Szene aus "Norma"

Hans Jörg Michel

Cecilia Bartoli lässt „Norma“ brennen

Vincenzo Bellinis „Norma“ ist heuer - obwohl Wiederaufnahme aus dem Jahr 2013 - bei den Salzburger Festspielen eines der begehrtesten Stücke. Kein Wunder: Mit Cecilia Bartoli in der Titelrolle ist die Produktion wohl eine der wirklich zündenden Opernsternstunden, was der minutenlange Riesenjubel am Ende des Premierenabends am Freitag eindrucksvoll unterstrich.

Das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier, die heuer mit „Iphigenie en Tauride“ noch eine zweite Inszenierung (ebenfalls eine Pfingstfestspiel-Wiederaufnahme) zeigen, verlegte die Handlung vom gallischen Dorf vorchristlicher Zeit ins Paris der 1940er Jahre. Norma ist hier keine Druidin sondern Widerstandskämpferin, statt in einem Tempel wirkt sie in einer Schule, die zum Versteck der Resistance geworden ist.

Szene aus "Norma"

Hans Jörg Michel

Resistance-Kämpferin in Paris statt Druidin in Gallien

Entschlackter Originalklang Bellinis

Ungewohnt interpretiert - und dabei doch klassischer als sonst - wurde für diese Produktion aber auch in musikalischer Hinsicht. Dirigent Giovanni Antonini befreite „Norma“ basierend auf der quellenkritischen Edition der italienischen Musikwissenschaftler Maurizio Biondi und Riccardo Minasi von Belcanto-Intentionen. Mit dem Originalklang-Orchester La Scintilla aus Zürich lieferte er so einen entschlackten Bellini mit leichteren Stimmen und raschen Tempi.

Verismo-Interpretationen a la Maria Callas haben da völlig ausgedient - so viel schlüssiger eröffnet sich die Oper in dieser ausgeputzten Partitur. Differenziert und klanglich prachtvoll tönt es aus dem Graben - und auch auf der Bühne pendelt der aus Lugano stammende Coro della Radiotelevisione Svizzera elastisch zwischen sanften und wuchtigen Stellen.

Szene aus "Norma"

Hans Jörg Michel

Knapp am Medea-Schicksal vorbei: Norma schafft es nicht, ihre Kinder zu töten

Es ist also feinstens angerichtet für Bartoli und ihre exzellenten Bühnenpartner. Die italienische Mezzosopranistin schlüpft in die Rolle der Frau, die nicht nur eine geheime Liebe, sondern auch zwei Kinder mit dem Feind verbinden. Pollione (im Original Römer, hier Nazi) hat sich aber umverliebt, in Adalgisa, eine jüngere Anhängerin Normas. Rasend vor Eifersucht greift Norma zu Flasche und Messer. Sie will ihre Kinder töten, sich selbst, Pollione. Sie will ihn nie wieder sehen und doch zurückhaben, sie muss letztlich brennen, um Frieden zu finden. Bellinis „Norma“ wird zu einem emotionalen Thriller, der atemlos macht.

Energieschübe über die Rampe hinweg

Von der ersten Minute strömt Bartolis Energie an diesem Abend mit unvergleichlicher Intensität über die Rampe in den Zuschauerraum und fesselt das Publikum bis zum frenetischen Schlussapplaus. Ihr zur Seite steht mit Rebeca Olvera eine Adalgisa mit hellem leichten Sopran (nicht wie meist mit einem Mezzosopran besetzt). John Osborn kann als Pollione von Beginn an überzeugen, verfügt über Kraft, Timbre und wunderbare Höhen. Michele Pertusi gibt Normas Vater Oroveso, Liliana Nikiteanu Freundin Clotilde und Reinaldo Macias Polliones Anhänger Flavio.

Szene aus "Norma"

Hans Jörg Michel

Die Front der Widerstandskämpfer steht geschlossen gegen den Feind

Die unaffektierte Inszenierung gibt den Sängern größtmöglichen Raum, liegt aber gleichzeitig sehr stark auf der psychologische Ebene - was es ziemlich einfach macht, die Bild-Text-Schere auszublenden. Christian Fenouillats Bühnenbild tut das seinige dazu, wenn er das Widerstandshauptquartier geschickt für die intimeren Szenen verschwinden lässt und das Drama in die enge Kammer verdichtet.

Schattenspiele im Widerstandshauptquartier

Die Bildsprache ist detailreich und trotzdem unheimlich reduziert. Licht und Schatten (Licht: Christophe Forey) spielen eine zentrale Rolle in der schwarz-grauen Welt. Ästhetisch aus dem selben Guss sind auch Agostino Cavalcas Kostüme, die sich wie ein weiteres Puzzleteil zum großen und stimmigen Ganzen hinzufügen.

Hinweis

„Norma“ ist bei den Salzburger Festspielen noch am 3., 6. und 8. August im Haus für Mozart zu sehen.

Bei allen Prügeln, die das Intendantenduo Sven-Eric Bechtolf und Helga Rabl-Stadler für das ausgedünnte, wiederaufnahmelastige Programm heuer schon einstecken musste - man kann ruhig zugeben, dass ein Konsolidierungskurs viel weniger erfreulich sein könnte als an solch grandiosen Abenden. Eine Produktion wie „Norma“ könnte aber wohl noch viele Jahre auf dem Spielplan des Festivals stehen, ohne dass sie an Zugkraft verlieren würde.

Sophia Felbermair, ORF.at

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