Szenenbild Der Auftrag

Katrin Ribbe

Revolution strandet in der Playbackshow

Wenn der zum Gemeinplatz verkommene Satz stimmt, dass die Revolution ihre Kinder frisst, dann lohnt ein zweiter Blick auf den Akt der Selbstverspeisung. In entfremdeten Kontexten. Heiner Müller konnte das immer schon besonders lapidar. In Wien schickt man einen seiner größten Texte, „Der Auftrag“, in die Variete- und Playbackshow. Und als wäre Revolutionstheater im Theater nicht schon genug, muss auf der Bühne wieder einmal Kino sein.

Marx, Lenin, Trotzky und Stalin sterben in den Hinterzimmern einer Hacienda aus „Vom Winde verweht“. Davor erlebt man eine Tour de Force durch alle Stilgattungen theatraler Arbeit, die so verführerisch wie mit der Symbolgefährdung für das Platte ausgestattet ist.

Szenenbild der Auftrag

Katrin Ribbe

Nicht immer sind bei diesem Revolutionsstück alle Tassen im Schrank

Zweifelsohne können Theatermacher in der digitalen Gegenwart kombinieren und verdichten und vernetzen und ein Multimedia-Innuendo veranstalten, das, durchaus lernfähig, Dramaturgien eines späten Frank Castorf und seiner Video-Erzählcontainer im Hinterzimmer der Bühne hinter sich lässt. Und man kann hemmungslos in der Sprache der Popkultur on und off stage wühlen, sodass man Müller in einer Art von Variete-Revue im Stil der Berliner Band Bonaparte auftauchen sieht. Das ist kurzweilig und anspielungsreich und deutet von der Ästhetik auf den Inhalt: Napoleon Bonaparte als hegelianischer Komtur dieses Stücks.

Frischer Zugang zu „heiligem“ Text

Tom Kühnel und Jürgen Kuttner packen in ihrer Umsetzung dieses auf den Bühnen beinahe schon heiliggesprochenen Texts von Müller bei der Varietehaftigkeit dieses Revolutionsdramas an. Müller schickt drei Emissäre der Revolution in die Karibik, um auch in die entfernten Kolonien samt ihrer Sklavenhaltergesellschaft die Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu exportieren. Doch die ungleichen Revolutionäre Debuisson, Galloudec und Sasportas können ihren Auftrag nicht ausführen, weil sich in ihrer Heimat durch Napoleon die Machtverhältnisse geändert haben.

Müllers Figuren sind wie immer nur Vehikel und Stellvertreter in einem collagenartigen Thesenstück, das Erkenntnis in der Verkürzung oder aus der lapidaren Verknüpfung semantisch konträrer Satzteile generiert. Das lädt ein, möglichst viel in die Erzähloptionen auf der Bühne reinzuschachteln. Und dunkel wurde Müller ohnedies oft genug erzählt (schrill übrigens auch).

Variete trifft 30er-Kino

Also nimmt man Variete und eine Hommage an das 30er-Jahre-Kino als Transportmittel für das Bühnengeschehen her, spielt eine der ersten öffentlichen Müller-Lesungen des „Auftrags“ als Audio mit Loop-Schleifen ein und lässt die Figuren Müllers lapidar-auratischen Vortrag im Playback-Modus deklamieren. Dazu werken die Tentakel von Delphi, eine Band im Bühnegraben des Theaters an der Wien, musikalisch irgendwo in der Mitte zwischen Element of Crime und Ethno-Ska.

Szenenbild der Auftrag

Katrin Ribbe

Corinna Harfouch als Pierrot und Sprachmarionette der Revolution. Der Fahrstuhlmonolog wird zur großen Herausforderung, bei der das Playback ausbleibt.

Geschickt werden die verschiedenen Erzählstile auf der Bühne zusammengeführt. Es ist handwerklich Verdichtung im besten und gelungensten Sinn, die ihren Rhythmus erst verliert, als der berühmte Fahrstuhlmonolog zum Tragen kommt. Corinna Harfouch als Pierrot mit ostdeutscher Schnauze arbeitet sich ohne alle Hilfsmittel (bis auf die Soufflage) durch diesen berühmten, traumhaften Traktat.

Hinweis

„Der Auftrag“ ist bei den Festwochen noch am 24. und 25. Mai zu sehen.

Am Ende ist sie wieder die Marionette zur Stimme Müllers und murkst alle Kameraden und Ideologen der Revolution, auch jene, die noch danach folgen sollten, ab. „Stalin ist tot - lange hat’s gedauert“, könnte man ein Zitat aus einem anderen berühmten Müller-Stück bemühen. Kurzweilig war es allemal. Über die Platzierung dieser Inszenierung in den „Auftrag“-Charts an deutschen Theatern darf gestritten werden.

Gerald Heidegger, ORF.at

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