben.
Übrigens: In Großbritannien kann nicht nur per Briefwahl gewählt werden - man kann auch einen Stellvertreter („Proxy“) mit der Stimmabgabe beauftragen.

APA/AFP/Robert Perry
Wahlboxen werden zum Zählen gebracht.

APA/AFP/Niklas Halle'n
Anders als in Österreich können in Großbritannien Parteien keine Beisitzer entsenden.
Zwischenstand: Fünf Wahlkreise ausgezählt
Fünf der 382 Wahlkreise sind bisher ausgezählt. Mit Sunderland im Nordosten Englands, das traditionell Labour-Gebiet ist, geht die erste Region an das „Leave“-Lager.
Formal nicht bindend

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: Das Referendum ist rein verfassungsrechtlich nicht bindend für das Parlament. Auch wenn es ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen werden sollte: Eine landesweite Neuauszählung kann es nicht geben. Eine Wiederholung der Auszählung ist nur auf Ebene der Wahlkreise möglich.
Schotten referendumsmüde
Die Wahlbeteiligung - sie gilt als entscheidend für den Ausgang - könnte doch niedriger sein als erwartet. Schottland erwartet laut Konservativen um die 70 Prozent. Das liegt deutlich unter dem Schottland-Referendum vor zwei Jahren (85 Prozent). Wenige abgegebene Stimmen - das könnte für „Remain“ gerade in Schottland, das als Hochburg des Pro-EU-Lagers gilt, besonders bitter sein.
„We do not comment on ...“

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Die Beliebtheitswerte der EU-Institutionen in Großbritannien sind ziemlich im Keller, das weiß man dank Eurobarometer-Umfragen auch in Brüssel. Nicht umsonst haben Jean-Claude Juncker, Martin Schulz und Co. in den vergangenen Wochen tunlichst vermieden, sich auf der Insel blicken zu lassen.
Der Sprecherdienst der EU-Kommission hatte alle Hände voll zu tun, um Fragen nach dem britischen Referendum so gut wie möglich zu umschiffen - sogar das Wort „Brexit“ soll aus dem offiziellen Kommunikationswortschatz verbannt worden sein. In wenigen Stunden wird man sich dann wohl oder übel äußern müssen. Chefsprecher Margaritis Schinas hat es versprochen.
Pfund in Turbulenzen
Nach anfänglichen Gewinnen hat das britische Pfund mittlerweile wieder deutlich verloren. Die Devisen- und Börsenkurse gehen mit jedem Teilergebnis rauf oder runter.
British Pound (Grafik: Bloomberg) | #EURef #Brexit pic.twitter.com/B5nyPVMSa0
— mediareloaded (@mediareloaded) 23. Juni 2016
55 Prozent als Marke

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: Cameron kündigte das Referendum vor drei Jahren an, weil die demokratische Legitimität für die EU hauchdünn war. Wenn „Remain“ nicht über 52 Prozent hinauskommt, dann sind wir nicht weiter als bisher. Maßstab war das schottische Referendum. Gerechnet wird damit, dass jedes Ergebnis unter 55 Prozent eine Niederlage für den Premier ist.
Abrechnung mit dem Establishment
Die BBC berichtet, dass viele Menschen erstmals seit Jahrzehnten wählen gingen. Nach den Motiven gefragt, sagen sie alle: „Mit dem Politestablishment abrechnen.“ Damit ist das britische Establishment genauso gemeint wie jenes in Brüssel.
Die BBC hat eine ausführliche und übersichtliche Grafik zu den Ergebnissen:
If you are interested in #Brexit results, this BBC World page automatically updates as result come in https://t.co/fJfwPFVcYC
— Beneviolent © Pandy (@pandymonium01) 24. Juni 2016
Streit übers Geld

Grafik: ORF.at; Quelle: ec.europa.eu
Ein wesentlicher Teil des Wahlkampfs waren falsche Angaben darüber, wie viel das Vereinigte Königreich Brüssel zahlt.
„Brexit“-Lager bei Auszählung voran
In den ersten Stunden nach Schließung der Wahllokale liegen die Brexit-Befürworter vorn. Laut der Nachrichtenagentur Press Association (PA) haben die EU-Gegner nach Auszählung von neun der 382 Wahlkreise mit 53,9 Prozent die Nase vorn. Der Fernsehsender ITV meldet, nach Auszählung von mehr als einer halben Million Stimmen liege das Lager der Ausstiegswilligen mit 50,6 Prozent in Führung.
Der Stand der Dinge - I
In aller Kürze der aktuelle Stand: Laut YouGov-Umfrage haben die Briten mit 52 Prozent für einen Verbleib in der EU gestimmt. 11 Wahlkreise sind mittlerweile ausgezählt - und hier ist das Bild anders: „Leave“ liegt deutlich voran. Die Wahlbeteiligung ist bisher niedriger als erwartet.
Camerons Platz in den Geschichtsbüchern
Cameron könnte als „Mister Referendum“ in die Geschichte eingehen: Die Abspaltung Schottlands - das Referendum war 2014 - konnte er abwenden. Doch durch ein Wahlversprechen verpflichtete er sich im Jahr darauf zum „Brexit“-Referendum - und das nur, um die EU-Kritiker in der eigenen Partei ruhigzustellen. Nur um damit - im Fall eines EU-Austritts - ein neues Schottland-Referendum loszutreten.
Das Ziel, den parteiinternen Graben zwischen EU-Befürwortern und -Skeptikern dauerhaft zuzuschütten, hat Cameron bereits verfehlt. Im Gegenteil: Der Graben ist noch tiefer geworden. Ganz nebenbei verschaffte Cameron damit auch der rechtsnationalen UKIP von Nigel Farage starken Auftrieb.
Cameron sah das freilich unmittelbar vor der Abstimmung anders: Das Referendum wäre früher oder später sowieso gekommen, so Cameron zur „Financial Times“.
Alle im Einsatz

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Schon der normale EU-Alltag ist vollgepackt mit Sitzungen, Meetings, Pressekonferenzen und Briefings. Ab Freitag ist es meistens aber deutlich ruhiger. Für die kommenden Tage ist das eher nicht zu erwarten: Die Terminkalender sind voll - von den Spitzen bis zu den Praktikanten, am Platz Luxemburg in Brüssel, in Luxemburg (dem Land) und auch sonst fast überall, wo ein EU-Türschild hängt.

ORF.at/Sophia Felbermair
Am Freitag treffen sich die EU-Spitzen Jean-Claude Juncker, Donald Tusk und Martin Schulz mit der niederländischen Ratspräsidentschaft, um das Ergebnis zu beraten. Die EU-Außenminister bereiten die Reaktion des EU-Gipfels nächste Woche vor.
Drittgrößter Absturz des Pfund
Das britische Pfund hat - angesichts des Vorsprungs von „Leave“ bei der Auszählung - mittlerweile den drittgrößten Absturz erlitten. Nur in der Finanzkrise 2008 und am „Schwarzen Freitag“ 1992, als das Pfund aus dem Wechselkurssystem geschossen wurde, stürzte die britische Währung stärker ab, erläutert Michael Mackenzie von der „Financial Times“. Keine gute Nachricht für die Londoner City, einen der wichtigsten Finanzplätze der Welt.
Pound move at number 3 with a bullet.... pic.twitter.com/FOC9x2tKTw
— michael mackenzie (@michaellachlan) 24. Juni 2016
Erstes Miniergebnis aus London
Der kleinste Wahlkreis überhaupt - die City of London - ist ausgezählt. Das erste Ergebnis - mit nur wenigen tausend Wahlberechtigten - entspricht den Erwartungen: 75 Prozent „Remain“, 25 Prozent „Leave“.
„Leave“ derzeit klar voran
Rund 30 der 382 Wahlkreise sind mittlerweile ausgezählt - und es zeigt sich, dass „Leave“ klar voranliegt. Das Gros der Ergebnisse entspricht den Erwartungen - überraschend sind aber die knappen Siege von „Remain“ im Nordosten Englands, einer langjährigen Labour-Hochburg. Insbesondere der hauchdünne Sieg in Newcastle (51:49) überrascht.
In der nordostenglischen Stadt Sunderland stimmten 61 Prozent für einen Ausstieg aus der EU, lediglich 39 Prozent für einen Verbleib - der Erfolg des „Brexit“-Lagers fiel dort erheblich klarer aus als erwartet.
Zettelwirtschaft bei der Auszählung

Reuters/Neil Hall
Stimmrechtsentzug für London?

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Bis die Scheidung abgewickelt wäre, hätten die Briten alle Rechte und Pflichten eines normalen Mitgliedslandes. Der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas, hält das für „absurd“. „Die Briten würden über EU-Gesetze mitentscheiden, die aber nicht mehr für sie selbst gelten würden“, sagt er und plädiert bei einem „Brexit“-Voting für einen Stimmrechtsentzug für Großbritannien sowohl im Parlament als auch im Rat.
Glasgow gegen „Brexit“
Doppelt so viele Stimmen in der schottischen Metropole Glasgow für „Remain“ wie für „Leave“.
Wetten lassen Pfund abstürzen
Der Wettanbieter Betfair beziffert die Wahrscheinlichkeit eines EU-Austritts auf 63 Prozent - das lässt das Pfund prompt weiter abstürzen. Der Finanzdistrikt handelt die ganze Nacht durch. Einige Hedgefonds gaben eigene Umfragen in Auftrag, diese wurden bisher aber nicht veröffentlicht.
Eine Entscheidung ist noch nicht in Sicht, die Spannung steigt:
Looking at these #Brexit results like... pic.twitter.com/2V5yyZL1Rx
— Helder Gil (@hgil) 24. Juni 2016
Märkte in Fernost haben „Brexit“-Blues

Reuters/Issei Kato
Börsen in Ostasien und Australien drehen wegen der „Brexit“-Zitterpartie ins Minus.
Liverpool ist „In“
58 Prozent „In“ in Liverpool, 42 Prozent „Out“.
111 Wahlkreise ausgezählt
Noch sind weniger als ein Drittel aller 382 Wahlkreise ausgezählt. Laut BBC werden die großen Vorsprünge, mit denen das „Brexit“-Lager seine Wahlkreise oft gewinnt, für „Remain“ schwer aufzuholen sein.
Bei der Gelegenheit nochmals die BBC-Grafik für einen schnellen Überblick:
If you are interested in #Brexit results, this BBC World page automatically updates as result come in https://t.co/fJfwPFVcYC
— Beneviolent © Pandy (@pandymonium01) 24. Juni 2016
Harte Nacht für Labour
Britische Kommentatoren sind sich in dieser Wahlnacht einig: Das Votum ist nicht nur gegen die EU, sondern auch gegen die eigene Politik gerichtet. Und: Es wirft ein grelles Schlaglicht auf die Schwäche von Labour, da vor allem in Kernregionen der Partei die „Leave“-Kampagne groß punkten kann.
London - eine gelbe „In"sel im blauen "Out“-Meer in England:
The difference between London and the rest of England has NEVER been clearer... #BrexitOrNot #referendum
— craig (@cidearing81) 24. Juni 2016
„Too close to call“
Noch immer ist das Rennen äußerst knapp. Für die BBC ist es noch viel zu früh, eine Prognose abzugeben. Der TV-Sender ITV dagegen wagt eine solche - mit dem Auszählungsstand von zehn Millionen: 49,3 Prozent „Remain“, 50,7 Prozent „Leave“.
Auch die Nachrichtenagentur Reuters wagt eine Prognose, die leicht abweicht: 49,6 „Remain“ - 50,4 „Leave“. Grundlage sind etwas mehr als ein Drittel der ausgezählten Wahlkreise.
Shakespeares Heimat für „Leave“
Stratford-on-Avon, der Wahlkreis, in dem sich Shakespeares Geburts- und Sterbeort Stratford-upon-Avon befindet, hat sich mit 52 Prozent für den EU-Austritt ausgesprochen.
Der Streit über die Deutung

Privat
FM4-Host Robert Rotifer, London: Das Resultat deutet ziemlich klar in Richtung Austritt. Jetzt beginnt die Frage nach der Interpretation: Die deindustrialisierten Gegenden im Norden Englands und in Wales, wo traditionell Labour gewinnt, haben großteils für den Ausstieg gestimmt. Die BBC interviewt einen Labour-Politiker nach dem anderen, der erklärt, dass man genauer zuhören müsse, wenn die Bevölkerung gegen sinkende Löhne und die mutmaßlichen Folgen von Einwanderung protestiert.
Konservative Stimmen wiederum bestehen darauf, dass „Leave“ kein Protest gegen das Establishment, sondern vor allem ein Mandat für britische Souveränität sei. Es wird die konservative Mehrheit im Unterhaus sein, die das Resultat politisch interpretiert.
Pro und kontra Dominoeffekt

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Befragt man Experten in Brüssel nach dem Dominoeffekt bei einem „Brexit“, dann trifft man auf zwei Denkschulen. Die einen sagen, dass gleich mehrere Länder umfallen würden - die Niederlande, Dänemark und Polen zum Beispiel. Die anderen sagen: im Gegenteil. Das, was unmittelbar auf ein „Leave“-Voting folgen würde, sei dermaßen abschreckend, dass so schnell keiner mehr auf eine ähnliche Idee kommen würde. Als würde das, was - in puncto Schlammschlacht - vor dem Referendum abgelaufen ist, nicht schon reichen.
Farage „träumt“
Nigel Farage, Chef der rechtspopulistischen UKIP, ist optimistisch: „Ich wage nun zu träumen, dass die Morgendämmerung für ein unabhängiges Vereinigtes Königreich kommt.“
I now dare to dream that the dawn is coming up on an independent United Kingdom.
— Nigel Farage (@Nigel_Farage) 24. Juni 2016
Unmittelbar nach Wahlschluss hatte Farage noch geglaubt, das Rennen verloren zu haben.
„In“-Lager hofft noch
Das „In“-Lager hofft noch - doch mittlerweile müssten die noch nicht ausgezählten Wahlkreise mit großem Vorsprung gewonnen werden. Bisher war aber genau das Gegenteil der Fall.
Sehnsucht nach der guten alten Zeit

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: Der Zulauf zu „Leave“ und die Tatsache, dass Immigration zum zentralen Thema wurde, haben weniger etwas mit einem unbewältigten kolonialen Erbe zu tun. Eher drückt sich darin die Sehnsucht nach einer Zeit aus, als das Leben noch stabil und geregelt war.
Bei einer TV-Debatte sagte eine Frau aus dem Publikum: „Wir gehen unter.“ Das Einwanderungsthema ist das Kürzel für das Nichtfunktionieren des Gesundheitssystems und das Gefühl, ökonomisch und sozial an den Rand gedrängt zu werden. Und die Betroffenen sagen dann: Diese Leute kommen und bekommen alles umsonst.
JPMorgan „outet“ sich
Das Pfund ist auf historische Tiefstände abgestürzt, die Wettquoten sind längst mehr als eindeutig - und nun „outet“ sich auch die US-amerikanische Investmentbank JPMorgan: „Leave“ wird mit größerem Vorsprung als erwartet gewinnen.
Manchester „In“
Mit 60 Prozent stimmt Manchester für den Verbleib. Aber auch die großen englischen Städte dürften den Trend nicht brechen.
Zwischenstand: 51,7 Prozent „Brexit“
Mehr als die Hälfte der 382 Wahlbezirke sind ausgezählt - das „Brexit“-Lager liegt mit 51,7 Prozent der Stimmen vorn. Das britische Pfund stürzt auf 1,36 Dollar und damit auf den niedrigsten Stand seit 2009 ab.
Gebrochene Kniescheiben und Schuldzuweisungen

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Erste Meldungen aus Brüssel, dass man es Großbritannien nicht zu leicht machen wird, sickern nach London durch. Der konservative Jacob Rees-Mogg, ein „Brexit“-Befürworter, sagt: „Wenn die EU die Sorte von Club ist, wo sie einem die Kniescheiben brechen, wenn man austritt, dann sollte man in diesem Club kein Mitglied sein. Das ist wie die Mafia.“
Bezeichnend für den Ton in kommenden Zeiten, während der Loslösungsprozess unter Artikel 50 läuft: Was immer mit der britischen Wirtschaft passiert, Brüssel wird die Schuld dafür zugeschoben bekommen.
Ohne Worte

Reuters/Rob Stothard
Farage jubelt

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Nigel Farage verkündet vor einer jubelnden Menge den 23. Juni als den „neuen britischen Independence Day“. Er ruft: „Werden wir die Hymne los, werden wir die (EU-, Anm.) Fahne los!“ Und dann ein Satz, über den man noch viel diskutieren wird: „We have done it without a single bullet being fired“ („Wir haben es geschafft, ohne dass eine einzige Kugel abgefeuert wurde.“) Er sagt das acht Tage nach dem Mord an der Abgeordneten Helen Joanne „Jo“ Cox.
Wer will, darf bleiben

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Britische EU-Abgeordnete, die bleiben wollen, dürfen auch nach einem „Brexit“ bis zum endgültigen Austritt bleiben. Ob das Amt dann noch so viel Spaß macht, ist fraglich, tragende Rollen wie Berichterstatter oder Ausschussvorsitzende werden sie ziemlich sicher nicht mehr spielen dürfen.
Andererseits dürften doch einige Fraktionen froh sein, wenn sich die britischen Parlamentsmitglieder nicht gleich verabschieden: Ihr Ausscheiden verschiebt auch die Machtverhältnisse zwischen den Fraktionen. Am stärksten betroffen sind die, die über den Ausstieg am meisten jubeln würden: die Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie, der auch die deutsche AfD und die italienische Bewegung Fünf Sterne angehören. Sie verliert mit Farage und seinen UKIP-Kollegen fast die Hälfte aller Mandatare.
Pfund auf 30-Jahres-Tief
Angesichts des drohenden „Brexit“ fällt das Pfund auf den tiefsten Stand seit drei Jahrzehnten. Die britische Währung bricht um mehr als neun Prozent auf 1,3466 Dollar ein.
Farage: Cameron soll zurücktreten
Noch gibt es kein Endergebnis, aber Farage fordert Premier Cameron bereits zum Rücktritt auf, sollte „Leave“, so wie es aussieht, gewinnen.
„Bonanza“ für Anwälte
Eine Berufsgruppe wird der klare Sieger eines „Brexit“ sein: Wirtschaftsanwälte. Sie müssen für alle britischen Konzerne rasch Vertretungen in der EU aufbauen und sicherstellen, dass sie weiter möglichst vollständig von allen Vorteilen des Binnenmarkts profitieren können.
Das gilt insbesondere für die vermutlich jahrelange Übergangsphase, bis es ein neues Abkommen zwischen London und Brüssel gibt. Der EU-Experte Alberto Alemanno sagte gegnüber ORF.at bereits vor Tagen: „Ein ‚Brexit‘ ist eine Bonanza für Anwälte.“

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: House of Commons
Die „In“-Kampagne hat alles auf die Wirtschaftskarte gesetzt. Die Zahlen sprechen für sich - doch andere Argumente dürften schwerer gewogen haben.
BBC-Prognose: Mehrheit für „Brexit“
Beim „Brexit“-Referendum hat sich TV-Anstalten zufolge eine Mehrheit der Briten für einen Austritt Großbritanniens aus der EU ausgesprochen. Nach ITV und Sky erklärte auch die BBC die EU-Gegner zu den Siegern der Abstimmung.
Finanzmärkte haben sich grob verschätzt

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Die Propheten der City haben sich in ihrer Zuversicht grob verschätzt. Ein Grund: In London stimmten durchschnittlich an die 70 Prozent für den EU-Verbleib, im deindustrialisierten Norden und den verarmten Teilen von Essex und East Anglia war es umgekehrt.
Auch die in den letzten Tagen so optimistischen Finanzmärkte waren offenbar gefangen in der verzerrten Wahrnehmung der Londoner „Remain“-Blase. Inzwischen steigt die Sorge um das rapide sinkende Pfund und Angst vor einem plötzlichen Banken- und Börsenkrach. In drei Stunden öffnen in der Londoner City die Märkte, die Bank of England berät derzeit einen Schlachtplan. Der Labour-Abgeordnete Keith Vaz spricht von einem „schrecklichen Tag für Großbritannien und einem schrecklichen Tag für Europa“.
Anleger flüchten in Gold
Die Entscheidung für den „Brexit“ lässt nicht nur das Pfund in den Keller rasseln - sie dürfte auch den bestehenden „Run“ auf Gold weiter beschleunigen. Der Preis für das Edelmetall hat bereits deutlich zugelegt.
Neues Schottland-Referendum am Horizont?

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Fiona Hyslop von der regional mit großer Mehrheit regierenden Scottish National Party (SNP) spricht von einer „anderen Art von Politik“ in Schottland und erwartet eine „starke Reaktion“ aus Schottland.
Es sei klar im Interesse Schottlands, die EU-Mitgliedschaft zu behalten. „Das schottische Volk hat gesprochen. Wenn das Vereinigte Königreich eine Entscheidung gegen die Interessen der Schotten trifft, wird das Konsequenzen haben.“ Es sieht so aus, als steuert die SNP tatsächlich auf ein neues Referendum zu.
Gespaltene Insel
Das „Brexit“-Referendum hat einmal mehr die politische Spaltung des Landes sichtbar gemacht. Die Schotten haben mit sehr großer Mehrheit für den Verbleib in der EU gestimmt. 62 Prozent haben sich im Norden der Insel gegen den „Brexit“ ausgesprochen. Dagegen haben sich die Wähler in England und Wales in den meisten Regionen klar für einen EU-Austritt ausgesprochen.
Eine deutliche Ausnahme bilden freilich die Ballungsräume London und Manchester. Das passt ins Muster: Wahlforscher haben vorausgesagt, dass die Grenzen zwischen Alt und Jung, zwischen den sozialen Schichten sowie zwischen Stadt- und Landbevölkerung verlaufen würden.
Vorsprung auf eine Mio. gewachsen
Der Vorsprung der „Brexit“-Befürworter ist auf mehr als eine Million Stimmen gewachsen. Mittlerweile fehlen nur noch die Ergebnisse von weniger als 40 der 382 Wahlbezirke.
Schottland „Teil der EU“
Auch die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon (SNP) hat sich zu Wort gemeldet. Laut ihr sehen die Schotten ihre Zukunft als „Teil der EU“. Ein Hinweis mehr auf ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum in Schottland.
Reaktionen aus Nordirland
Nicht nur in Schottland befeuert das Referendum Unabhängigkeitswünsche. Für Declan Kearney, Chairman der links-nationalistischen irischen Sinn Fein, „verstärkt“ der Ausgang des Referendums „unsere Arguemente“ für ein „Referendum über ein vereintes Irland“.
Sollte Großbritannien die EU verlassen, hätte die britische Regierung „jedes Mandat eingebüßt“, die Interessen der nordirischen Bevölkerung zu vertreten, so Kearney.
Gefährlicher irischer Hintergrund

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Anders als in Schottland ist ein Referendum zur Vereinigung Irlands ein hochgefährliches Thema, da trotz des Friedensprozesses die Gräben zwischen probritischen Protestanten und sich als Iren identifizierenden Katholiken längst nicht zugeschüttet sind.
Nordirland hat eine offene Grenze zur Republik Irland, die nun zur EU-Außengrenze wird. Sinn Fein wird neue Grenzzäune an der irisch-irischen Grenze nicht akzeptieren. Premier Cameron hat vorige Woche davor gewarnt, die Medien haben ihm Panikmache vorgeworfen. Nun droht im schlimmsten Fall eine Rückkehr zu den Konflikten der vergangen geglaubten nordirischen „Troubles“.
Farage feiert „Independence Day“
We've got our country back. Thanks to all of you. #IndependenceDay
— Nigel Farage (@Nigel_Farage) 24. Juni 2016
Auszählungsstand um 6.45 Uhr
Es fehlen nur noch die Ergebnisse von 21 der 382 Wahlbezirke. Momentane Stimmenverteilung: 15.009.382 für den EU-Verbleib; 16.101.160 für einen Austritt. Das „Brexit“-Lager ist jetzt mehr als 1,1 Mio. Stimmen vorn.

AP/Anthony Devlin
Stichwort Dominoeffekt
Bereits im Vorfeld ist davon ausgegangen worden, dass nach einem Sieg der britischen EU-Gegner auch in anderen EU-Ländern der Ruf nach ähnlichen Referenden laut werden würde.
Die erste dementsprechende Stimme kommt Freitagfrüh aus den Niederlanden: Der Chef der rechtspopulistischen Partei für die Freiheit, Geert Wilders, fordert ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft seines Landes.

AP/Alastair Grant
Morgengrauen in London - der Beginn eines Tages, den die Briten so schnell nicht vergessen werden.
Gefangen in der Blase

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Kollege Rotifer hat sie angesprochen, die verzerrte Wahrnehmung der Londoner „Remain“-Blase. Die optimistischen Finanzmärkte waren auch in Brüssel - genauso wie die Wettquoten der Buchmacher - wohl die am öftesten zitierte Quelle für Einschätzungen der Lage. In der Euro-Blase kündigt sich ein verkatertes „Brexit“-Erwachen an.
Ernüchterung in Deutschland
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist vom Ausgang des Referendums enttäuscht. „Die Nachrichten aus Großbritannien sind wahrlich ernüchternd“, kommentiert Steinmeier heute Früh das Ergebnis. „Es sieht nach einem traurigen Tag für Europa und für Großbritannien aus.“
Vorsprung auch rechnerisch uneinholbar
Die Befürworter eines EU-Austritts halten mittlerweile bei mehr als 16,784 Mio. Stimmen - die Grenze, ab der sie auch rein rechnerisch nicht mehr einholbar sind.
Lange Phase der Abspaltung

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Immer noch Schweigen aus der Downing Street. Der üblicherweise gut vernetzte BBC-Kommentator Andrew Neil meint indessen, Justizminister Michael Gove habe durchblicken lassen, eine neue britische Regierung werde bis nach der deutschen Bundestagswahl im Herbst 2017 warten, ehe man Artikel 50 in Kraft setzen und den Austritt abwickeln werde.
Damit würde die Abnabelung Großbritanniens von der EU nicht zwei, sondern mindestens dreieinhalb Jahre dauern. Es droht also eine lange Phase der Lähmung und Ungewissheit mit potenziell verheerenden Konsequenzen für die britische Wirtschaft.
Gelten die Ansagen?

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Die Was-wäre-wenn-Szenarien, die man hier in den vergangenen Tagen wieder und wieder durchdekliniert hat, werden jetzt wohl Realität.
Ein „Leave“-Votum war so ziemlich das Letzte, was sich die EU-Spitzen gewünscht haben. Jetzt kommt es darauf an: Bleibt die EU bei ihrer Ankündigung, sich auf keine Nachverhandlungen einzulassen? Bleibt Cameron dabei, ein Votum anzunehmen und umzusetzen?
Jubel in Front National
Nach der niederländischen rechtspopulistischen Partei für die Freiheit fordert auch die rechtsextreme französische Front National ein Referendum für den EU-Austritt ihres Landes.
La liberté des peuples finit toujours par gagner ! Bravo le Royaume-Uni. A nous maintenant ! #Brexit #Frexit
— Florian Philippot (@f_philippot) 24. Juni 2016
„Die Freiheit der Völker siegt am Ende immer!“ und „Jetzt sind wird dran!“, twittert Parteivize Florian Philippot heute Früh.
Flucht in den Franken
Nicht nur Gold, auch der Schweizer Franken erscheint Anlegern während der „Brexit“-Turbulenzen als sicherer Hafen. Die Währung steigt zum Euro auf den höchsten Stand seit August 2015. Ein Euro kostet in der Früh 1,0626 Franken. Bereits in den Wochen vor der Abstimmung hat die Schweizer Währung deutlich zugelegt.
Noch drei Wahlbezirke offen
Cornwall, Beasingstock and Dean und Wealden: Die Ergbenisse dieser drei Wahlbezirke - allesamt in England - stehen noch aus. Am Ergebnis werden die Stimmen dort freilich nichts mehr ändern.
Bankenverband sagt Turbulenzen voraus
Der Internationale Bankenverband (IIF) sagt nach der Entscheidung der Briten für ein Verlassen der EU heftige Bewegungen auf den Finanzmärkten voraus. Auch wenn die genauen wirtschaftlichen Auswirkungen des Referendums noch unklar seien, sei „sicher, dass es kurzfristig zu starken Turbulenzen kommen wird und dass Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt längerfristig belastet werden, vor allem in Großbritannien“, sagt IIF-Chef Tim Adams heute Früh.
„Die Politiker in Großbritannien und in der Europäischen Union tragen jetzt die Verantwortung, schnell das langfristige Verhältnis zwischen beiden Seiten zu klären, um die Unsicherheit zu minimieren“, so Adams. In seinem Verband sind Vertreter der Finanzwelt aus aller Welt zusammengeschlossen, darunter Banken und Zentralbanken, Investment- und Staatsfonds sowie Versicherungen.
Umsonst verhandelt

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Die Zugeständnisse, die London mit Brüssel für einen Verbleib in der EU ausgehandelt hat, sind damit hinfällig. Die Reformvorhaben - die teilweise auch von anderen Ländern ganz gern übernommen worden wären - verschwinden jetzt ziemlich sicher in der Rundablage. Im britischen Wahlkampf sei es darum ohnehin nie wirklich gegangen, sagte Kommissionschef Jean-Claude Juncker vor zwei Tagen.
Sanfter Übergang möglich?

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Der europaskeptische konservative Europaabgeordnete Daniel Hannan meint, die Märkte würden ihre „Überreaktion“ wieder zurücknehmen, sobald sie sähen, dass Großbritannien einen sanften Übergang von seiner Mitgliedschaft plane und weiterhin Teil des freien europäischen Marktes sein werde.
„Auf unserer Seite redet niemand von Tarifen und auf der anderen Seite bisher auch nicht.“ Das reflektiert die von der „Brexit“-Seite über Monate verkaufte Aussicht, Großbritannien könne alle Vorzüge des EU-Binnenmarktes behalten, ohne seinen Beitrag zu zahlen. Gleichzeitig kündigt Hannen an, dass sich die Rechte in Großbritannien wohnender EU-Bürger „sicher ändern werden“.
„Harry Potter“-Autorin verabschiedet sich von Großbritannien
Goodbye, UK. https://t.co/HMRA0AnlWR
— J.K. Rowling (@jk_rowling) 24. Juni 2016
Scotland will seek independence now. Cameron's legacy will be breaking up two unions. Neither needed to happen. https://t.co/4MDj7pndcq
— J.K. Rowling (@jk_rowling) 24. Juni 2016
Bereits zuvor hatte die Bestsellerautorin ihre Enttäuschung in einen Satz gepackt:
I don't think I've ever wanted magic more. https://t.co/gVNQ0PYIMT
— J.K. Rowling (@jk_rowling) 24. Juni 2016
Krisentreffen im Stakkato
Den EU-Spitzenpolitiker steht in den kommenden Tagen ein Sitzungsmarathon bevor. Hier die wichtigsten Termine:
Heute
- Brüssel: Die Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament tagen (8.00 Uhr)
- Brüssel: Parlamentspräsident Martin Schulz gibt eine Erklärung ab (9.30 Uhr)
- Brüssel: Spitzentreffen von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk, Parlamentspräsident Schulz sowie dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte, dessen Land derzeit den EU-Vorsitz innehat (10.30 Uhr)
- Luxemburg: Treffen sozialdemokratischer Außenminister der EU (11.30 Uhr)
- Luxemburg: Rat für allgemeine EU-Angelegenheiten, der den EU-Gipfel in der kommenden Woche vorbereitet (14.30 Uhr)
Morgen
- In Berlin beraten die Außenminister der EU-Gründerstaaten (Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Niederlande und Italien) über die Lage.
Montag
- Brüssel: Sitzung der EU-Kommission
- Brüssel: mögliche Sondersitzung des Europaparlaments (oder Dienstag)
Dienstag
- Brüssel: Die EU-Staats- und -Regierungschefs kommen zu einem zweitägigen Gipfel zusammen
Kurz: In EU bleibt kein Stein auf dem anderen
Auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) ist vom Ausgang der Abstimmung in Großbritannien überrascht und schockiert. Er sieht jetzt vor allem die EU gefordert. Kein Stein werde auf dem anderen bleiben, sagt Kurz in der Früh im ORF-Studio in London.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Endergebnis rückt näher

BBC
Noch fehlen die Auszählungsergebnisse in zwei Wahlbezirken. Das Bild eines zweigeteilten Großbritanniens lässt sich bereits jetzt zeichnen.
Le Pen fordert Referendum für Frankreich
Nach ihrem Vize meldet sich auch die Chefin der rechtsextremen französischen Front National, Marine Le Pen, zu Wort. Und fordert - Überraschung - ein EU-Austrittsreferendum für Frankreich.
Victoire de la liberté ! Comme je le demande depuis des années, il faut maintenant le même référendum en France et dans les pays de l'UE MLP
— Marine Le Pen (@MLP_officiel) 24. Juni 2016
Hollande ruft Regierung zu sich
Frankreichs Staatschef Francois Hollande ruft unterdessen seine Regierung zusammen. Das Kabinett werde um 9.00 Uhr in Paris zusammenkommen, teilt der Präsidentenpalast mit. Anschließend werde Hollande eine Stellungnahme abgeben.
Fertig ausgezählt!
Alle Wahlbezirke sind ausgezählt: Die „Brexit“-Befürworter gewinnen mit 17.410.742 Stimmen. Die Gegner eines Austritts kommen auf 16.141.241 Stimmen. In Prozent bedeudet das: 51,9 zu 48,1 Prozent für die EU-Gegner.

BBC
Kursstürze an Europas Börsen
Die ersten Nachrichten von den europäischen Börsen treffen ein. Wie erwartet kündigen sich starke Kursstürze an.
Der britischer Aktienindex FTSE verlor vorbörslich minus 8,08 Prozentpunkte. Der Euro Stoxx 50 hielt vorbörslich bei minus 11,39 Prozentpunkten, der DAX bei minus 9,34 Prozentpunkten. Das wäre der größte Kurssturz seit der Finanzkrise im Jahr 2008.
Die lange Phase des Übergangs

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Bevor Großbritannien wirklich aus der EU verschwindet, fließt noch viel Wasser die Themse hinunter. Nachdem der offizielle Antrag gestellt worden ist (und auch damit kann sich die britische Regierung Zeit lassen), müssen nämlich erst einmal die Details verhandelt werden.
Die mindestens zweijährige Übergangsfrist, von der jetzt immer die Rede ist, ist genau dafür da: das theoretische Auseinanderdividieren und Abrechnen. Praktisch vollzogen wird der Austritt erst danach.
Hammond sieht Cameron weiterhin als Premier
Mit Außenminister Philip Hammond gibt das erste Mitglied der britischen Regierung eine Stellungnahme zum „Brexit“-Ergebnis ab - und spricht dem britischen Premier sein Vertrauen aus. Auch nach dem Votum werde David Cameron Regierungschef bleiben.
„Er wird Premierminister bleiben und die Anweisungen des britischen Volkes ausführen“, sagt Hammond im TV-Sender Sky. Das wichtigste sei nun Stabilität und Kontinuität, so Hammond. Vor allem die britische Wirtschaft steht laut dem Außenminister vor sehr großen Herausforderungen.
Für AfD ist EU „gescheitert“
Eine - für viele wohl nicht ganz naheliegende - Forderung kommt angesichts des „Brexit“-Ausgangs von der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). Vizeparteichefin Beatrix von Storch fordert EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Parlamentschef Martin Schulz zum Rücktritt auf. „Die Europäische Union ist als politische Union gescheitert“, so von Storch.
Pläne werden umgeworfen

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Die Agenda der EU-Spitzen für den heutigen Tag war ursprünglich sehr genau geregelt - auch wer wann wo ein offizielles Statement abgeben wird. Offenbar war man aber von einem „Remain“ ausgegangen, nach dem man in aller Ruhe gemeinsam an die Öffentlichkeit treten wollte.
EU-Parlamentspräsident Schulz hat schon ganz in der Früh Interviews gegeben, Ratspräsident Tusk tritt in Kürze vor die Presse.
S&P: Britisches „AAA“ nicht haltbar
Laut Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) wird Großbritannien seine Topbonitätswertung verlieren. „Wir sind der Meinung, dass die AAA-Wertung unter dieses Umständen nicht haltbar ist“, so Moritz Kraemer, Chefanalyst, bei S&P gegenüber der „Financial Times“.
Die S&P-Rivalen Fitch und Moody’s haben Großbritannien freilich schon lange vor dem Referendum die Höchstnote aberkannt.
Ein Geschenk der Babyboomer an ihre Nachkommen

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Der „Brexit“ spaltet auch die Generationen: Laut dem Meinungsforschungsinstitut YouGov haben 75 Prozent der 18- bis 25-Jährigen für „Remain“ gestimmt, die Mehrheit für „Brexit“ war das Werk der über 50-Jährigen. In Sozialen Netzwerken kursieren bereits Memes, die die Babyboomer, also die Nachkriegsgeneration, beschuldigen, den Jungen die Zukunft geraubt zu haben.
Besonders populär ist ein angebliches Zitat eines ehemaligen Beamten: „Das ist das letzte ‚F...k you‘ der Babyboomer. Sie hatten die sicheren Jobs mit garantierten Lohnerhöhungen und den Nutzen der Immobilien, die sie billig kauften und teuer verkauften. Sie verbrannten hinter sich die Brücken, indem sie bei der Demontage genau jener Dinge mitspielten, die sie selbst wohlhabend gemacht hatten. Ihr letzter Akt wird es sein, die Wirtschaft abzufackeln, bevor sie sterben.“
In der Downing Street ist zumindest einer bereit
Someone from this address needed to show some leadership. https://t.co/fAFcVphR3v
— Larry the Cat (@Number10cat) 24. Juni 2016
Österreich für Farage Austrittskandidat
Für Farage hat nach dem „Brexit“-Votum ein Zerbrechen der Europäischen Union begonnen. „Die EU versagt, die EU stirbt“, sagt er vor dem Parlamentsgebäude in London.

AP/Matt Dunham
Weitere Austrittsreferenden könnten folgen, möglicherweise in den Niederlanden, in Dänemark, Österreich und Italien. „Wir wollen Freunde und Nachbarn sein“, sagt Farage, „aber ohne Hymnen, ohne Flaggen und ohne nutzlose Präsidenten, die nicht gewählt sind.“
Belgien fordert Krisen-„Konklave“ ohne Briten
Der belgische Regierungschef Charles Michel fordert in den kommenden Monat einen Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs. Das Abstimmungsergebnis sei eine „Ohrfeige für das Projekt Europa“, so Michel. „Ich fordere ein Konklave, um unser Engagement im Juli zu bekräftigen. Wir müssen unsere Prioritäten definieren und eine neue Zukunft für Europa darlegen.“
Das von ihm vorgeschlagene „Konklave“ der Staats- und Regierungschefs werde natürlich ohne Großbritannien stattfinden. Ziel müsse es sein, Initiativen mit Blick auf den Binnenmarkt, die Digitalisierung Europas, die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion sowie zur inneren und äußeren Sicherheit zu ergreifen.
Auch Wiener Börse tiefrot erwartet
Auch die heimischen Aktienhändler rechnen für die Börseneröffnung in wenigen Minuten mit tiefroten Zahlen. Vor allem zyklische und konjunkturabhängige Branchen dürften auf den Aktienmärkten auf den Verkaufslisten ganz oben stehen. In Wien könnte der „Brexit“ Schwergewichte wie voestalpine und OMV einiges an Geld kosten.
Die Tokioter Börse hat bereits mit knapp acht Prozent tiefer geschlossen, der Future für den Euro Stoxx 50 deutete 20 Minuten vor Handelsbeginn einen knapp zwölf Prozentpunkte tieferen Start beim europäischen Leitindex an. Das britische Pfund rasselte auf einen Tiefststand seit 31 Jahren.
„Kein rechtliches Vakuum“

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Ratspräsident Donald Tusk hat sich zu Wort gemeldet und deutlich gemacht: Die EU werde eine Einheit bleiben - auch mit nur 27 Mitgliedsländern. „Es wird kein rechtliches Vakuum geben, die EU-Gesetze sind einstweilen auch für Großbritannien weiter bindend - sowohl, was die Rechte anlangt, als auch die Pflichten.“
Es sei richtig, dass die letzten Jahre für die EU schwierig gewesen seien. Aber: „Ich erinnere mich immer daran, was mein Vater gesagt hat: Was uns nicht umbringt, macht uns härter.“
Gratulation von FPÖ
In einer Aussendung kommentiert die FPÖ das britische Abstimmungsergebnis. „Wir gratulieren den Briten zu ihrer wiedererlangten Souveränität. Das Ergebnis ihres gestrigen Referendums ist eine Weichenstellung für die Demokratie und gegen den politischen Zentralismus, aber auch gegen den anhaltenden Migrationswahn", so FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache und -Generalsekretär Harald Vilimsky.
Wie zuvor bereits Afd-Vizechefin von Storch fordert auch die FPÖ-Spitze Schulz und Juncker zum Rücktritt auf. Sie stellt auch eine Referendumsforderung für Österreich zumindest in Aussicht. „Sollte jedoch die EU an ihrer Reformunwilligkeit weiter erlahmen und auch noch Länder wie die Türkei hereinholen, dann ist auch für Österreich eine Abstimmung über den weiteren Verbleib in der EU eine politische Zielerklärung“, heißt am Ende der Aussendung.
Rücktritt Camerons?

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Die Nachricht sickert durch: Laut ITV wird Cameron, wenn er in wenigen Minuten vor die Pforte von Downing Street 10 tritt, seinen Rücktritt verkünden.
Größter Kursrutsch seit 2008
Das Votum der Briten für einen Ausstieg aus der Europäischen Union hat die europäischen Aktienmärkte wie erwartet einbrechen lassen. Der ATX fiel im frühen Handel um sieben Prozentpunkte, der DAX verlor 9,72 Prozentpunkte. Der Euro-Zone-Leitindex Euro Stoxx 50 rutschte um 7,6 Prozentpunkte ab. An der Londoner Börse knickte der FTSE 100 um 8,3 Prozentpunkte ein.
„Alle sind falsch positioniert“, so ein Börsianer in der Früh. „Keiner hat damit gerechnet, dass die Briten wirklich austreten. Jetzt gibt es immensen Absicherungsbedarf.“ Seit Mitte der Vorwoche war der DAX in zunehmender Hoffnung auf einen Verbleib der Briten noch um fast neun Punkte gestiegen.
Cameron ist vor die Presse getreten
Cameron spricht vor seinem Amtssitz in Downing Street 10 zu den seit Stunden wartenden Journalisten.
Er sei stolz, sechs Jahre Premier gewesen zu sein, so Cameron - und zählt die Erfolge seiner Regierung auf.
Cameron kündigt Rücktritt an
Er hab nie einen Zweifel daran gelassen, dass Großbritannien in der EU stärker und besser aufgehoben wäre. Das Referendum sei nicht über seine Person gewesen.
Doch er glaube, Großbritannien brauche eine neue starke Führung. Er werde in den kommenden Wochen versuchen, Großbnritannien durch die stürmischen Gewässer zu führen: Doch er könne nicht auf Dauer der Kapitän dieses Schiffes sein. Bis Oktober solle ein neuer Premierminister eingesetzt sein.
In drei Monaten wird die Ära Cameron also zu Ende sein.

APA/AFP/Ben Stansall
Konservative bestimmen neuen Premier

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: Cameron wird so lange Premier bleiben, bis die Konservativen einen neuen gewählt haben. Zuerst werden die Abgeordneten ihre Favoriten nennen und sich dann auf zwei Kandidaten für die Shortlist einigen. Über diese erfolgt dann die finale Abstimmung. Als mögliche Nachfolger kommen unter anderen Innenministerin Theresa May, Arbeitsministerin Priti Patel und Justizminister Michael Gove infrage.
Auch Johnson im Gespräch
Als Nachfolger Camerons im Gespräch ist auch der ehemalige Londoner Tory-Bürgermeister Boris Johnson. Er hat sich in den vergangenen Monaten für den „Brexit“ starkgemacht. Das Votum der Briten für einen Austritt aus der EU geht wohl zu einem nicht unerheblichen Teil auch auf sein Konto.
Austrittsverhandlungen erst mit neuem Premier

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Das offizielle Austrittsgesuch wird Cameron also nicht selbst einreichen, sondern erst sein Nachfolger in frühestens drei Monaten. Damit könnte eine der Ängste der Kommission wahr werden - nämlich die, dass sich der Prozess noch mehr in die Länge zieht.
Aber auch ein anderes Szenario ist nach wie vor möglich: Eine neue Regierung müsste sich nicht zwingend an Camerons „Leave“-Zusage halten. Das würde die EU wieder in eine Zwickmühle bringen. Man hat ja ungefähr in gleichen Maßen inständig betont, dass man Großbritannien behalten wolle, dass es aber keine weiteren Zugeständnisse geben könne.
Ein Ende des „Dschungels“?

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Weitere Probleme landen auf dem Schreibtisch des baldigen Ex-Premiers: Der Bürgermeister der französischen Hafenstadt Calais meinte heute, es sei noch zu früh zu sagen, welche Folgen „Brexit“ nach sich ziehen werde. Was er damit andeutet: Unter dem Abkommen von Le Touquet findet die britische Grenzabfertigung derzeit in Frankreich statt, wo ein von Großbritannien mitfinanzierter, von französischen Polizisten patrouillierter mehrfacher Zaun den Kanaltunnel und den Fährenhafen umgibt.
Frankreichs Regierung warnte schon im März, mit einem EU-Austritt Großbritanniens würde diese Kooperation beendet und die Grenzkontrolle zurück nach Dover wandern. Sobald das geschehe, sagte der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, werde es in Calais keinen „Dschungel“ mehr geben.
Massive Verluste bei Finanzinstituten
Nach dem „Brexit“-Votum brechen Aktien von Finanzinstituten europaweit ein. Die Papiere der Deutschen Bank und der Commerzbank verloren kurz nach dem Handelsstart Freitagfrüh jeweils rund 16 Prozent. In Wien schmierten die Aktien der Erste Group (minus 14 Prozentpunkte) und Raiffeisen Bank International (minus zwölf Prozentpunkte ) ebenfalls dramatisch ab.
Die Aktien der Royal Bank of Scotland lagen an der Londoner Börse rund 28 Punkte im Minus, Papiere von Lloyds büßten 22 Prozentunkte ein. Auch der Versicherer Aviva verlor rund 25 Prozentpunkte.
Für tschechischen Premier nicht „Ende der Welt“
Der tschechische Regierungschef Bohuslav Sobotka sieht die Entscheidung der Briten nicht als „Ende der Welt und der EU“. Allerdings handle es sich um eine „schwerwiegende und unumkehrbare Entscheidung“, schreibt Sobotka auf Facebook. Er trifft sich heute in Wien mit Bundespräsident Heinz Fischer und Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ).
Die EU müsse sich schnell ändern und die Auswirkungen auf die Bürger Tschechiens sowie der EU so gering wie möglich halten. „Die Briten werden nun einen kleineren Einfluss auf das Geschehen in Europa haben. Ihr Land wird jetzt schwächer und weniger wichtig“, so Sobotka weiter. Großbritannien müsse jetzt um den Erhalt Schottlands kämpfen.
Alles beginnt mit Artikel 50

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Wenn Großbritannien das Austrittsverfahren nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrags lostritt, dann werden erst einmal die Bedingungen für den Austritt festgelegt. Allein das Auseinanderdividieren der Finanzen wird lange Verhandlungen erfordern.
Wie künftige Abkommen mit dem baldigen Drittstaat aussehen werden, ist übrigens nicht Teil dieses Prozederes. Wenn es, wie es im Vorfeld hieß, tatsächlich keine Parallelverhandlungen geben soll, dann sind die mittlerweile vielzitierten zwei Jahre bis zum tatsächlichen Austritt wohl optimistisch.
Weckruf für Europa
Ein Satz fällt heute Früh immer wieder: Der Ausgang des britischen „Brexit“-Referendums sei ein „Weckruf“ für Europa. Italiens Außenminister Paolo Gentili hat die Phrase ebenso benutzt wie der schwedische Premierminister Stefan Löfven. Auch der deutsche SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel bemüht den „Weckruf“ und setzt noch ein „schrill“ davor.
EU-Konservative wollen nicht auf Camerons Nachfolger warten
Nach Camerons Rücktrittsankündigung will die größte Fraktion im EU-Parlament nicht auf seinen Nachfolger warten. Die EU dürfe nicht aufgehalten werden von internen Kämpfen der britischen Konservativen über den nächsten Regierungschef, so der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber.
Notenbanker Carney kalmiert

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Ein erstes Statement von Mark Carney, dem Gouverneur der Bank of England: Die britischen Banken seien auf das Szenario vorbereitet und hätten genug Liquidität und Kapital, um den Sturm zu überdauern. Er werde weiterhin für das Bestehen der finanziellen Stabilität Großbritanniens sorgen.
Noch im März warnte er, dass die Banken im Falle des „Brexit“ die Londoner City verlassen würden. Die „Leave“-Fraktion hatte ihm dafür den Bruch seiner Parteilosigkeit vorgeworfen. Jetzt wirken seine beruhigenden Worte umso weniger überzeugend.
Warten auf Johnson

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Demnächst wird der Londoner Ex-Bürgermeister Boris Johnson, das prominente Gesicht der „Leave“-Kampagne, ein Statement vor seinem Haus abgeben.
Kern sieht Europa geschwächt
„Europa wird an Bedeutung und Stellung in der Welt verlieren“, sagt Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ). Die britische Politik sei selbst verantwortlich für den historischen Schritt. „Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass ein Referendum negativ ausgeht, wenn man davor zehn Jahre eine Fundamentalopposition gegen europäische Fragestellungen eingenommen hat.“

APA/BKA/Andy Wenzel
Jetzt komme es umso mehr darauf an, den Bürgern die europäischen Perspektiven zu erklären. Dazu sei ein Reformprozess in der EU-Politik dringend nötig. Insbesondere in der Wirtschaftspolitik müsse Brüssel dafür sorgen, dass Europa nicht nur gut für große Konzerne, sondern auch für den Mittelstand sei. Eine Volksbefragung zur EU werde es in Österreich nicht geben, sagt Kern. „Wir werden Österreich mit Sicherheit keinem Referendum aussetzen.“
Schweizer Notenbank greift ein
Die Schweizer Notenbank hat mittlerweile auf den Finanzmärkten eingegriffen, um den Kurs des Schweizer Franken zu stabilisieren. „Die Schweizerische Nationalbank hat auf dem Devisenmarkt eingegriffen, um die Situation zu stabilisieren“, sie werde auf dem Markt aktiv bleiben, teilt die Notenbank in einer Stellungnahme per E-Mail mit.
Nach dem Votum sei der Schweizer Franken unter Aufwertungsdruck gekommen. Ein zu starker Franken ist den Schweizern schon lange ein Dorn im Auge. Heute legte die Währung nach dem Votum der Briten noch einmal deutlich zu.
„Brexit“ live in ORF2
ORF2 zeigt um 12.30 Uhr live eine Pressekonferenz der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Um 13.00 Uhr steht eine „ZIB spezial“ auf dem Programm, danach folgt ein „Runder Tisch“ mit Hans Bürger. Um 20.15 Uhr beginnt eine „ZIB spezial“ mit Armin Wolf samt einem weiteren „Runden Tisch“ mit Ingrid Thurnher.
Trump springt auf „Brexit“-Zug auf

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump ist in Schottland auf seinem lokal heftig umstrittenen Golfplatz gelandet. Er lächelt für die Kameras, sagt, er sei „sehr glücklich“, und meint, „hier passiert dasselbe wie bei uns in Amerika“.
Präsident Barack Obama hatte gewarnt, Großbritannien würde sich „am Ende der Warteschlange wiederfinden“. Trump dagegen hatte sich hinter die „Brexit“-Kampagne gestellt. Er wird seinen Besuch in Großbritannien dazu nützen, das Referendum als seinen Sieg mitzufeiern.
Kein Kommentar von Johnson
Londons Ex-Bürgermeister und „Brexit“-Befürworter Johnson hat mittlerweile unter Buhrufen seiner Gegner das Haus verlassen. Das erwartete Statement bleibt aber aus. Johnson sagt nicht ein Wort in die wartenden Mikrofone.
Spanien will Gibraltar zurück
Spaniens Außenminister Jose Manuel Garcia-Margallo erneuert nach dem „Brexit“-Votum die spanischen Ansprüche auf Gibraltar. Er spricht sich dafür aus, die Souveränität über Gibraltar vorübergehend zwischen London und Madrid zu teilen. Im Anschluss an eine solche „Ko-Souveränität“ müsse der Felsen im Süden der Iberischen Halbinsel an Spanien angegliedert werden.
Die Bewohner Gibraltars hatten beim EU-Referendum mit 96 Prozent der Stimmen für eine Zugehörigkeit zur EU gestimmt. Das britische Überseegebiet war 1713 im Vertrag von Utrecht dem Königreich zugesprochen worden, Spanien erhebt jedoch Ansprüche darauf. Das an Spanien grenzende Gebiet ist in hohem Maße vom Zugang zur EU abhängig.
Absage an Abspaltung Nordirlands
Nordirlands Regierungschefin erteilt jeglichen Ideen eines Austritts Nordirlands aus dem Vereinigten Königreich eine Absage. Ein Referendum für ein vereinigtes Irland wäre niemals erfolgreich, sagt die Erste Ministerin Arlene Foster von der Democratic Unionist Party (DUP).
Zuvor hat die proirische Partei Sinn Fein in Nordirland erklärt, sie werde jetzt verstärkt für einen Austritt der Provinz aus dem Vereinigten Königreich werben.
Russische Rechte freut sich
Kremltreue russische Politiker begrüßen in ersten Reaktionen das britische Votum. Für das britische Volk sei es ein großer Erfolg, sagt der nationalistische Vizeparlamentschef Wladimir Schirinowski von der Partei LDPR.
„Das ländliche, provinzielle, arbeitende Großbritannien hat Nein gesagt zu der Union, die von der Finanzmafia, Globalisten und anderen geschaffen wurde“, zitiert ihn die Agentur Interfax.
Vorsichtiger reagiert das russische Außenministerium: An den seit Jahren gespannten Beziehungen zwischen London und Moskau werde sich kaum etwas ändern. Wegen der „Brexit“-Nachricht aus London fallen die Aktienkurse an der Moskauer Börse um 3,5 Prozent.
Juncker fehlt noch

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Der Spin der offiziellen EU-Reaktionen bisher war recht eindeutig: bedauernd, Einigkeit beschwörend und zweckoptimistisch. Man sei auf diesen Fall vorbereitet und werde die Loslösung sauber über die Bühne bringen. Bis vor kurzem hieß es ja immer: „Wir haben keinen Plan B.“
Auf das Statement von Kommissionspräsident Juncker um 12.00 Uhr wird nun mit besonderer Spannung gewartet - er ist bekannt dafür, dass er sich nicht immer ans Script hält.
Mitterlehner ortet „tiefe Vertrauenskrise“
Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sieht nach der Volksabstimmung für einen EU-Austritt in Großbritannien einen traurigen Tag für Europa. Es zeige sich eine „tiefe Vertrauenskrise“. Die EU werde nicht mehr als Friedens- und Wohlstandsprojekt wahrgenommen, sondern als Summe von Krisen, Ängsten und Nationalismen, so der ÖVP-Chef.
„Europa muss sich möglichst rasch neu aufstellen“, fordert Mitterlehner in einem schriftlichen Statement gegenüber der APA. Wirtschaftlich gesehen geht der Politiker davon aus, dass es eine Zeit lang Unruhe auf den internationalen Finanzmärkten geben werde, gepaart mit währungspolitischen Auswirkungen. „Die Lage sollte sich aber mittelfristig wieder beruhigen.“
Größter Kurssturz in Geschichte des Euro
Der Ausstieg der Briten aus der EU hat dem Euro den größten Kurssturz in seiner Geschichte eingebracht. Die Gemeinschaftswährung fiel in der Spitze um 4,1 Prozent auf 1,0914 Dollar.
Sondersitzung des EU-Parlaments am Dienstag
Das Europaparlament wird kommende Woche zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Die Abgeordneten würden sich Dienstagvormittag treffen, um über das Ergebnis zu beraten, kündigt EU-Parlamentspräsident Schulz an. Dabei solle eine Resolution verabschiedet werden.
Am Nachmittag desselben Tages werden auch die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel zu einem zweitägigen Gipfel zusammenkommen.
Hinter den Kulissen

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Der britische EU-Spitzenbeamte Jonathan Faull wird in den kommenden Jahren möglicherweise eine sehr große Rolle spielen. Seit 2015 ist er Generaldirektor der „Taskforce Strategische Fragen im Zusammenhang mit dem Referendum im Vereinigten Königreich“.
Ursprünglich wurde sie gegründet, um die Bedingungen für einen Verbleib Großbritanniens in der EU zu verhandeln - jenes Reformpaket, dem die Briten jetzt eine Absage erteilt haben. Der neue Auftrag des bisher „sehr kleinen Teams“ (wie es vor wenigen Tagen aus der Kommission hieß) werden jetzt wohl die Austrittsverhandlungen sein.
Ergebnisse bis ins Detail
BBC News - EU referendum: The result in maps https://t.co/p3AtPFKzqU #EURefResult #Brexit #EURef pic.twitter.com/NOWM7QDcOa
— Nick Sutton (@suttonnick) 24. Juni 2016
Für Freunde detaillierter Karten gibt es auf der Seite der BBC viel Material zum Klicken und Scrollen.
Konservative Kritik an Camerons Rücktritt
So @David_Cameron you abandon ship and leave it to others to negotiate the exit, shameful and irresponsible #Brexit
— Viviane Reding (@VivianeRedingEU) 24. Juni 2016
Die Kritik aus den Reihen der EU-Konservativen an Camerons Rücktritt reißt nicht ab. „So David Cameron, Sie verlassen das Schiff und überlassen es anderen, den Austritt zu verhandeln - empörend und unverantwortlich“, schreibt die EVP-Abgeordnete und ehemalige EU-Kommissarin Viviane Reding auf Twitter.
Schweizer Hotline für besorgte Bürger
Besorgte Schweizer können sich bei einer extra eingerichteten Hotline über die Folgen des „Brexit“ informieren. Der Telefondienst sei 24 Stunden am Tag erreichbar, heißt es vom Schweizer Außenministerium.
Zudem hätten die Schweizer Botschaft in London und die Landesvertretung in der EU auf ihren Websites wichtige Fragen und Antworten zum Austritt Großbritanniens aus der EU zusammengestellt.
Niederländischer Premier: Kein Austrittsreferendum
Der niederländische Regierungschef Mark Rutte weist Forderungen aus dem rechtspopulistischen Lager nach einem EU-Austrittsreferendum auch in seinem Land zurück. „Ich glaube nicht, dass an einem Referendum großes Interesse besteht“, so Rutte kurz vor seiner Abreise nach Brüssel zu einem Treffen mit EU-Spitzenpolitikern.
Das „Brexit“-Votum in Großbritannien bezeichnet er als „enttäuschend“, zugleich aber auch als „Stimulus für EU-Reformen“. Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders hat nach dem „Brexit“-Referendum auch in den Niederlanden eine Volksabstimmung gefordert.
EZB stellt zusätzliche Finanzspritzen in den Raum
Die Europäische Zentralbank (EZB) hält sich nach dem „Brexit“-Votum mögliche Finanzspritzen offen. Die EZB „steht bereit, zusätzliche Liquidität zur Verfügung zu stellen, wenn das nötig sein sollte“, erklärt die Institution in einer Aussendung.
Das könne in Euro und anderen Währungen geschehen. Die EZB habe sich auf den „Brexit“-Fall vorbereitet und beobachte die Entwicklung an den Finanzmärkten genau. Den Bankensektor in der Euro-Zone sieht die Zentralbank gut gerüstet. Die Branche sei „widerstandsfähig in Bezug auf Kapital und Liquidität“, so die EZB.
Was passiert mit Labour?

Privat
FM4-Host Rotifer, London: David Cameron ist auf dem Weg zum Buckingham Palace, um mit der Königin zu sprechen. In zehn Minuten hält Boris Johnson seine Pressekonferenz, um seine Pläne und Ambitionen post-„Brexit“ offenzulegen. In der Zwischenzeit beginnt hinter den Kulissen auch auf der Labour-Seite eine Diskussion über den Parteivorsitz. Falls es zu Neuwahlen kommt, traut niemand Labour-Chef Jeremy Corbyn einen Wahlsieg zu. Corbyn trat formal für „Remain“ ein, vermittelte dabei aber große Lustlosigkeit.
Die Tatsache, dass die traditionelle Labour-Klientel im Norden Englands mit überwiegender Mehrheit gegen die Empfehlung ihrer alten Stammpartei stimmte, wird nicht zuletzt Corbyns unenthusiastischer Kampagne angekreidet. Seine Verbündete Diane Abbott schrieb auf Twitter, dass Corbyn in seiner Skepsis dem skeptischen britischen Volk am Nächsten gekommen sei. Dieser verzweifelte Spin wird nicht zu halten sein.
Jeremy Corbyn's position on 'Brexit was closer to the national mood than any other leader of a major party
— Diane Abbott MP (@HackneyAbbott) 24. Juni 2016
Timing unknown

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Die angekündigte Pressekonferenz von EU-Kommissionspräsident Juncker, Ratspräsident Tusk, Parlamentspräsident Schulz und dem Ratsvorsitzenden Rutte lässt auf sich warten.
Der Termin für das Gruppenfoto ist überhaupt (nach mehreren Verschiebungen) sang- und klanglos von den Plänen verschwunden.
Das gemeinsame Statement: Keine Überraschung

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Die Bühne des Pressesaals ist noch immer leer - das gemeinsame Pressestatement der EU-Spitzen ist mittlerweile aber schriftlich eingetrudelt.
Es sei ein „freier und demokratischer Prozess“ gewesen, heißt es. „Wir bedauern diese Entscheidung, aber respektieren sie.“ Von Großbritannien erwarte man jetzt, dass die Regierung so bald wie möglich in Aktion trete - „egal wie schmerzhaft das sein mag“. Jede Verzögerung würde die Unsicherheit unnötig verlängern.
Der Reformdeal vom Februar-Gipfel sei nun mit sofortiger Wirkung vom Tisch und würde nicht zum Tragen kommen. „Es wird keine weiteren Verhandlungen geben.“
Grillo-Partei: „Welt segelt in Richtung direkte Demokratie“
Italiens europakritische Fünf-Sterne-Bewegung betrachtet das Referendum als Erfolg der direkten Demokratie. Das britische Volk habe das Recht, über seine Zukunft zu entscheiden, kommentiert der Fünf-Sterne-Abgeordnete Alessandro di Battista auf Facebook.
„Die ganze Welt segelt in Richtung direkter Demokratie“, so Di Battista. Die Ära der „Übermacht der Mächtigen“ neige sich dem Ende zu, genau wie früher die Monarchien zugunsten der Republik abgebaut wurden.
Boris Johnson spricht vor der Presse

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Johnson zollt Cameron Tribut. Es sei „sein Mut“ gewesen, dieses Referendum abzuhalten. „Diese Frage geht um das Volk und sein Recht, sein eigenes Geschick zu lenken, das Prinzip der Demokratie.“ Die Europäische Union sei zu „fern“, um zu den Leuten zu sprechen, denen sie dienen solle. Es gebe keinen Grund, den Artikel 50 zu aktivieren. Es bedeute nicht, dass das Vereinigte Königreich weniger vereint oder europäisch wäre. Johnson meint, die Entscheidung sei das Gegenteil eines Isolationismus.
„Unsere Kinder werden eine wunderbare Zukunft als Europäer haben“ und mit anderen Ländern „offen, freundlich und nach außen gewandt kommunizieren.“ Es gebe im 21. Jahrhundert allerdings keinen Grund, Teil einer föderalen Regierung in Brüssel zu sein. Die jungen Leute könnten einer „sichereren und wohlhabenderen Zukunft“ entgegensehen. Man könne den Extremisten, die mit der Immigration Politik spielten, „den Wind aus den Segeln nehmen“. Das britische Volk habe sich für die Demokratie eingesetzt und könne stolz darauf sein.
Die großzügigen Werte des Michael Gove

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Als Nächster ist Justizminister Michael Gove dran: „Das britische Volk hat uns allen einen klaren Auftrag gegeben“, meint er. Das britische Volk sei daran, ein neues Kapital zu beginnen, das „mit unseren Traditionen zusammenpasst“. Man werde nun noch offener als zuvor sein und eine neue, freiere Verbindung mit den „europäischen Freunden“ und „anderen großen Nationen“ suchen, im Geiste der „warmen, menschlichen und großzügigen Werte, die das Beste an Großbritannien sind“.
Cameron informiert Queen über Rücktritt
Cameron hat mittlerweile Queen Elizabeth II. im Buckingham-Palast über den Ausgang des Referendums und über seinen bevorstehenden Rücktritt informiert.
Es ist üblich, dass der Premierminister das Staatsoberhaupt über wesentliche Vorgänge in der Regierung informiert. Cameron ist bereits der 13. Premierminister ihres Landes, den die 90 Jahre alte Königin kommen und gehen sieht.
Nicola Sturgeon, Schottlands First Minister, spricht

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Es gebe einen großen Unterschied zwischen der Art, wie Schottland und andere Teile des Vereinigten Königreichs ihren Platz in der Welt sehen, sagt Sturgeon. Schottland stehe vor der Aussicht, „gegen unseren Willen aus der EU herausgerissen zu werden“. Das sei „demokratisch inakzeptabel“.
Viele hätten beim schottischen Referendum 2014 gerade deshalb nicht für eine Spaltung gestimmt, weil sie ihre EU-Mitgliedschaft beschützen wollten. Die schottische Regierung werde sich unter den geänderten Umständen morgen treffen (wohl um ein neues Abspaltungsreferendum vorzubereiten).
„Wir sind entschlossen, in der EU zu bleiben“

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Sturgeon sagt, sie werde alle Schritte ergreifen, um sicherzustellen, dass der Wille der schottischen Wähler respektiert werde, und sofort direkte Gespräche mit der EU beginnen. Sie habe auch mit dem Londoner Bürgermeister Sadiq Khan gesprochen, der ähnliche Absichten hege.
Sturgeon sagt, die Option eines zweiten Referendums sei Teil des Parteiprogramms der SNP. Sie bestätigt, dass die nötige Gesetzgebung dafür beschlossen würde, sobald das schottische Parlament das befürworte.
Nach einer Kampagne voller Hass sei es ihre Pflicht, im besten Interesse Schottlands zu handeln, „auf eine Weise, die uns vereint, nicht entzweit“. „Ich bin stolz auf Schottland und wie wir gestern gewählt haben. Wir haben klar gesagt, dass wir die EU nicht verlassen wollen. Ich werde alles tun, dass diese Erwartungen verwirklicht werden.“
Wie geht es mit Labour weiter?

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: In der Labour-Partei wird nach dem „Brexit“-Votum nun vor allem Parteichef Corbyn hinterfragt werden. Er ist bereits zuvor für schlechte Wahlergebnisse in der Kritik gestanden. In vielen Regionen, in denen die EU-Befürworter verloren haben, etwa Nordengland und Wales, hat Labour bereits zuvor an Boden verloren.
Möglicherweise stellt der politische Shootingstar Sadiq Khan den Führungsanspruch. Er ist jedoch gerade erst zum Bürgermeister von London gewählt worden.
Rede von Rechtsruck zu früh

Dr. Melanie Sully
Politologin Sully, Wien: Die nächste Parlamentswahl findet regulär 2020 statt. Bis dahin könnte es zu Veränderungen im Parteiensystem kommen. Allerdings hat sich UKIP bisher in landesweiten Wahlen wegen des Wahlsystems schwergetan. Es könnte jedoch zu einer Allianz zwischen konservativen EU-Gegnern und UKIP kommen und diese in der Folge eine Art Nichtangriffspakt schließen.
Es ist aber noch zu früh, von einem Rechtsruck in Großbritannien zu sprechen. Es könnte sogar zu einer Gegenbewegung kommen. Falls harte wirtschaftliche Einbußen sozial schwächere Schichten treffen, könnten diese die Schuld dem „Brexit“ geben. Auf jeden Fall müsste Labour aber auch in diesem Fall eine bessere Performance abliefern.
Schelling rechnet mit EU-GB-Handelsabkommen
„Ich bin überzeugt, dass am Ende ein Handelsabkommen ähnlich jenem der EU mit der Schweiz stehen wird“, sagt Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP). Die zukünftigen wirtschaftlichen Beziehungen nach dem Abschied aus der Union würden „sowohl im Sinne Großbritanniens als auch im Sinne der EU“ geregelt werden.
Er erinnert daran, dass der Ausstieg der Briten aus der EU „nicht von heute auf morgen“ geschehe, sondern je nach Ablauf ein, zwei Jahre vergehen werden. Die Entscheidung für den Austritt bezeichnet der Finanzminister als „grundsätzlich schade, aber handhabbar“. Womöglich würden die Briten den Schritt in späterer Folge auch noch bedauern.
Merkel: „Einschnitt für Europa“
„Es gibt nichts drum herumzureden, der heutige Tag ist ein Einschnitt für Europa, er ist ein Einschnitt für den europäischen Einigungsprozess“, sagt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Sie warnt zugleich davor, jetzt „schnelle und einfache Schlüsse zu ziehen“.
Wollen EU-Gegner der Tories „Brexit a la carte“?

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Die Reden von Michael Gove und Boris Johnson waren scheinbar darauf ausgerichtet, ein Klima der Versöhnung und Diplomatie herzustellen, werfen aber mehr Fragen auf, als sie beantworten. Zunächst einmal bleibt fraglich, was Johnson meint, wenn er behauptet, es sei nicht nötig, Artikel 50 zu aktivieren. Das widerspricht allem, was vor dem Referendum versprochen und angekündigt war.
Offenbar scheinen Gove und Johnson die Loslösung von der EU bis zur Zeit nach der deutschen Bundestagswahl aufschieben zu wollen. Unvorstellbar, dass Brüssel so einen „Brexit a la carte“ und die damit einhergehende Verlängerung einer Periode der Unsicherheit akzeptieren würde.
Auf der anderen Seite des Kanals

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Der EU gegenüber sind Johnsons Statements jedenfalls eine ziemliche Provokation - schließlich appelliert man hier für einen schnellen und reibungslosen Ausstiegsprozess.
Das Problem für Brüssel: Man hat nichts in der Hand, mit dem man die Briten zwingen könnte, Artikel 50 zu aktivieren. Gerade während man versuchen muss, Stärke zu zeigen, ist eine derartige Verzögerung alles andere als förderlich.
Hollande: Europa darf nicht weitermachen wie bisher
Frankreichs Präsident Francois Hollande fordert ein Aufbäumen Europas. „Damit Europa voranschreiten kann, darf es nicht mehr so weitermachen wie bisher“, sagt er in Paris. Die britische Entscheidung verlange es auch, sich hellsichtig die Mängel im Funktionieren Europas und den Vertrauensverlust der Völker in das von Europa verkörperte Projekt bewusst zu machen.
Europa müsse seine Werte wie Freiheit, Solidarität und Frieden bekräftigen. „Europa ist eine große Idee, nicht nur ein großer Markt.“ Das Ergebnis des Referendums bezeichnet Hollande als „schmerzhafte Entscheidung“. Er werde alles dafür tun, dass die EU-Partner tiefgreifende Veränderungen statt Abschottung wählen.
Un sursaut est nécessaire. Pour aller de l'avant, l'Europe ne peut plus faire comme avant. 2/2 🇫🇷🇪🇺
— François Hollande (@fhollande) 24. Juni 2016
Enttäuschung bei britischen Sportstars
Mit Ärger und Verunsicherung reagiert eine Reihe britischer Sportstars. „Ich schäme mich für meine Generation“, twittert der ehemalige englische Fußball-Nationalspieler Gary Lineker.
Feel ashamed of my generation. We've let down our children and their children.
— Gary Lineker (@GaryLineker) 24. Juni 2016
„Ich fühle mich, als würde ich in einem fremden Land leben“, schreibt der einstige Weltklasseleichtathlet und Dreisprung-Weltrekordler Jonathan Edwards. „Enttäuscht“, meint Jamie Roberts, Rugby-Star aus Wales. Segelolympiasieger Ben Ainslie vergleicht die Abstimmung mit dem Kentern eines Schiffes: „Es ist Zeit, das Boot wieder klarzukriegen und gemeinsam in eine Richtung zu gehen.“
Farage distanziert sich von Millionenversprechen
UKIP-Chef Farage hat sich von einem zentralen Versprechen der „Brexit“-Kampagne distanziert. In der ITV-Sendung „Good Morning Britain“ hat der UKIP-Politiker gesagt, er könne nicht garantieren, dass wie von den „Brexit“-Befürwortern angekündigt 350 Millionen Pfund pro Woche statt an die EU nun an das Gesundheitssystem NHS gingen.
„Das war einer der Fehler, die die ‚Leave‘-Kampagne gemacht hat“, so Farage. Er selbst habe damit nicht geworben. „Sie müssen verstehen, dass ich von der Kampagne ausgeschlossen wurde und ich, wie immer, mein eigenes Ding gemacht habe.“ Farage ist seit Jahren einer der prominentesten Befürworter eines britischen EU-Austritts.
Möglicher EU-Sondergipfel im Juli
Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen nach den Worten des lettischen Außenministers Edgars Rinkevics im Juli zu einem Sondergipfel zusammenkommen, um über die Folgen des Referendums zu beraten.
Kreml hofft auf bessere Beziehungen zu London
Der Kreml hat die Entscheidung als innere Angelegenheit Großbritanniens bezeichnet. „Moskau ist daran interessiert, dass die Europäische Union eine blühende, stabile und berechenbare Wirtschaftsmacht bleibt“, so Präsidentensprecher Dimitri Peskow. Die EU sei ein wichtiger Partner Russlands.
Peskow erinnert an das „sehr komplizierte“ Verhältnis zwischen Moskau und London. „Im Licht der neuen Realität wächst in Großbritannien hoffentlich das Verständnis für den Aufbau guter Beziehungen mit unserem Land“, zitiert die Agentur Interfax Peskow.
Tsipras: EU braucht mehr soziale Gerechtigkeit
Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras fordert mehr soziale Gerechtigkeit in der EU. „Wir brauchen eine neue Vision und einen Neustart für das Vereinigte Europa“, sagt Tsipras. Das Ziel sei ein sozial gerechtes und demokratisches Europa.
Die Entscheidung der Wähler in Großbritannien für den Austritt aus der EU sei „kein Blitz aus heiterem Himmel“, so Tsipras. Sie sei Folge des demokratischen Defizites in den Strukturen der EU, der harten Sparprogramme und der Vorurteile „faule Südländer - fleißige Nordeuropäer“.
Ansturm auf Wechselstuben in Singapur
Der massive Wertverlust des Pfund hat in Singapur für einen Ansturm auf Wechselstuben gesorgt. Vor manchen Wechselstuben haben sich lange Schlangen gebildet. Viele wollten sich für einen geplanten Großbritannien-Urlaub oder das Studium ihrer Kinder in Großbritannien billige Pfund sichern.

APA/AFP/Roslan Rahman
Viele Wechselstuben hat der massive Wertverlust des Pfund unvorbereitet getroffen; sie haben Schilder aufgehängt, mit denen sie Tauschwillige informieren, dass bei ihnen die britische Währung nicht mehr zu haben ist. Auch der bei den Bewohnern von Singapur beliebte britische Onlinehändler Asos ist vom unerwarteten Ansturm überfordert: Die Website ist angesichts der zahlreichen Bestellungen aus Singapur zusammengebrochen.
Erstaunliche Parallelen?
Dreht man Großbritannien um 90 Grad und vergleicht das „Brexit“-Votum mit der österreichischen Bundespräsidentenwahl, sieht das so aus.

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Telegraph/SORA
Applaus für Juncker

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Keine zehn Minuten hat der Kommissionspräsident heute im heillos überfüllten Pressesaal verbracht. Nach seinem kurzen Statement kündigt Jean-Claude Juncker an, zweieinhalb Fragen zu beantworten. Geworden sind es zwei, bevor er - äußerst ungewöhnlich bei Pressekonferenzen - begleitet von Applaus wieder verschwand.
Dieses Element ist nicht mehr verfügbar
Renzi: Europa muss sich verändern
Europa muss sich nach Worten von Italiens Regierungschef Matteo Renzi verändern, damit es menschlicher und gerechter wird. „Aber Europa ist unser Zuhause, unsere Zukunft“, schreibt der Ministerpräsident auf Twitter und Facebook. Renzi telefonierte nach dem Votum auch mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande.
Dobbiamo cambiarla per renderla più umana e più giusta. Ma l'Europa è la nostra casa, è il nostro futuro.
— Matteo Renzi (@matteorenzi) 24. Juni 2016
Zweites „Brexit“-Referendum gefordert
Zahlreiche Briten fordern nach dem knappen Sieg der „Brexit“-Befürworter eine zweite Volksabstimmung zur EU-Mitgliedschaft. Mehr als 115.000 haben bisher online eine entsprechende offizielle Petition unterzeichnet.
Das Parlament werde das Anliegen für eine Debatte in Betracht ziehen, hieß es auf der Webseite, nachdem die Marke von 100.000 Unterzeichnern erreicht worden war. Ein bisschen weniger ernst zu nehmen ist eine Initiative, die eine Abspaltung Londons aus Großbritannien fordern.
Verunsicherung bei britischen EU-Beamten

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Fast 33.000 Menschen aus allen EU-Ländern sind in der EU-Kommission beschäftigt - 1.164 davon sind Briten. Offiziell gibt es keine Informationen, ob sie ihren Job nach einem „Brexit“ behalten dürfen.
Intern sei kommuniziert worden, dass niemand rausgeworfen werden soll, ist inoffiziell zu erfahren. Allerdings braucht man ab einem bestimmten Karrierelevel die Unterstützung der eigenen Regierung, das könnte die Aufstiegschancen einschränken.
In Ausnahmefällen - also wenn bestimmte Qualifikationen dringend benötigt werden - beschäftigt die Kommission auch Nicht-EU-Bürger. „Wir haben zum Beispiel einen Isländer, sieben norwegische und fünf Schweizer Kollegen“, bestätigt eine Sprecherin des Personalbüros.
Keine unmittelbaren Folgen für EU-Bürger in GB
Umgekehrt versucht Premierminister Cameron die in Großbritannien lebenden EU-Bürger zu beruhigen. Es werde durch das „Brexit“-Votum keine unmittelbaren Einschränkungen bei der Freizügigkeit geben. Europäer, die in Großbritannien leben, und Briten, die in Europa leben, seien in der nahen Zukunft nicht von der „Brexit“-Entscheidung betroffen, sagte Cameron.
Auch Londons Bürgermeister Sadiq Khan betont, Europäer seien in der britischen Hauptstadt willkommen. „Ich möchte eine besondere Botschaft an die beinahe eine Million in London lebenden Europäer aussenden, die einen enormen Beitrag zu unserer Stadt leisten, hart arbeiten, Steuern zahlen und zu unserer Gesellschaft beitragen: Sie sind willkommen hier“, sagte Khan.
Aus für Corbyn?

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Das Labour-Schattenkabinett hat fast drei Stunden lang getagt. Dabei soll es zu einem offenen Putschversuch gegen Parteichef Jeremy Corbyn gekommen sein. Die Parlamentsfraktion wird nun Corbyn die Vertrauensfrage stellen. Das wird allerdings zu einer Zerreißprobe zwischen der Parlamentsfraktion und der Parteibasis führen, die immer noch mehrheitlich hinter Corbyn steht.
Boulevardblätter jubeln
„The Sun“ und „Daily Mail“ hatten die „Brexit“-Befürworter massiv unterstützt.
This morning's front page: See EU later! pic.twitter.com/ntv8ofV3Kv
— Sun Politics (@SunPolitics) 24. Juni 2016
Friday's @DailyMailUK #MailFrontPages pic.twitter.com/vYSzPt2x0M
— Daily Mail U.K. (@DailyMailUK) 24. Juni 2016
IWF-Chefin Lagarde für sanften Übergang
IWF-Chefin Christine Lagarde fordert die Verantwortlichen in Großbritannien und Europa auf, bei der Gestaltung der neuen Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Königreich und der EU nach dem „Brexit“ auf einen sanften Übergang hinzuarbeiten. Sie befürworte die Maßnahmen der Bank of England und der EZB, das Bankensystem mit ausreichend Liquidität zu versorgen.
Die Zentralbanken der G-7-Staaten leiteten indes Schritte ein, um eine angemessene Liquidität zu gewährleisten und das Funktionieren der Märkte zu unterstützen. Die G-7 gingen weiter davon aus, dass die britische Wirtschaft und der Finanzsektor widerstandsfähig blieben.
Englisch bleibt, auch wenn die Briten gehen

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Bevor Großbritannien 1973 dem EU-Vorläufer EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) beigetreten ist, war Französisch die dominierende Arbeitssprache in den Institutionen. Mittlerweile kommt man hier auch mit nur Englisch ganz gut durch. Nach dem „Brexit“ wird sich das nicht ändern - es bleiben Irland und Malta, denen es dann zu verdanken ist, dass Englisch Amtssprache bleibt.
Streng genommen ist es aber dann eine Minderheitensprache - es gäbe zum Beispiel mehr finnische, dänische und bulgarische Native Speaker in den EU-Mitgliedsländern.
Morgan Stanley zieht Banker ab

Privat
FM4-Host Rotifer, London: Die deutsche „Tagesschau“ hatte heute bereits vor künftiger Wohnungsnot in Frankfurt wegen eines Ansturms umgesiedelter Londoner Banker gewarnt, und das offenbar nicht ohne Grund. Die Investmentbank Morgan Stanley reagiert schnell und hat laut jüngsten Berichten bereits mit der Umsiedlung von 2.000 Angestellten begonnen. Es sieht nicht gut aus für das Finanzzentrum London.
Morgan Stanley sources tell @BBC_Joe_Lynam it's begun process of moving 2000 London based investment banking staff to Dublin or Frankfurt.
— John Moylan (@JohnMoylanBBC) 24. Juni 2016
Obama: Für USA ändert sich nichts
Die USA und Großbritannien bleiben einander laut US-Präsident Barack Obama auch nach der „Brexit"-Entscheidung auf besondere Weise verbunden. In einer vom Weißen Haus verbreiteten Mitteilung hieß es am Freitag: "Das Volk des Vereinigten Königreichs hat gesprochen - und wir respektieren seine Entscheidung.“
Obama erklärte, die Mitgliedschaft Großbritanniens in der NATO bleibe für die USA ein wesentlicher Eckstein ihrer Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik. Gleiches gelte für die Beziehungen zur EU, die so viel getan habe, um Stabilität zu gewährleisten, Wirtschaftswachstum anzukurbeln und demokratische Werte und Ideale über den Kontinent und darüber hinaus zu verbreiten.
Wer übernimmt statt Briten EU-Vorsitz?
Großbritannien wäre planmäßig in der zweiten Jahreshälfte 2017 mit dem EU-Vorsitz an der Reihe. Dass es diesen wahrnimmt, während Austrittsverhandlungen geführt werden, wird bezweifelt. Wer allerdings einspringt, ist unklar. Malta soll die rotierende EU-Präsidentschaft im Jänner 2017 übernehmen. Überlegt wurde, dass das Land ein ganzes Jahr lang den Vorsitz innehat. Der maltesische Premier Joseph Muscat spricht sich allerdings dagegen aus.
Der Ausstieg Großbritanniens könnte Österreich den EU-Vorsitz parallel zur nächsten regulären Nationalratswahl bescheren. Entscheidet man sich dafür, dass alle folgenden Vorsitztermine um ein halbes Jahr vorrücken, wäre Österreich im zweiten Halbjahr 2018 an der Reihe. Im September 2018 steht freilich auch der nächste - reguläre - Termin für die Nationalratswahl an.
„Brexit“-Schock zieht Wall Street nach unten
Das Nein der Briten zu einem Verbleib in der EU schickt auch die US-Börsen auf Talfahrt. Der Dow-Jones-Index der Standardwerte verlor im frühen Handel 2,7 Prozent. Der breiter gefasste S&P 500 gab 2,6 Prozent Zähler nach. Der Index der Technologiebörse NASDAQ fiel um 3,6 Prozent.
Orientierungslose Betriebsamkeit im EU-Viertel

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Vor der EU-Kommission warten noch immer Journalisten aus aller Welt auf ihre Liveeinstiege. Viele Antworten wird es heute nicht mehr geben. Rundherum holpert so auch die freitägliche Wochenendrollkofferfraktion mit offenen Fragen in Richtung Mitgliedsländer.

ORF.at/Sophie Felbermair
„Europa der zwei Geschwindigkeiten“ taucht wieder auf
Deutschland und Frankreich wollen gemeinsame Vorschläge zur Weiterentwicklung der EU vorlegen. Ziel ist, dass sich eine Entwicklung wie in Großbritannien nicht in anderen Staaten der EU wiederholt. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein Amtskollege Jean-Marc Ayrault können sich offenbar eine „flexible EU“ vorstellen. Bisher firmierte diese Idee unter den Schlagwörtern „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ und „Kerneuropa“.
Nach Angaben aus diplomatischen Kreisen wollen die beiden Minister bereits morgen in Berlin ein gemeinsames Papier präsentieren. Darin ist von einer „flexiblen Union“ die Rede, die Raum lasse für Partnerländer, die weitere Integrationsschritte noch nicht mitgehen wollten oder könnten. Zu dem Treffen werden auch die Außenminister aus den vier anderen EU-Gründerstaaten (Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg) erwartet.
„Game of Thrones“-Abschied aus Nordirland?
Das Nein der Briten zur EU hat Auswirkungen auf den verschiedensten - und oft unerwarteten - Ebenen. Einer dieser Nebenaspekte: Die TV-Serie „Game of Thrones“ könnte Nordirland, wo ein Gutteil der Dreharbeiten stattfindet, den Rücken kehren. Bisher gab es dafür Gelder aus der EU-Regionalförderung, mit einem EU-Austritt fallen diese freilich weg. Der Vorsitzende der Independent Film & Television Alliance (IFTA), Michael Ryan, sprach generell von „verheerenden Folgen“ für die Film- und Fernsehbranche.
Apropos EU-Vorsitz

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Wenn die Briten wollen, können sie die EU auch in dieser Hinsicht lähmen: Zur einer Änderung im Turnus des halbjährlich wechselnden Ratsvorsitzes braucht es einen einstimmigen Beschluss aller Mitgliedsländer. Solange das Austrittsverfahren nicht beantragt wird, könnte Großbritannien also auf seinem Vorsitz 2017 bestehen. Unwahrscheinlich, aber auch möglich.
Außer Malta, das ja schon eher abgewinkt hat, sind noch Kroatien und Estland im Gespräch als Einspringer.
Warum diese Rolle wichtig ist? Das vorsitzende Land ist maßgeblich an der Prioritätensetzung des Rates beteiligt und leitet die Ministertreffen, auf denen viele Schlüsselentscheidungen fallen. Seit dem Vertrag von Lissabon hat der Ratsvorsitz allerdings einen reduzierteren Einfluss als davor: Damals wurde zusätzlich das Amt des Ratspräsidenten eingeführt, der von den Staats- und Regierungschefs jeweils für zwei Jahre gewählt wird.
Bangen um EU-Förderungen
Die Verwaltung der Grafschaft Cornwall veröffentlichte eine „dringende Bitte“ an die britische Regierung, dass man nach dem „Brexit“-Votum nicht schlechtergestellt werde. Der Hintergrund: Die Region erhielt massive EU-Förderungen, alleine zwischen 2007 und 2013 gab es 654 Millionen Euro, bis 2020 waren 604 weitere Millionen geplant.
In der Stellungnahme hieß es, das „Leave“-Lager habe versichert, dass die Förderungen weiter fließen würden. Nun verlangt man Aufklärung von der Regierung, wie es tatsächlich darum steht. 56,5 Prozent der Menschen in Cornwall stimmten für den EU-Austritt.
Hashtag #ScotLond erobert das Netz
Mit dem Hashtag #ScotLond wehren sich „Brexit“-Gegner im Netz gegen den Austritt aus der EU. Auf Twitter kursiert eine Bildkombi, die augenscheinlich eine idyllische schottische Landschaft und die Skyline Londons zeigte - überlagert von den Sternen der europäischen Flagge. „Ich habe schnell ein neues Logo für unser neues Land gestaltet“, schrieb Nutzer Michael Shaw. Schotten und Bewohner der britischen Hauptstadt hatten mehrheitlich gegen den Austritt aus der EU gestimmt. „Nehmt uns mit!“, schrieb eine Nutzerin aus Gibraltar dazu.
I've quickly designed a logo for our new country: #ScotLond pic.twitter.com/nZi1hBjZzZ
— Michael Shaw (@MrMichaelShaw) 24. Juni 2016
Trump begrüßt „Brexit“-Votum als „fantastisch“
Der voraussichtliche republikanische US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump begrüßt das Votum der Briten. Die Entscheidung sei „großartig“ und „fantastisch“, sagte Trump bei einem Besuch in Schottland, wo er zwei Golfplätze besitzt. Im schottischen Turnberry wurde er von Protesten empfangen, ein Demonstrant warf mit Hakenkreuzen verzierte Golfbälle auf den Rasen.
„Die Menschen wollen ihr Land zurück, sie wollen ihre Unabhängigkeit“, sagte Trump bei einer Pressekonferenz auf dem Golfplatz. Es gebe eine „echte Parallele“ zwischen dem Votum für den Abschied von der EU und seiner Nominierungskampagne: Die Menschen sowohl in Großbritannien als auch in den USA seien unzufrieden mit dem „Strom“ von Einwanderern. „Es gibt große Ähnlichkeiten zwischen dem, was hier passiert ist, und meiner Kampagne.“

APA/AFP/Oli Scarff
Drei wirklich große Aufgaben

ORF.at/Sophia Felbermair
ORF.at-Korrespondentin Felbermair, Brüssel: Nach dem „Brexit“ steht sämtlichen EU-Institutionen zweifellos eine der entscheidendsten Phasen seit ihrem Bestehen bevor.
Für die kommenden Monate sind es drei große Aufgaben, die es zu bewältigen gilt: Neben der Großbritannien-Abwicklung müssen sich die verbleibenden 27 Mitgliedsländer einigen, wie sie selbst miteinander weitermachen wollen. Enger zusammenrücken? Zurück zu mehr nationalen Kompetenzen, um Europaskeptiker in den Griff zu bekommen?
Und dann ist da noch das normale Alltagsgeschäft - sofern man die EU-Politik, in Zeiten der Flüchtlingskrise ohnehin schwer durchgeschüttelt, so nennen kann.
Wer wie abstimmte
Eine privat durchgeführte Umfrage des Geschäftsmanns Lord Ashcroft zeigt keine signifikanten Unterscheide zwischen Männern und Frauen beim Abstimmungsverhalten, große Differenzen gibt es aber je nach Alter, Ethnie, Bildung und Einkommen. Erwerbstätige stimmten eher für den Verbleib, nicht Erwerbstätige und Pensionisten dagegen.
Das Alter spielte eine besonders große Rolle. 60 Prozent der über 65-Jährigen wählte den „Brexit“, fast drei Viertel der unter 24-Jährigen sagten Ja zur EU. Auch bei höheren Bildungsabschlüssen wurde eher für den Verbleib gestimmt. Weiße Briten stimmten zu 53 Prozent für den Austritt, während drei Viertel der schwarzen Wähler und zwei Drittel der Wähler mit asiatischen Wurzeln sich für die EU aussprachen. Rund 12.000 Briten wurden für die Studie befragt.
Europäische Börsen schließen tiefrot
Die europäischen Leitbörsen haben ihre Pforten für heute geschlossen - und nach der „Brexit“-Entscheidung ausgelöst. Der Aktienindex für 50 führende Unternehmen der Euro-Zone, Euro Stoxx 50, schloss mit 8,62 Prozent schwächer.
Der breiter gefasste Euro-Stoxx-Index fiel ebenfalls massiv um 7,66 Prozent. Beim deutschen Leitindex DAX wich nach einem Kursbeben im Handelsverlauf immerhin der erste Schock - er verlor insgesamt 6,82 Prozent. Der ATX fiel um 7,04 Prozent.
Britannien abhängig vom guten Willen der 27

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FM4-Host Rotifer, London: Die Prozedur des Austritts unter Artikel 50 wirft bereits lange Schatten auf Großbritannien. Wenn Großbritannien nach zwei Jahren nicht alle seine EU-Angelegenheiten zu seiner Zufriedenheit abgewickelt hat, müssen alle 27 verbleibenden EU-Staaten einstimmig für eine Verlängerung des Prozesses stimmen.
Der polnische Botschafter ließ durchblicken, dass Polen auch auf die Interessen seiner Auswanderer pochen wird, was ihr Bleiberecht und ihre sonstigen Bürgerrechte in Großbritannien anlangt. Es sieht also so aus, als wären die britischen Träume, mit einem „Brexit“ die volle Kontrolle über die eigenen Affären zurückzugewinnen, schon am ersten Abend mit einer wesentlich komplizierteren Realität konfrontiert.
Kinnock distanziert sich von Corbyn

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FM4-Host Rotifer, London: Stephen Kinnock, Sohn des ehemaligen Labour-Chefs Neil, Ex-EU-Kommissar, Unterhausabgeordneter in Wales und Ehemann der ehemaligen Helle Thorning-Schmidt stellt sich nach Lady Margaret Hodge, der Vorsitzenden des Public Accounts Committee, nun auch offen hinter den parteiinternen Misstrauensantrag gegen Parteichef Jeremy Corbyn.
Schon nächste Woche soll über Corbyns Schicksal entschieden werden, sein Schattenschatzkanzler John McDonnell unterstützt weiter seinen engen Freund, aber laut Augenzeugen gab es bereits beim heutigen Treffen der Labour-Parlamentsfraktion eine eindeutige Mehrheit gegen Corbyn.
In der Zwischenzeit steht die stark dezimierte schottische Labour Party, wie die Vorsitzende Kezia Dugdale sagt, „vor zwei Arten von Chaos“, dem EU-Austritt Großbritanniens und dem von der SNP angekündigten zweiten schottischen Unabhängigkeitsreferendum. Sie verweist auf den Parteibeschluss, kein weiteres Referendum zu unterstützen. Scottish Labour kann ein solches aber nicht verhindern und wird sich sehr schwer tun, auf der Seite eines Post-„Brexit“-Großbritanniens in einen erneuten Abstimmungswahlkampf zu ziehen.
„Brexit“-Gegner kündigen Demonstration an
In London kündigen „Brexit“-Gegner für morgen eine Demonstration an. Sie wollen zum Parlament ziehen und ihren Unmut über die Entscheidung kundtun. Schon heute protestierten vor allem Teenager vor dem Amtssitz des Premiers in der Downing Street. Sie beklagten, dass sie durch den „Brexit“ ihrer Zukunftschancen beraubt würden, selbst aber aufgrund ihres Alters nicht abstimmen durften.
Und wie geht es weiter?
In den kommenden Tagen und Wochen wird wohl ein Krisentreffen das nächste jagen. Der Ruf nach einer Reform der EU wird immer lauter. Sowohl die Staats- und Regierungschefs als auch die EU-Kommission müssen eine Linie finden, wie man mit dem britischen Austritt umgehen will und wie die EU in Zukunft aussehen soll. Die Modalitäten und der Zeitplan für die Abwicklung des „Brexit“ stehen ebenfalls in den Sternen.
In Brüssel will man den Abschied schnell über die Bühne bringen, in Großbritannien und einigen Ländern wie Deutschland will man nichts überhasten. In Großbritannien wird man sich wohl langsam der Folgen des Referendums bewusst werden. Zudem beginnt demnächst das Gerangel um die Nachfolge von Premier David Cameron.