Filmstill "Duett für Kannibalen"

Festwochen / Stadtkino

Susan Sontags Kannibalenkino

Als Schriftstellerin und Essayistin avancierte Susan Sontag (1933 - 2004) zum intellektuellen Popstar. Wenige kennen sie jedoch als Regisseurin: Die Wiener Festwochen präsentieren jetzt ihre zwei Kurz- und vier Langfilme erstmals in Österreich. So zum Beispiel Sontags Debüt, „Duett für Kannibalen“, ein Werk, das ebenso exzentrisch und widerspenstig auftritt wie die Regisseurin selbst.

Es kann nicht einfach für sie gewesen sein: eine Produktionsfirma zu finden, als eine, die zwar alles über das Kino wusste, aber selbst noch keinen Film gedreht hatte. Und später: umzugehen mit den ablehnenden Kritiken, die ihr - so wie die „New York Times“ - nahelegten, doch lieber bei dem Metier zu bleiben, das sie beherrsche, dem Schreiben. Und das ihr, Susan Sontag, Königin der Kulturkritik! 1974, gerade fertig mit ihrem Israel-Dokumentarfilm „Promised Lands“ (Alternativtitel: „La dechirure“), schrieb die New Yorker Intellektuelle:

„Filmemachen, das ist eine Erbsenzählerei, Stress, Streit, Klaustrophobie, Erschöpfung, Euphorie. Filmemachen ist der Versuch, die Inspiration am Flügel zu fassen. Filmemachen ist Pfusch - nur, um am Ende des Tages zu begreifen, dass man selbst der Idiot war, der alles falsch gemacht hat. Filmemachen ist blinder Instinkt, kleinliche Kalkulationen, Tagträumerei, Sturköpfigkeit, Eleganz, Bluff und Risiko.“

Schwierige Liebesbeziehung zum Kino

Eine schwierige Liebesbeziehung also, die Sontag zum Kino pflegte. Die Filme anderer schien sie zugleich mit dem Herzen und ihrem scharfen Verstand zu erfassen: Mit ihren Kritiken über Resnais, Godard, Bresson wurde sie berühmt. Ihren eigenen Filmen - vier langen und zwei kürzeren Arbeiten - merkt man dagegen an, dass Sontag sich noch ausprobierte. Sie wirken wie Versuche, etwas zu greifen: eine Stimmung, einen Moment, vielleicht die Inspiration, von der Sontag selbst spricht. Und nicht immer sind diese Versuche gelungen.

Filmstill aus "En attendant Godot … à Sarajevo"

Festwochen / Stadtkino

Sontag vor der Kamera in „En attendant Godot ... a Sarajevo“ (1993)

Dennoch nimmt einen ein Film wie das surreale Kammerspiel „Duett för kannibaler“ (1969) - trotz mancher Holprigkeiten – auch heute noch mit in einen atmosphärisch dichten Raum. Vielleicht liegt es am zeitlosen Thema des Films: Macht und Unterwerfung - im gesellschaftlichen wie im erotischen Sinn.

Sadistische Spiele in Sontags erstem Film

„Duett för kannibaler“, Sontags erster Langfilm, gedreht auf 16 mm Schwarzweißmaterial - und auf Schwedisch, weil sich in anderen europäischen Ländern keine Produktionsfirma fand -, spiegelt zwei Paare aneinander. Da ist einmal Tomas. Ein arbeitsloser junger Mann, der bei seiner Freundin Ingrid lebt. Und auf der anderen Seite der Stadt, in einer wohlhabenden Villengegend, der im schwedischen Exil arbeitende deutsche Revolutionstheoretiker Dr. Bauer mit seiner Frau Francesca, einer ätherischen Schönheit aus Italien. Tomas bewirbt sich als Sekretär bei Dr. Bauer - in der Hoffnung, sich zu verbessern, ja vielleicht in der Absicht, mit der hübschen Ingrid eine Familie zu gründen.

Susan Sontag am Set von "Duett für Kannibalen"

Festwochen / Stadtkino

Die 36-jährige Susan Sontag mit ihrer 16-mm-Arriflex am Set des Films „Duett för kannibaler“ (1969)

Doch es kommt anders. Schon beim Bewerbungsgespräch beginnt Dr. Bauer sein subtiles Spiel: Auf erste demütigende Bemerkungen folgen Übergriffe auf die persönliche Handlungsfreiheit des neuen Angestellten. Tomas soll die Unterlagen des prominenten Denkers ordnen, seine Memoiren vorbereiten: Doch Dr. Bauer will offensichtlich mehr. Er will Tomas ganz, als lebendes Spielzeug, das bei ihm wohnt, isst, sich stets zu seiner Verfügung hält. Ein Spielzeug, das Bauer mal eifersüchtig beäugt, mal willkürlich mit der eigenen Ehefrau ins Bett dirigiert. Wie ein kleiner Junge, der zwei Insekten in ein Glas sperrt, um zu sehen, welches das andere frisst.

Eine Pistole. Ein Mädchen. Eine Ideologie.

Scheinbar völlig losgelöst von den Moralvorstellungen ihrer Zeit probiert Sontag in diesem Film verschiedene erotische Konstellationen durch. Mal kokettiert Tomas mit der angeblich sterbenskranken Gattin des Chefs, mal holt der Chef mit ebendieser Gattin die Freundin des Sekretärs für einen Dreier ins Bett (siehe Aufmacherbild). Das erotische Verwirrspiel wird immer schneller, wilder und scheint auf ein böses Ende zuzusteuern. Doch im letzten Moment reißt Sontag das Steuer herum und entscheidet sich für ein surreal-mehrdeutiges Finale a la Luis Bunuel.

Sontags Verehrung für diesen Filmemacher wird in „Duett för kannibaler“ ebenso deutlich wie ihre Liebe zu Ingmar Bergman oder Jean-Luc Godard, den sie in einer Szene mit seinem poppigen Apercu, fürs Filmemachen brauche man nicht mehr als „a Girl and a Gun“, zitiert.

Still aus "Duett für Kannibalen"

Festwochen / Stadtkino

Sontag variiert Godard: „Eine Pistole, ein Mädchen, eine Ideologie“

Nicht zuletzt transportiert „Duett för kannibaler“ auch Sontags Hassliebe zum Land Schweden, in dem sie eine Zeit lang lebte: Der Lichtmangel während der kalten Jahreszeit spiegle sich im finsteren Gemüt der Schweden wider, die verbittert und unfähig, Gefühle zu äußern, nebeneinander hinvegetierten, schimpft Sontag in ihrer damals berühmten Polemik „A Letter from Sweden“ (siehe Link unten). Trotzdem drehte sie ihren nächsten Spielfilm, „Bröder Carl“ (deutscher Verleihtitel: „Zwillinge“, 1971) wieder in diesem Land.

Ein Wintermärchen, gedreht im Sommer

„Bröder Carl“ erzählt ebenfalls eine Geschichte ungleicher Paare: Zwei Frauen, Karen (eine Theaterdirektorin) und Lena, die zwei Männer auf einem abgelegenen Inselsanatorium besuchen. Der Choreograph Martin, Lenas Exmann, lebt hier in seltsamer Symbiose mit dem geistig verwirrten Tänzer Carl. Lange bleibt unklar, welche Liebe - oder welche Schuld - ihn an den anderen Mann bindet. Sontag selbst beschrieb ihren zweiten Film als ein „Wintermärchen, gedreht im Sommer“.

Setfoto aus "Bröder Carl" (mit Regisseurin Susan Sontag)

Festwochen / Deutsche Kinemathek

Susan Sontag am Set ihres zweiten Spielfilms, „Bröder Carl“ (1971)

Hinweis

Die Filmschau „Susan Sontag Revisited“ ist bei den Festwochen vom 19. bis 24. Mai im Künstlerhauskino zu sehen. Publikumsgespräch mit Kurator Ralph Eue und Gästen am 21. Mai im Anschluss an den zweiten Film.

Im Anschluss an diesen von der Kritik auch eher kühl empfangenen Film vollzog Sontag eine Kehrtwende zur Dokumentarfilmerin: 1974, noch während des 20-tägigen Jom-Kippur-Kriegs, bei dem Syrien und Ägypten gemeinsam Israel angriffen (6. bis 25. Oktober 1973), erkämpfte sie sich ein Filmteam und machte sich auf den Weg nach Jerusalem. Gemeinsam mit dem finnischen Kameramann Jeri Sopanen und ihrem erwachsenen Sohn David in der Rolle des Regieassistenten warf sie sich ins Geschehen. Was aus den Bildern dieses zerrissenen Zeitdokuments spricht, ist allerdings vor allem die komplette Überforderung aller Beteiligten.

Dem toten Körper Bedeutung verleihen

Während der TV-routinierte Kameramann Sopanen am Schauplatz seine Reportagekonventionen durchzieht (Panoramaschwenks, langsames Zoom-in), versucht Sontag dieses Material im Nachhinein zu einem Filmgedicht zu montieren – was mehr schlecht als recht gelingt. Weil es zudem keinen Synchronton gibt, wirkt „Promised Lands“ streckenweise wie eine Diashow mit expressionistischer Soundcollage.

Im Gedächtnis bleibt allerdings eine Sequenz, in der die Kamera zunächst unerbittlich aus nächster Nähe verkohlte Soldatenkörper am Boden abtastet. Die Zähne entblößt, die Augenhöhlen schwarz und leer, stecken sie noch in israelischer Uniform. An diese Bilder schneidet Sontag ein Gespräch mit einem jungen Soldaten, der sich den Krieg schönredet: „Wir leben hier wie in einer großen Familie. Man fühlt sich sicher. Was auch immer passiert - nie würden meine Kameraden mich auf dem Schlachtfeld zurücklassen.“

In diesem Moment erfüllt sich Sontags berühmtes Diktum: „Fotografieren heißt Bedeutung verleihen“. Erst in der Montage weisen diese Bilder über den voyeuristischen Schauwert hinaus.

Die Melancholie von Instagram

Einen letzten Langfilm drehte Sontag noch: 1983 entschloss sie sich, ihre eigene, hochgelobte Erzählung „Unguided Tour“ aus dem Erzählband „I, Etcetera“ (1978, deutscher Titel: „Ich, etc.“) zu verfilmen (italienischer Originaltitel des Films: „Giro turistico senza guida“). In dieser Geschichte entfremdet sich ein Liebespaar vor der Kulisse Venedigs. Mann und Frau merken, dass die Melancholie der Stadt die Melancholie des eigenen Trennungsschmerzes vorwegnimmt.

Filmstill aus "Unguided Tour" aka "Letter from Venice"

Festwochen / Stadtkino

Tristesse royale: Sontags elegischer Entliebungsfilm „Unguided Tour“ (1983)

„Am Ende ist die ganze Welt Venedig“, heißt es im Offtext des Films. „Ein nachdenklicher Spaziergang durch die engen Gassen der Erinnerung. Plätze, die wir bereist haben. Erfahrungen, die wir gemacht haben. Liebe, die wir empfunden haben.“ Die letzten Bilder des Films sind begleitet vom Klickgeräusch eines Fotoapparats. In diesem Moment scheint Susan Sontag, Autorin des Essaybandes „Über Fotografie“ (1977), das Zeitalter von Instagram, Facebook und Twitter vorausgeahnt zu haben: Jeder Jetzt-Moment ist immer schon begleitet vom melancholischen Gefühl, ein zukünftiger Eintrag ins - digitale - Archiv vergangenen Glücks zu sein.

Maya McKechneay, ORF.at

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