Die Welt geht immer wieder unter
An diesem Abend spielt die Halle E die Rolle der Blackbox. Das Bühnenquadrat im Wiener MuseumsQuartier ist mit schwarzen Tüchern abgehängt: ein rauscharmer Hintergrund für die wenigen Farbkleckse im Spiel. Rote, gelbe und blaue Seidenschals übernehmen in Brooks und Estiennes minimalistischer Inszenierung die Rolle des Feuers, das alles verzehrt. Sie verwandeln sich in Vogelschwingen, wenn die Darsteller sie über die ausgestreckten Arme breiten. Mal blähen sie sich zum Zelt, dann bilden sie die Hülle, die ein sterbender Körper abwirft, bevor er wieder geboren wird. Es braucht wenig, um viel zu erzählen.
Eingedampfte Version der „Mahabharata“
Die vier Darsteller - drei Männer und eine Frau - hantieren so selbstverständlich mit den wenigen Objekten auf der Bühne, dass einem die an sich verschlungene Handlung des altindischen Epos „Mahabharata“, auf dem „Battlefield“ basiert, klar und heutig erscheint.

Pascal Victor ArtComArt
Ruhmlose Robe: Königssohn Yudhishthira (Ery Nzaramba) kann seinen Sieg nicht genießen
Genau so mag es auch den Zusehern der gefeierten, neunstündigen Urfassung der „Mahabharata“ gegangen sein, die Brook und Estienne 1985 beim Theaterfestival in Avignon in einem alten Steinbruch inszenierten. Damals wurde das apokalyptische Szenario von vielen als Allegorie auf den Kalten Krieg verstanden.
Manifest gegen Großmachtfantasien
Das aktuelle, 70-minütige Kondensat der damaligen Aufführung dampft das Setting noch einmal auf das Bild des postapokalyptischen Schlachtfeldes ein, auf das „Battlefield“ des Titels, das im Verlauf immer deutlicher als Mahnmal gegen politische Großmachtfantasien erkennbar wird: Wer Herrschaft erzwingt, steht am Ende vor den Trümmern seiner Ambition.
So wie Königssohn Yudhishthira (gespielt von Ery Nzaramba): Er ist als Sieger aus der Schlacht zwischen zwei verfeindeten Königsclans hervorgegangen. Doch seine Mutter Kunti (Carole Karemera) gesteht ihm, dass der getötete Erzfeind sein leiblicher Bruder war. Kunti zieht sich nun klagend in den Wald zurück, um für das Blutbad des Sohnes zu büßen. Ihr Mann, der erblindete König Dhritarashtra (Sean O’Callaghan), folgt ihr aus Liebe ins Exil. Was gerade noch als Triumph erschien, kostet Yudhishthira nun seine Familie.
Geschrieben 400 vor Christus
Der Königssohn bleibt allein zurück, ein Regent ohne Untertanen, denn die liegen auf dem Schlachtfeld. So zerschunden sind ihre Körper, heißt es im Text, dass man die abgeschlagenen Köpfe nicht den Leibern zuordnen kann: Die Welt, wie man sie kannte, ist aus den Fugen geraten. Automatisch denkt man bei diesen Schilderungen an aktuelle Internetbilder der Gewalt, die ebenfalls Gewissheiten über die Natur des Menschen ins Wanken bringen. Auflösung und Zerfall, wie sie in einem über zweitausend Jahre alten, indischen Epos beschrieben sind, spiegeln die Auflösungsängste der heutigen Zivilisation.
Es ist furchtbar und zugleich beruhigend, wie Brooks „Battlefield“ von der ewigen Wiederkehr der Dinge erzählt. Nicht nur in fernöstlicher Sichtweise eines Kreislaufs von Geburt und Wiedergeburt, sondern auch in größerem Maßstab.
Die Apokalypse als Unterkapitel im Universum
„Wird diese Welt zerstört?“, fragt gegen Ende des Stücks eine der Figuren. „Es ist schon geschehen“, lautet die Antwort. „Und es wird wieder passieren. Und wieder. Und wieder.“ Auch die Welt selbst ist dem Werden und Vergehen unterworfen. „Battlefield“ setzt die Apokalypse in eine neue Relation: Sie ist nunmehr nur ein Kapitel einer wesentlich größeren, auch ohne die Menschen fortlaufenden Schrift.

Pascal Victor ArtComArt
Das Drama des erfolgreichen Feldherrn: Vater (O’Callagan, links) und Mutter (Karemera) sind fremd geworden
In einer der vielen, kleinen Rollenspielszenen verlängert ein Darsteller seinen Körper mit einem Seidenschal und wird so zum Wurm, der über die Straße kriecht. Der Wurm beeilt sich, um nicht von einem Wagen zermalmt zu werden.

Reuters/Tony Gentile
Peter Brook
Der Brite Peter Stephen Paul Brook, geboren 1925, zählt zu den einflussreichsten Regisseurin des Gegenwartstheaters. Sein Grundsatztext von 1968, „Der leere Raum“, inspirierte eine ganze Generation von Theatermachern und gehört bis heute zum Kanon der Theaterwissenschaft. 1971 eröffnete Brook das International Centre for Theatre Research (CIRT) im Theatre des Bouffes du Nord, Paris, wo auch „Battlefield“ entstand. Koregie führte Marie-Helene Estienne, die der britische „Guardian“ als „Kraftwerk hinter Peter Brook“ bezeichnet.
Im Gespräch erklärt der Wurm, warum ihm sein Dasein so viel bedeutet. Denn auch er, der nichts sieht, hört, schmeckt und wenig mitbekommt von der Welt, liebt das Leben, schon, weil er kein anderes kennt. Mit einer schnellen Armbewegung zieht der Darsteller den Schal hoch vom Boden. Der Wurm ist tot, überfahren während er noch vom Leben schwärmt. Der Kutscher aber ahnt nichts von der Katastrophe unter den Rädern. Was bedeutet schon der Tod des Wurmes für den Menschen, fragt das Stück mit dieser kleinen Geste, und was das Ende des Menschen im ewigen Universum?
Das letzte Wort in Brooks und Estiennes Inszenierung behält schließlich die Trommel: Geschlagen wird sie von Toshi Tsuchitori, der schon bei der neunstündigen Aufführung in Avignon auf der Bühne stand. Einmal, ganz am Ende des Stücks, steht das große Weltgeheimnis im Raum, ein Name, eine Formel, die, wäre sie einmal verraten, alles erklären würde: Doch bevor sie noch ausgesprochen wird, setzt die Trommel ein und überdröhnt jede mögliche Antwort. Wir werden es nie erfahren, werden blind gegen die großen, kosmischen Zusammenhänge bleiben wie der Wurm der Bühnenparabel.
Hinweis
„Battlefield“ ist im Rahmen der Festwochen noch bis 19. Juni täglich um 20.00 Uhr in der Halle E im Museumsquartier zu sehen.
Wunderbar puristischer Theaterabend
Gesten, Bilder, Formen, mit Seidenstoff in den leeren Raum gezeichnet, bleiben von diesem wunderbar puristischen Theaterabend im Gedächtnis. Selbst der Moment des Todes verliert in Brooks und Estiennes minimalistischer Inszenierung für einen kurzen Moment seinen Schrecken: Was ist die menschliche Todesangst schon mehr als jene Regung des Wurms, der sich an seine Hülle klammert, ohne zu ahnen, dass er sie abstreifen kann wie ein Tuch? Man hat Grauenhaftes gesehen - und verlässt den Saal letztlich heiter.
Maya McKechneay, ORF.at
Links:
- Battlefield
- Battlefield Trailer (YouTube)
- Biografie Peter Brook
- Theatre des Bouffes du Nord (Französisch)
- Guardian