New Order Konzert mit Schattenspiel an der Bühnenwand

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New Order und die Heinzel(wo)männchen

Wenn es Meister in Packaging-Design gibt, dann sind New Order in dieser Liga ganz vorne dabei. Bei den Festwochen hätte man sich bei der Verpackung unter dem Motto „∑(No,12k,Lg,18Wfw)“ beim kunstvollen Verschlüsseln fast selber überdribbelt. Dabei kam vieles banaler. Fans bekamen Joy-Division-Material durchaus konventionell-solide serviert. Und das große Synthie-Orchester in der Lamellenmaisonette fütterte vor allem die Smartphones der Fans mit visueller Eindrücklichkeit.

Sich ordentlich zu vermarkten war immer schon ein Merkmal von New Order und ein Horror für ihr Label Factory Records. Man erinnere sich, wie lange es gebraucht hatte, mit der von Peter Saville gestalteten bislang immer noch erfolgreichsten Maxi-Single aller Zeiten auf Vinyl, „Blue Monday“, endlich eine schwarze Null hinzubekommen. Bis heute sind beinahe alle Covers der Band minimalistische Konzeptkunstwerke - manchmal mit einem Versprechen, das die Joy-Division-Nachfolger aus Manchester nicht immer musikalisch halten konnten.

Konzeptkünstler Liam Gillick hatte auch nichts Geldsparendes im Sinn, als er die Klassiker der Band hernahm, entkernen und mit einer neuen Klangfläche zum größeren Strahlen bringen wollte. Und so stand ein ganzes Musikkonservatorium als Kraftwerk-artiges Orchester im Hintergrund der Bühne. Ein Unterfangen, das sich wenige Festivals leisten können und wollen. Und Wien wollte.

Wer sich immer schon gefragt hat, wer eigentlich in einem Keyboard die Musik macht, konnte sich freilich mit diesen zwei Wiener Abenden auch die Antwort geben: Es müssen wohl die Heinzel(wo)männchen sein, die im inneren der Kiste die Klänge zaubern. In Wien standen sie sichtbar in einem zweistöckigen Container hinter auf- und zugehenden Lamellen.

Bilder New Order Konzert Wien

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Big Rock-’n’-Roll-Verpackungsschwindel?

Die Sound-Maisonette, die da angerichtet war, entpuppte sich freilich auch als ein Element eines gut gemachten Verpackungsschwindels - immerhin war es nach dem symphonischen und an Ian Curtis von Joy Division erinnernden Stück „Elegia“ am Anfang zumindest so etwas wie ein Big Rock-’n’-Roll-Verpackungsschwindel: Die ersten sechs Nummern wollte die Band ihr Wave-lastiges Material unter Zuhilfenahmen des Joy-Division-Klassikers „Disorder“ zelebrieren. Und das hieß: eigentlich wenig Keyboard- und Synthiesound, dafür ein typisch von Drums und Bass lebendes Beat-Material.

Zwar stammten Nummern wie „Hey Joe“ aus der jüngeren Bandgeschichte (Album „Waiting for the Siren’s Call“, 2005), doch am Anfang wehte noch ein Post-Punk- und Wave-Feeling durch die überhitzte Halle E im Wiener MuseumsQuartier. Ungewöhnlich stumpf hörte sich das Material an und eigentlich sehr auf die Basics heruntergekocht, viellicht auch, weil Stephen Morris auf alte Analog-Drums statt seine digitale Drum-Kit-Kiste setzte.

„In a Lonely Place“

Stimmig minimalistischer Höhepunkt des Abends, die frühe New-Order-Nummer „In a Lonely Place“, die mit dem Melodica-Einsatz und der minimalistischen Orientierung auch an das Influencer-Potenzial dieser Band bis hinauf zu Damon Albarns Gorillaz erinnerte. Alles, was danach, vielleicht mit der Ausnahme von „All Day Long“, kam, muss inhaltlich unter den Aspekt von „Shellshock“ einsortiert werden.

Bernard Sumner machte von „Shellschock“, „Guilt is A Useless Illusion“ bis hin zu „Bizarre Love Triangle“ den gut gelaunten Tanzbären. Eine Backgroundsängerin und drei Keyboarderinnen, die vor allem als Sängerinnen arbeiteten, trugen ihn noch durch einen Teil des Abends, konnten den partiellen stimmlichen Totalausfall irgendwann nicht mehr kaschieren. Und ja, Hand aufs Herz, welcher der eingeschwornen New-Order-Fans hätte mit seinen End-40-Something auf der heißen Bühne einen auf Ibiza-Ballermann machen wollen - und können?

New Order Konzert in Wien

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Entweder - oder

Die Crux des Abends, der im Finale mit „Decades“ noch einmal einen Joy-Division-Klassiker als Beruhigungspille servierte, lag gerade an der Zuspitzung des gebotenen Materials. Denn auch zwölf Studenten des Royal Northern College of Music zu Manchester können nicht darüber hinwegtäuschen: Manche New-Order-Nummer hätte die Band selber besser immer schon den Pet Shop Boys überlassen.

An diesem Abend fehlte die hohe Bassline von Peter Hook, der die Resteverwaltung der Band ja im Zorn verlassen hatte. Hook rettete früher in seiner brachial derben Art so manches Konzert, das im „Regret“-Style nie vor dem Hauch einer larmoyanten College-Dance-Party gefeit war. Ohne Hits wie „Blue Moday“ und „Chrystal“ blieb in Wien dann doch ein Hauch von gut gestyltem Ballermann in den Schwaden der Halle E hängen.

Gerald Heidegger, ORF.at

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