Szene aus "Virgin Suicides"

Judith Buss

„Virgin Suicides“ als knallbunter LSD-Trip

Farbenfroh und ziemlich fordernd: Die deutsche Regisseurin Susanne Kennedy hat am Freitag mit „Selbstmord-Schwestern / The Virgin Suicides“ ihr Wien-Debüt gegeben. Der Abend im Theater Akzent bewegt sich irgendwo zwischen mittelalterlichem Ritual und zeitgenössischem Theater - mit dem Roman von Jeffrey Eugenides, später verfilmt von Sofia Coppola, teilt Kennedys Stück vor allem den Namen.

„The goal of this trip is ecstasy“, „Das Ziel dieser Reise ist Ekstase“, tönt die Stimme aus dem Off. Es ist eine Aufnahme von Timothy Leary, 1996 verstorbener Psychologe und der breiten Öffentlichkeit in erster Linie als LSD-Verfechter bekannt. Trance und Tod sind die wiederkehrenden Motive in Kennedys quietschbunt inszenierten „Selbstmord-Schwestern“.

Schon beim Betreten des Zuschauerraums ist schnell klar, dass Bilder hier eine wesentliche Rolle spielen werden: elf Bildschirme (zwei davon groß), zwei Glasvitrinen, ein Glassarg inklusive nacktem, künstlichen Körper in der Mitte des Bühnenbilds. Die Kulisse lebt von Überladung. Aufgebaut ist sie wie ein Altar, der so viele Stile vereint, dass er damit entweder keiner oder allen Kulturen gleichzeitig zuzurechnen wäre. Am Rand, vor Fotos von US-Schauspielerin Kirsten Dunst, sind zwei Puppen platziert - so scheint es zumindest zunächst.

Vorlage kaum wiederzuerkennen

Tatsächlich sind die Puppen nämlich Menschen: mit Masken und Perücken, kein bisschen Haut ist sichtbar. Es sind zwei der insgesamt fünf Lisbon-Schwestern, die auch ursprünglich in Eugenides’ Roman vorkommen. Eugenides’ Vorlage erzählt die Geschichte der Schwestern, die aus letztlich ungeklärten Gründen Suizid begehen, aus der Perspektive von ein paar Burschen, die versuchen, aus Erinnerungsschnipseln eine Erklärung für das Verhalten der Mädchen zu finden.

Szene aus "Virgin Suicides"

Judith Buss

Elf Bildschirme, unzählige Farben und vier Masken auf der Bühne

Doch Vorwissen hilft am Abend der Wien-Premiere ohnehin nur bedingt weiter. Über weite Strecken ist komplett unerheblich, dass Kennedy Eugenides zitiert und auch Coppolas Verfilmung auf der Bühne einfließen lässt. Immerhin: Wer die Vorlage kennt, bemerkt, dass in Kennedys Version die Rolle von Burschen und Mädchen zusammenfällt, also Männer die Rolle der Mädchen auf der Bühne übernehmen.

Katzenvideos und Schminktipps

Das erzählerische Gerüst nimmt hier eine untergeordnete Rolle ein, sich darauf zu konzentrieren ist, aufgrund der vielen Eindrücke, kaum möglich. Auf den vier Bildschirmen direkt neben der Bühne laufen abwechselnd Katzenvideos, dann YouTube-Schminkvideos mit Kindern, stets mehrere Videos gleichzeitig, für ein Maximum an Farbe und ein Minimum an möglichem Verständnis. LSD-Experte Leary wird von einem nackten - aber geschlechtslosen - 3D-Avatar begleitet, manchmal bewegen sich auch die Lippen der Schauspieler, die Stimme kommt stets aus dem Off. Gesprochen wird einmal deutsch, einmal englisch, aber vor allem oft unverständlich.

Hinweis

„Die Selbstmord-Schwestern / The Virgin Suicides“ ist bei den Wiener Festwochen noch am 2. und 3. Juni um 19.30 Uhr im Theater Akzent zu sehen. Bereits um 19.00 Uhr findet eine Einführung statt, nach der Vorstellung am 2. Juni gibt es ein Publikumsgespräch.

Als strukturellen Rahmen greift Kennedy auf das tibetanische Totenbuch, Bardo Thödol, zurück, das sich mit der Zeit nach dem Tod beschäftigt. 49 Tage umfasst diese Phase zwischen Tod und Wiedergeburt und begleitet die maskierten Schwestern auf der Bühne. Dazu unterteilt Kennedy auch in sechs grobe Phasen, die von „Leben" bis hin zum düsteren "... sondern sich abzulösen vom Willen zum Leben“ reichen.

Doch während die Struktur an das Ritual im Mittelalter erinnert, jene Zeit, in der das Theater aus Europa fast zur Gänze als solches verschwand, spielt auch diese an diesem Abend an sich keine Rolle. Unklar bleibt nur, wieso dennoch gleich doppelt gegliedert wird.

Bildgewalt im Vorder- und Hintergrund

Kennedy setzt stattdessen auf Eindrücke - die allesamt gelingen, wenn man sich darauf einlässt. Erbrechende Masken, blutende Brüste, eine Colaflasche, ein glühendes Herz: Bilder im Vor- und Hintergrund übernehmen die Hauptrolle. Manchmal flimmern die elf Bildschirme auf und verbreiten die Atmosphäre eines Horrorfilms. Der Text bleibt monoton, einmal wird gar etwas vorgelesen, was wie der Wikipedia-Eintrag zur „Virgin Suicides“-Schauspielern Dunst klingt.

Kennedy gelingt es auch mit ihrem Stück, gleich eine Handvoll Fragen aufzuwerfen. Etwa, was in „Selbstmord-Schwestern“ kritisiert wird: Ist es eine Replik auf Eugenides’ Originalwerk, das ein Paradebeispiel für den „Male Gaze“, den rein männlichen Blick auf Frauen, ist, oder ist die lose Form des Stücks und der Verzicht auf Protagonisten im herkömmlichen Sinn eine Kritik am Theater, oder gar dem Kulturbetrieb an sich? Klar ist eigentlich nur eines: Wer deutet und interpretiert, wird sich an „Selbstmord-Schwestern“ die Zähne ausbeißen.

Vorwissen optional

Fraglich ist dann aber auch, ob die rund 20-minütige Werkeinführung vor der Aufführung hilfreich ist: Denn wahrscheinlich funktioniert Kennedys Eugenides-Interpretation ohne jegliches Vorwissen am besten. Auch ein Blick in das Programmheft knüpft zahlreiche popkulturelle Referenzen. Doch im Verlauf des Abends nach Anhaltspunkten zu suchen, lenkt letztlich vom eigentlichen Ereignis, das Kennedy inszeniert, ab.

Szene aus "Virgin Suicides"

Judith Buss

Nur ein einziger Darsteller tritt ohne Maske auf

„You may feel confused and bewildered“, „Sie könnten sich jetzt verwirrt und perplex fühlen“, sagt Learys Stimme kurz vor dem Ende. Das dürfte die Gefühlswelt eines Teils des Publikums recht akkurat widerspiegeln. Applaus gab es dennoch für die vier maskierten und den einzigen Schauspieler ohne Maske - auch wenn es zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer offenbar eilig hatten, den Saal zu verlassen.

Florian Bock, ORF.at

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