Szenenbild aus Mount Olympus

Festwochen/Le Troubleyn

„Mount Olympus“ - das Finale

Spielen und tanzen, bis die Füße wund sind - und durchhalten, bis sich die Wahrnehmung zwischen Taumel, Müdigkeit und Euphorie entgrenzt. Jan Fabres Marathonperformance „Mount Olymus. To Glorify the Cult of Tragedy“ nähert sich dem Finale, Höhe- und Endpunkt.

Während sich im Innenraum des Bauches von Fabres „Mount Olympus“ die Performance-Arbeit samt allen Freud’schen Wiederholungszwängen tief in die Gedärme wühlt, erlebt man auf der Außenseite des Mythenbergs im Wiener MuseumsQuartier gerade einen strahlenden Sommertag. Manche haben auf Feldbetten zwischendurch w. o. gegeben, andere ihre Stadien der Erschöpfung minuziös in Sozialen Netzwerken dokumentiert.

Still going on...climbing up until 19:30 #mo24 now it's vogue Maria Callas time #vogue

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Live beim 24-Stunden-Happening

Live kann man via ORF.at und Festwochen.at bei diesem Grenzgang bis zum Sonntagabend dabei sein und miterleben, was Publikum und Schauspielern widerfährt.

Hinweis: nur für Personen über 16 Jahren geeignet

ORF.at begleitet „Mount Olympus“ mit einem Close-up-Social-Format und ist mit dem Publikum seit dem Auftakt am Samstag um 19.30 live an Ort und Stelle. Jeder, der die Performance miterlebt, kann seine Eindrücke in Text, Bild und Video über Soziale Medien verbreiten. ORF.at sammelt unter dem Hashtag #MO24 die prägnantesten Posts ein und integriert diese in die Liveberichterstattung.

Grenzgänge in der Nacht

Wer eine 24 Stunden dauernde Performance des Teams von Fabre für eine vor allem am Exzess geschulte Erzählform gehalten hat, wurde bisher bei der Umsetzung von „Mount Olympus. To Glorify the Kult of Tragedy“ bei den Wiener Festwochen eines anderen belehrt. In lange anhaltenden Bildern wurde man poetisch über das Vehikel Mythologie vor allem an die Grenzen der Erkenntnis geführt. Der Einzelne konnte sich schon zu Beginn, wenn überhaupt, dann an der eigenen animalischen Natur festhalten. Später entgrenzte die Nacht jede Kontrolle über den Zugriff auf das Ich.

„Es wird nicht mehr lange dauernd und ich gleite an die Rückseite der Zeit“, versprach einer der vielen Helden auf der dunklen wie poetischen Bühne, in der die Charaktere immer nur halb der Höhle Platons entkommen konnten. Mythos statt Wissen, Kollektiverfahrung statt Erkenntnis. Am „Mount Olympus“ von Fabre und der 24-Stunden-Erfahrung, der sich gut 800 Zuseher seit Samstagabend aussetzen, sind die Koordinaten klar gesetzt. Entscheidend ist nicht nur, was auf der Bühne passiert, sondern wie alle hier Beteiligten den Grenzgang meistern, der auch via Web in die Welt getragen wird.

Der Mythos kommt durch Aeolus’ Horn

Die Botschaft des Mythos mag ja nach hinten losgehen - man kann aber auch von der Rückseite in den Mythos einsteigen. Fabre tut dies beim Auftakt seiner 24-Stunden-Performance bei den Wiener Festwochen bildsprichwörtlich und lässt die schlechten Botschaften von Dienern über das Hinterteil einblasen - auf dass sie vom Boten ausgesprochen werden. Was folgt ist ein Dionysium im Beyonce-Style.

„Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung“, hat Joseph Beuys mal auf eine Papiertasse geschrieben - es könnte das Motto dieser langen Nacht und des noch längeren Tages werden.

Von Anfang an zählt Happening. Pro und contra waren gleich beim ersten Applaus zu der Dubstyle-Begehung der Theogonie zu vernehmen. Über allem schwebt die mögliche Frage der Strafe, wird das Gesetz, das mit unsichtbarer Hand geschrieben ist, übertreten. „Zeus wird uns alle bestrafen“, heißt es im vierten Bild des Auftakts.

Massenszene aus Mount Olympus

Festwochen/Le Troubleyn

Der Mythos als Einstieg in die Kollektiverfahrung - let’s dance, Babys - für Zeus

Und Extase, Rausch, Müdigkeit, Hunger, Erwachen, Entrückung, Lust und Libido - nichts soll dem Publikum fern bleiben, wenn es bis zum Ende am Sonntagabend um halb acht dem Team von Fabres Troubleyn-Theater folgt.

Der Mythos wird hier wieder als Kollektiverfahrung gelesen - und der Einzelne, er begegnet sich, allein gelassen im Dunkel der Bühne, zunächst einmal in der animalischen Gestalt.

Die biologische Uhr soll aus dem Takt geraten

Für Fabre ist „Mount Olympus“ so etwas wie das „Zeugnis“ seiner Arbeit der letzten 30 Jahre. „Darin steckt die gesamte Theatersprache, die ich entwickelt habe“, sagte er gegenüber ORF.at.

In „Mount Olympus“ will Fabre den Weg zur Katharsis mit einer Art programmierter Überforderung erzeugen, das betrifft sowohl Publikum als auch Ensemble. „Es ist sehr, sehr fordernd für alle Beteiligten. Nach jeder Vorstellung sind wir für ungefähr eine Woche völlig aus dem Takt. Die biologische Uhr ist völlig durcheinander.“ Er habe schon oft von Zuschauern gehört, dass sich im Laufe der Performance die Perspektiven verschieben: Wenn man zwischendurch hinausgeht und zurückkommt, empfinde man die Vorstellung als Realität.

Die Arbeit sei in gewisser Weise Work in Progress und habe sich seit der Uraufführung vor rund einem Jahr in Berlin sehr viel weiterentwickelt: „Die Suche geht immer weiter. Wir hören nicht auf, uns zu fragen, ich höre nicht auf, meine Darsteller zu fordern, neue Dinge zu erfinden.“ Das passiere auch auf der Bühne, schließlich leben die Darsteller und Mitarbeiter 24 Stunden mit dem Publikum gemeinsam im Theatersaal.

„Manche Darsteller schlafen und haben Träume. Das wirkt sich natürlich auf die Szenen danach aus, und dem spüren wir zwischen den Vorstellungen weiter nach.“

Alles sehe improvisiert aus, sei aber bis ins letzte Detail geplant, so Fabre - ein geschickter Schachzug, womit man jede Improvisation ins Reich der Hintergründe führen kann.

Samstag, 21. Mai in der #halleeimmq #MO24 #wienerfestwochen2016 #performance #janfabre

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Jan Fabre über ...

... das Abenteuer 24 Stunden

„Das Abenteuer der 24 Stunden ist sehr aufregend. Bisher haben wir erlebt, dass viele Menschen von der ersten bis zur letzten Stunde da bleiben. Wir sehen, dass das, was wir ausprobieren, aufgeht. Wir spüren die Katharsis im Theater, und wir spüren einen Austausch von phyisischer und geistiger Energie. Das ist schön.“

„Wir selbst sind nach den 24 Stunden für fast eine Woche aus dem Takt. Die körperlichen Reaktionen sind extrem, und die biologische Uhr ist komplett durcheinander. Zuschauer haben mir erzählt, dass sich auch bei ihnen die Ebenen verschieben. Wenn sie zwischendurch hinausgehen und wieder zurückkommen, fühlt sich die Vorstellung realer an, als die Wirklichkeit.“

„Die Dauer ist ein sehr wichtiges Element der Inszenierung. Nur so können die richtigen Gefühle erzeugt werden. Wirkliche Müdigkeit, wirkliche Einbindung. Die analytische Maske der Zuschauer fällt ab, und erst so können sie alles direkt erleben.“

Szenenbilder aus "Mount Olympus"

Festwochen / Wonge Bergman

... griechische Mythologie und Katharsis

„Wir wollen einfach die Geschichten der griechischen Mythologie neu erzählen, weil sie auf gewisse Weise sehr modern und universell sind. Sie erzählen von dir und mir.“

„Wir hatten das große Bedürfnis, zu verstehen, was ‚Katharsis‘ heute für uns bedeutet. Auf sozialer, gesellschaftlicher, philosophischer und politischer Ebene. Katharsis öffnet immer einen Weg ins Unbewusste, aber gleichzeitig auch eine Tür in die Zukunft, vielleicht eine bessere Zukunft.“

„Auch was im Moment in Europa passiert, ist eine Art von Katharsis: Wenn die Menschen an den Grenzen zurückgewiesen werden, dann verzögern wir das nur. Wir leben in einer neuen Ära, und Europa wird sich verändern - aber im Moment bremsen wir die Katharsis für den Kontinent, weil wir uns dem nicht stellen.“

Szenenbilder aus "Mount Olympus"

Festwochen / Wonge Bergman

... Jan Fabre, den Diktator

„Wie jeder gute Künstler bin ich ein Diktator. Ich arbeite mit sehr kreativen Menschen. Ich bin offen für Input, und viele von den Künstlern in meiner Company haben mit mir gemeinsam eine künstlerische Sprache entwickelt, in den letzten zehn, 20, 30 Jahren. Aber die Entscheidungen hier treffe ich. Ich bin der Diktator.“

„Ich sage dauernd: ‚Nein, nein, nein, nein - ja!‘“

Szene aus "Mount Olympus"

Festwochen / Wonge Bergman

... Fabre-Darsteller als Blindenhunde des Regisseurs

„Ohne die Qualität meiner Darsteller wäre ich gar nichts. Sie sind die Nervenzellen meiner Arbeit. Sie sind der sexuelle Glanz, sie sorgen für die Reibung, und ohne Reibung gibt es keinen Glanz. Ich bin wie ein blinder Mann, sie sind meine Blindenhunde. Sie bringen mich an die richtigen Orte.“

„Die Suche geht immer weiter. Wir hören nicht auf, uns zu fragen, ich höre nicht auf, meine Darsteller zu fordern, neue Dinge zu erfinden.“

„Manche Darsteller schlafen und haben Träume. Das wirkt sich natürlich auf die Szenen danach aus, und dem spüren wir zwischen den Vorstellungen weiter nach.“

Szene aus "Mount Olympus"

Festwochen / Wonge Bergman

... Jan Fabre, als Nebel- und Regenmacher

„Mein Job während der Vorstellung ist es, die Darsteller zu coachen. Manchmal bin ich hinter der Bühne, manchmal im Zuschauerraum. Dazwischen gebe ich Kritik und spreche mit dem Team. Ich bediene auch die Geruchsmaschinerie, den Nebel und den Regen, zum Teil auch das Licht.“

Szenenbilder aus "Mount Olympus"

Festwochen / Wonge Bergman

... „Mount Olympus“ als Summe von 30 Jahren Theaterpraxis

„Man könnte sagen, dass ‚Mount Olympus‘ so etwas wie ein Zeuge oder ein Zeugnis meiner Theaterpraxis der vergangenen 30 Jahre ist. Es enthält die Sprache, die ich entwickelt habe.“

„Meine Arbeit ist eine Zusammenführung der Geschichte von Kunst, Wissenschaft und Religion.“

„Ich habe noch viele Pläne. Es braucht ein ganzes Leben, um ein junger Künstler zu werden.“

Szenenbilder aus "Mount Olympus"

Festwochen / Wonge Bergman

... Menschen, die sich von ihm provoziert fühlen

„Manches Mal passiert es, dass die Öffentlichkeit nicht versteht, was ich mache, und manche Menschen sich provoziert fühlen. Aber das ist der Grund dafür, warum ich etwas mache. Provokation liegt immer im Auge des Betrachters.“

„Auf Störaktionen im Theater oder Anfeindungen reagiert man nicht. Das sind Unhöflichkeiten. Ich habe damit viel Erfahrung. Sechs Monate lang musste ich zwischen vier Wohnungen in Antwerpen wechseln, weil ich bedroht wurde.“

„Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, für die Verletzlichkeit der Schönheit zu kämpfen.“

Mit Jan Fabre sprach Sophia Felbermair, ORF.at.

Aus und rund um die Halle E berichten Maya McKechneay, Florian Bock, Simon Hadler, Gerald Heidegger und Johannes Luxner, ORF.at

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