„Fidelio“ aus der Spieldose

Wer eine Inszenierung von Achim Freyer besucht, bekommt auch einen Achim Freyer: Eine seiner typischen Bildershows, die in der ihnen eigentümlich hypnotischen Art Betrachterin und Betrachter in den Bann zu ziehen vermögen – geradeso wie eine überdimensionale Spieldose -, hatte Dienstagabend mit Ludwig van Beethovens „Fidelio“ Premiere am Theater an der Wien.

Freyer löst die Logik von Raum und Zeit auf. Abstrakt und düster präsentiert er eine Bühne aus einem Metallgerüst, die von Anfang bis Ende unverändert und hinter einem transparenten Gazevorhang bleibt. Auf drei Ebenen haben Sänger und Statisten ihren jeweils fixen Platz, tauchen ständig wie aufgezogene Spielfiguren hinter einer Klapptür auf, deklamieren ihren Part und verschwinden wieder. Sie kommen sich dabei weder körperlich nahe, noch sehen sie einander an.

Fidelio

Monika Rittershaus

Rocco, Marzelline und Fidelio als „seelenlose“ Spielfiguren

Keiner verlässt jemals seinen Platz, immer sind alle auf der Bühne und somit Teil des Geschehens. Reduziert auf ihre Kreisbewegung findet eine Interaktion zwischen den Darstellern nicht statt. Für den uneingeweihten Besucher ist die heldenhafte Rettung des gefangenen Florestan durch seine Frau Leonore alias Fidelio nicht zu verstehen und erschließt sich ausschließlich über den gesprochenen und gesungenen Text.

Viele bunte Farbtupfer

Die Darsteller tragen die für Freyer typischen knallig bunten Harlekinkostüme und -masken, die der Commedia dell’arte entsprungen sein könnten. Requisiten: Fehlanzeige. Eine große Rolle spielen Lichteffekte: Je nach Stimmung werden die einzelnen Figuren und Bühnenelemente stets im passenden Moment und auf die Musik abgestimmt farbig ausgeleuchtet. So bekommt jedes Szenenbild seine eigene emotionale Einfärbung.

Fidelio

Monika Rittershaus

Die Bühne als projiziertes Wimmelbild

Als Projektionsfläche für weitere die Atmosphäre verdichtende Formen und Figuren dienen der Gazevorhang sowie die Rückwand der Bühne. Gekritzel, Raster, Zahlen und die Wörter „Sieg“, „Freiheit“, „Brüderlichkeit“ und „Gerechtigkeit“ leuchten auf, das Spiegelbild der Theaterlogen, ein Regenbogen, ein Wimmelbild von Hieronymos Bosch, Mickey Mouse und der stilisierte 9/11-Terroranschlag.

Vision eines Weltgefängnisses

Anstelle von Handlung gibt es in Freyers Produktion die alptraumhafte Vision eines Weltgefängnisses. Zwei Engel übernehmen zum finalen Showdown den blutigen Kampf zwischen Gut und Böse, bevor der Schlusschor sein berühmtes „Wer ein solches Weib errungen ..!“ triumphal ertönen lässt. Die Bühne jedoch bleibt dunkel, als wollte Freyer die Widersinnigkeit des Happy Ends veranschaulichen.

Fidelio

Monika Rittershaus

Zwei Engel duellieren sich hinter dem Rücken des gefesselten Florestan

Hat der eingekerkerte Florestan seine Befreiung nur geträumt? Die Menschen scheinen dazu verdammt, wie in einer Endlosschleife durchs Leben zu wandeln, kurz aufzublühen und wieder in der Versenkung zu verschwinden. Beethoven als kunstmetaphysischer Tranquilizer mit humanistischem Ideal hat bei Freyer ausgedient. Etwas Zweischneidiges, Kandiertes, Kunstgewerbliches, beinahe Kitschiges ist seinem „Fidelio“ aber auch nicht abzusprechen.

Auge versus Ohr

Das Auge weiß streckenweise nicht, wohin es sich richten soll, und sucht nach Halt in diesem opulenten Bühnenspektakel, das sich dann doch dem Vorwurf ermüdender Monotonie ausgesetzt sieht. Die Aufmerksamkeit gehört darum vor allem dem Ohr. „Originalklangspezialist“ Mark Minkowski dirigiert Beethoven mit schlanker kammermusikalischer Transparenz, flottem Tempo und emphatischen Forte-Aufschwüngen, zwischendurch aber auch mit streicherlastigem Schmelz.

Nie überdeckt das disziplinierte Orchester Les Musiciens du Louvre die Solisten, Schwächen zeigt höchstens das Blech. Mit Christiane Libor als Fidelio und Ileana Tonca als Marzelline sind die Frauenrollen ideal besetzt. An der Grenze ihrer stimmlichen Möglichkeiten bewegen sich in den Männerrollen Michael König als Florestan, Franz Hawlata als Rocco, Jewgeni Nikitin als Don Pizarro, Julian Behr als Jaquino und Georg Nigl als Don Fernando. Stets zuverlässig der Arnold Schönberg Chor.

Ästhetik nach dem Schema F(reyer)

Wer sich an Freyers Ästhetik noch nicht sattgesehen hat, kam am Dienstagabend voll auf seine Rechnung. Auch Beethoven-Liebhaber kamen auf ihre Kosten, wurde ihnen doch angesichts der seit der Uraufführung 1805 unüberschaubaren „Fidelio“-Deutungen eine - wie von Intendant Markus Hinterhäuser im Vorfeld versprochen - völlig neue und ungewöhnliche Lesart der Oper präsentiert. Freyer war kurzfristig als Ersatz von „Fidelio“-Regisseur Dmitri Tcherniakov eingesprungen.

Hinweis:

„Fidelio“ ist noch am 16., 18. und 20. Juni jeweils ab 19.30 Uhr am Theater an der Wien zu sehen.

Skeptiker freilich können monieren, dass sich Freyers Regiekonzept seit Jahrzehnten perpetuiert und offenbar über jedes Bühnenwerk beliebig stülpen lässt. Seine suggestiven und symbolträchtigen Bilder, die sich in delikater Schönheit zwar, jedoch ohne erkennbaren Sinn schablonenhaft aneinanderreihen, sind gekennzeichnet durch Absichtslosigkeit und Zweckenthobenheit. Solch purer Formalismus, der sich wie zufällig zu den Klängen Beethovens entfaltet, ist die andere Seite des Abends. Einzelne Buhrufe gingen jedoch schnell in tosendem Applaus unter.

Armin Sattler, ORF.at

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