Die Fallstricke des Unbewussten
Wer Inszenierungen von Andrea Breth (Regie) kennt, ist nicht überrascht, dass sie zum wiederholten Mal Grautöne in allen ihren Abstufungen durchdekliniert: Zwischen aschgrau, silbergrau, mausgrau, stein- und betongrau oszilliert auch die Bühnenwelt (Martin Zehetgruber), in der sich Bartoks Blaubart und seine neue Frau Judith – beide ebenso wie die Dienerschaft in grauen Kostümen (Eva Desseker) gekleidet - bewegen.
Bernd Uhlig
Markenzeichen? Weltsicht? Oder schlicht und einfach Breths Lieblingsfarbe wie jene von Herrn Blöhmann in Loriots Sketch „Eheberatung“, der die Frage nach seiner Lieblingsfarbe mit einem „grünlich-blauen Rotbraungrau“ beantwortet. Opulente Farbenpracht, wie sie das Libretto von Bela Balazs teils suggeriert und Bartoks Partitur in expressive Klangwelten übersetzt: Fehlanzeige.
"In unseres Herzens Gruft“
Das den Einakter dominierende Grau, das sich beim Heben des Vorhangs rasch aus dem komplett verdunkelten Theatersaal abzeichnet, macht dem Publikum von Anfang an klar, wohin die Reise gehen soll: „in unseres Herzens Gruft“, wie es im Prolog heißt, oder, so würde man es wohl heute über ein Jahrhundert nach Sigmund Freuds „Traumdeutung“ nennen: in das alptraumhafte, düstere Unbewusste eines Frauenmörders. Blaubarts kalte, feuchte, dunkle, fensterlose Burg – die Bühne also – dient als Gleichnis für dessen Inneres und übernimmt neben den zwei einzigen singenden Figuren die Rolle der dritten Protagonistin.
Bernd Uhlig
Der Inhalt, der auf ein Märchen aus dem 17. Jahrhundert zurückgeht, ist schnell erzählt. Judith erzwingt von Blaubart, alle sieben Türen seiner Burg zu öffnen, und ihr die dahinterliegenden Räume zu zeigen: Folterkammer, Waffenkammer, Schatzkammer, der Burggarten, Blaubarts weites Reich, ein Tränensee und zum Schluss Judiths drei Vorgängerinnen, die Morgen, Mittag und Abend symbolisieren, werden mit Hilfe der kaum still stehenden Drehbühne nach und nach sichtbar. Mit dem Öffnen der letzten Tür hat auch Judiths letztes Stündlein geschlagen. In Blaubarts letzten Worten „Nacht bleibt es nun ewig! Nacht! Nacht!“ stirbt sie in seinen Händen, und Dunkelheit kehrt auf die Bühne zurück.
Gnadenlose Indiskretion
Die Liebe ist in der Oper ein ewiges Thema, ihr Kerngehalt. Breth beleuchtet sie auf eine Art, die die weibliche Perspektive ins Zentrum rückt. Die treibende Kraft ist Judith. Aus Eifersucht verlangt sie das Öffnen der Türen, nicht nur um Licht und Hoffnung in die Kammern hineinzubringen, sondern um Blaubarts unbewältigte Vergangenheit und verborgene Seiten seiner Seele zu erkunden. Blaubart verbittet sich die gnadenlose Indiskretion, sträubt sich und gibt die Schlüssel nur widerwillig her. Doch Judith lässt nicht locker und leitet damit die Zerstörung ihrer Liebe ein. Sie ist, obwohl sie ihre Neugier mit dem Leben bezahlt, bei Breth die Täterin.
Bernd Uhlig
„Wenn Judith ganz schnell immer tiefer, immer tiefer eindringen will in seinen seelischen Haushalt – ohne Geduld und ohne zu warten, ob der andere von sich aus bereit ist, sich zu öffnen, dann empfinde ich diese Frau als Täter“, erklärt Breth ihre Intention, bei der es nicht um die Unterdrückungsgeschichte eines Mannes zu einer Frau geht. „Man kann das ja auch einmal anders lesen. Nicht unbedingt sehr feministisch, dass die Frau unterdrückt ist“, sagt Breth und verfängt sich in dem Klischee, die Frau sei neugierig, der Mann einsam.
Emotionale Grenzsituationen
Die stilisierte Gestik und Mimik der Darsteller, die in Choreografie mit den sich kaum bewegenden Statisten mehr an eine fadenscheinige Familienaufstellung als an ein dämonisches Psychogramm erinnern, wecken kaum Assoziationen an emotionale Grenzsituationen, Gemeinheit, Gefühlsrohheit und Gemütsverrottetheit.
Auch der Gesang von Gabor Bretz als Herzog Blaubart und Nora Gubisch als Judith schafft es kaum, den Funken überspringen zu lassen, und bleibt wie das Gustav Mahler Jugendorchester unter der Leitung von Kent Nagano letztlich farblos wie das Bühnenbild. Entsprechend mit nur ganz kurzem und verhaltenem Applaus bewertete das Premierenpublikum zur Pause Breths Inszenierung, fast so, als wolle es mit Loriot enttäuscht feststellen: „Früher war mehr Lametta.“
Bernd Uhlig
Innere Stimmen hören
Die Aufführung von Bartoks „Herzog Blaubarts Burg“ muss ein zweites Stück ergänzen, denn die einstündige Oper ist nicht abendfüllend. Es gab schon sehr viele Lösungen, Breths Wahl für Schumanns „Geistervariationen“ für Klavier solo bisher noch nicht. Diesen stellt Breth eine ernst-heitere Revue voran, die von den neun Statisten und drei toten Frauen des Bartok-Einakters dargeboten werden.
Zitate und Binsenwahrheiten werden zusammenhanglos mit Sätzen wie „Ich habe mir ein Meerschweinchen gekauft“ oder „Ich wasche mich seit Jahren nur mit Kernseife“ gewechselt, unverständliches Brabbeln mit einem Heiratsantrag, dem Aufsagen eines Zugfahrplans oder Aufzählen der menschlichen Knochenteile. Ein kurzer Stepptanz wird zum Besten gegeben, Hundegebell ist zu hören, Vogelgezwitscher und das Summen eine Fliege.
Das Publikum blickt in einen getäfelten Raum, der sich in einem abgewohnten Sanatorium aus dem vergangenen Jahrhundert befinden könnte und in dem zahlreich herumstehende Heizkörper Schnee zum Schmelzen bringen. Blutrot, das zuvor in Bartoks Oper nur hin und wieder in winzigen Tupfern auftauchte, färbt nun den ganzen Boden. Am Ende tritt Blaubart auf und öffnet die verbotene Tür im Bühnenhintergrund. Dumpf erklingen aus dem Dunkel Schumanns „Geistervariationen“ und langsam verlöschen die Neonröhren, während die Insassen die Heizkörper putzen, bis der Vorhang fällt.
Bernd Uhlig
Kopfkino als Gegenwelt
Spinnt Breth mit diesen lebenden Bildern aus der Anstalt einen Faden zur Person Schumanns, der zwischen einem Suizidversuch und der Einlieferung in eine Nervenheilanstalt über seine letzten musikalischen Gedanken, den „Geistervariationen“, gesagt haben soll, Engel und der Geist Franz Schuberts hätten sie ihm zugeflüstert? Oder hat sich die Perspektive aus Bartoks Oper geändert und der Zuschauer ist nun nicht mehr unbeteiligter Beobachter, sondern selbst Patient? Kopfkino als Gegenwelt, als Reich freier Fantasie und Gedanken, die als Kontrapunkt zum vorangegangenen Geschehen die Spannungen lösen?
Hinweis:
„Herzog Blaubarts Burg/Geistervariationen“ ist bei den Festwochen noch am 21., 23. und 25. Juni jeweils um 19.30 Uhr im Theater an der Wien zu sehen.
Mit der kuriosen Kombination der zwei sich wenig gleichenden Teile – Bartoks schweres Psychodrama und Schumanns leicht dahinfließende Variationen – wirft der Abend mehr Rätsel auf, als er löst. „Wenn die Menschen nur das sprächen, was sie begreifen, dann würde es sehr still auf der Welt sein“, zitiert ein Anstaltsinsasse Albert Einstein und bietet vielleicht eine plausible Erklärung. Still wurde es jedenfalls rasch im Theater an der Wien, auch nachdem der Vorhang für den zweiten Teil des Abends gefallen war. Dem prominenten Künstlerduo Breth und Nagano schenkte das strenge Publikum zu guter Letzt aber doch ein paar höfliche Bravos.
Armin Sattler, ORF.at