Leadership-Seminar bei Shakespeare
„Wo ist die Krone? Wer hat sie weggenommen?“, wird Henry IV. auf dem Sterbebett sagen und damit gleich mit dem ersten Satz des Stücks den symbolischen Motor der Figuren des Dramas zu benennen. Mit der Übergabe der Macht an seinen Sohn Henry V. beginnt die Serie der Herrscherporträts, in denen Führungsqualitäten und Motive auf den Prüfstand kommen. In der Reduktion und der neuen Übersetzung von Rob Klinkenberg (deutsch: Sabine Rieger) fokussiert „Kings of War“ somit nicht auf die ausufernden außenpolitischen Handlungsstränge oder den Rosenkrieg zwischen den Häusern York und Lancaster, sondern vielmehr auf die unterschiedlichen Machttypen.
Jan Versweyveld
Van Hoves Toneelgroep, zuletzt mit „Opening Night“ 2011 bei den Festwochen zu Gast, lässt die englischen Könige in einem War Room spielen, umgeben von einem Labyrinth von Gängen, in das der Zuschauer nur rudimentär direkt blicken kann, aus dem aber immer wieder Videoprojektionen - live und aufgezeichnet - in den Königsbunker übertragen werden. Da liegen sie dann herum, die Leichen der entsorgten Thronfolger und unliebsamen Intriganten, dort formiert sich immer wieder aufs Neue der Krönungszug, den Van Hove als sich wiederholende Szenerie als Strukturelement erdacht hat: Der rote Teppich wird hereingerollt, die Protagonisten schreiten im Gänsemarsch durch die Gänge und schließlich auf die Bühne.
Vom Lasterprinzen zum Vorzeigekönig
Den Auftakt dazu macht der junge Henry V. (Ramsey Nasar), der ja gemeinhin als einer der noch am positivsten gezeichneten Regenten aus der Zeit der Rosenkriege gilt. Vielleicht deshalb aber auch als einer der langweiligsten wahrgenommen wird, dessen gleichnamiges Shakespeares-Drama nicht wahnsinnig oft auf den Spielplänen zu finden ist. Bei Van Hove funktioniert aber auch dieser Teil des Dramas dank der zeitlichen Verortung in der Gegenwart, die die Entwicklung vom unbekümmerten Prinzen zum gerechten König als eine Geschichte von Führungsqualität und Verantwortungsbewusstsein erzählt. Henry V. hat das, was seinem Nachfolger wenig später fehlen wird: Charisma, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die realistische Kraft, Visionen umzusetzen.
Sohn Henry VI. (Eelco Smits) lässt all das und vor allem jeden politischen Instinkt vermissen. Dass er dafür mit einer guten Portion religiösen Sendungsbewusstseins und höchsten moralischen Werten ausgestattet ist, nützt ihm herzlich wenig. Für die Politik braucht man eine dicke Haut, lautet hier die Botschaft, und die hat der von Van Hove im Pyjama mit Hornbrille und Welpenblick Porträtierte eindeutig nicht. Ehrbare Vorstellungen alleine reichen nicht, wer das Ego nicht hat, wird zum Spielball der machtgeil lauernden Meute. In Henrys Fall ist das die Verwandtschaft aus dem Hause York, das die Gelegenheit nutzt um den Anspruch auf die Krone zu stellen.
Jan Versweyveld
Erst der Tod gibt den Thron frei
Weil es der machtgierigen Fraktion am Hof nicht genügt, abzuwarten, bis der König auf natürlichem Weg das Zeitliche segnet, geht hier die Serie an Morden los, mit denen sich der spätere Richard III. (Hans Kesting) den Ruf der amoralischen Bestie erarbeiten wird. Es folgt die Machtübernahme durch Edward IV. (Alwin Pulinckx) und eine Phase der relativen Ruhe - zumindest vordergründig. Im Hintergrund buckelt ja weiter der entstellte Richard, Bruder Edwards IV., herum. Er hat sich zur Mission gemacht, die Thronfolge der Einfachheit halber mit Morden und geschickter Erheiratung von Ansprüchen so gekonnt zu manipulieren, dass er selbst zum König gekrönt wird.
Es soll erst die vorletzte Krönung des Abends sein, schließlich ist auch Richards Herrscherkonzept keines, das ein langes Leben wahrscheinlich macht. Bevor er aber in der Schlacht verwundet sein Königreich für ein Pferd herschenken will, lässt der Regisseur Richard zur Hauptfigur des Abends werden. Er intrigiert sich durch die Gänge, die Giftspritze (als Schwertersatz) immer am Anschlag, er tigert über die Bühne im Selbstgespräch, im Dialog mit den Verwandten, die ihn durchschauen und doch immer wieder zu seinen Opfern werden.
Fünf Stunden, sieben Krönungen
Kurz nach halb eins endet der gut fünfstündige Abend schließlich mit der letzten Krönung: Bis zu Henry VII. ist die Reise gegangen, die Tudor-Zeit ist angebrochen. Acht Könige hat man bis dahin gesehen, drei davon in ausführlicher Nahaufnahme. Parallelen zu heutigen Präsidenten, Diktatoren und Königen sind dabei nicht zufällig, sondern ohnehin immanent.
Hinweis
„Kings of War“ ist bei den Festwochen noch am 6. und 7. Juni jeweils um 19.30 Uhr in der Halle E im MuseumsQuartier zu sehen. Im Anschluss an die Vorstellung am 6. Juni findet ein Publikumsgespräch statt.
„Es wird für das Publikum viel zum Denken und viel zum Fühlen geben, nicht einfach klare Zuordnungen von Gut und Böse. Man sieht eine Vielfalt von Möglichkeiten, wie Leadership funktioniert,“ so Van Hove im Vorfeld. Umsichtige Politik, religiöses Sendungsbewusstsein, Führungsschwäche, heimliche Stellvertreterherrschaft und brutale Despotie: Die Liste der Spielarten von Macht, die hier gezeigt werden, ist lang - und der Regisseur hat einen guten Grund, sie zu zeigen: „Ich glaube tatsächlich, dass das eines der wichtigsten Themen unserer heutigen Zeit und auch unserer Zukunft ist.“
Keine Special Effects zum Selbstzweck
Van Hoves Toneelgroep beweist mit „Kings of War“ einmal mehr, dass ihr der Ruf als eines der derzeit besten Schauspielensembles völlig zu Recht anhaftet. Präzises Zusammenspiel von Videoeinsatz und Schauspiel, von aufgezeichneter Musik und Liveeinsatz von Posaunen und eines Countertenors machen „Kings of War“ zu einer multimedial anspruchsvollen Inszenierung. Wenn Van Hove am Werk ist, heißt das aber auch, dass es keinen einzigen Special Effect gibt, von dem man sagen könnte, er dränge sich in den Vordergrund, oder dessen einziger Einsatzgrund der Selbstzweck ist. Im Gegenteil: Die Elemente greifen ineinander und verschränken sich - genau wie die drei Shakespeare-Dramen - zu einem großen Ganzen.
Große Kriege und Intrigen sind aber auch anstrengend: Das merkte auch das Publikum vor allem im zweiten Teil der Inszenierung, der durchaus noch eine Kürzung vertragen hätte. Aber genauso deutlich, wie die sich breit machende Erschöpfung im Zuschauerraum irgendwann kaum mehr zu übersehen war, lässt der große Jubel am Ende darauf schließen, dass das nicht an mangelnder Wertschätzung oder an der Qualität der Produktion liegen kann. „Kings of War“ war eines der von Intendant Markus Hinterhäuser und Schauspielchef Stephan Schmidte angekündigten Highlights der heurigen Festwochen - und sie haben damit recht behalten.
Sophia Felbermair, ORF.at