Szene aus "Die letzten Tage der Menschheit"

Apokalypse im grellen Scheinwerferlicht

Weltkriegskrise trifft Theaterkrise. Jetzt sind sie doch draußen, „Die letzten Tage der Menschheit“, jenes Stück, das ja der entlassene Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann für Salzburg hätte inszenieren sollen. Am Dienstagabend feierte das Stück nun unter der Regie von Georg Schmiedleitner in hochkarätiger Besetzung seine Premiere. Karl Kraus’ Abrechnung mit der Verlogenheit der Kriegslust wurde zum Vorspiel einer Apokalypse. Im grellen Scheinwerferlicht.

Eine Inszenierung von „Die letzten Tage der Menschheit“ hat ja immer ein bisschen etwas von einer Uraufführung. Schließlich ist es mit über 200 Szenen und Hunderten Figuren eines jener Stücke, denen (als Gesamtkonvolut) der Stempel „unspielbar“ anhaftet. So gesehen wäre die große 1914-Gedenkjahresinszenierung in Salzburg ein klarer Fall für Matthias Hartmann gewesen, der vor seiner Entlassung als Burgtheater-Direktor für die Regie vorgesehen war und dessen Vorliebe für große Stoffe bekannt ist.

Nur wenige Wochen vor Probenbeginn kam aber alles anders, und als Folge der Burgtheater-Krise musste der Ex-Direktor auch die Inszenierung der Coproduktion von Burg und Festspielen abgeben. Quasi auf den letzten Drücker wurde mit Schmiedleitner ein Ersatz gefunden, der nun in kürzester Zeit, gemeinsam mit Dramaturg Florian Hirsch, Bühnenbildner Volker Hintermeier und Kostümbildnerin Tina Kloempken, einen Zugriff auf dieses Monsterkonvolut finden musste. Wie sich am mit langem Applaus gefeierten Premierenabend gezeigt hat, ist ihm das auch absolut gelungen.

Szene aus "Die letzten Tage der Menschheit"

Georg Soulek

Die illustre Trauergesellschaft beim Thronfolgerbegräbnis

Wie die Sprache den Krieg macht

Blähsucht, Hohlheit, Grobheit, Täuschung, Selbsttäuschung, Kurzschluss und Zerfall - in der vierstündigen Fassung destilliert sich die Kraus’sche Analyse dessen, was der Krieg mit der Sprache macht und wie umgekehrt die Sprache Krieg macht und vorantreibt, schlüssig heraus. Auch die Auswahl von rund 50 Szenen ist auf diese Kernthese hin ausgelegt, und so finden sich neben den wohlbekannten Klassikern der „Letzten Tage“ auch einige weniger geläufige Charaktere und Szenen in dieser Bearbeitung.

Als kabarettistische Nummernrevue, wie man das Stück gern anlegt, sieht Schmiedleitner seinen Abend aber ganz und gar nicht, auch wenn trotzdem so einiges das Publikum amüsieren darf: Es sind groteske Momente, in denen die Absurdität der Sprache durch die Übersetzung in bizarre Bilder noch verdeutlicht werden - und die einem nicht selten das Lachen im Hals steckenbleiben lassen. Wenn sich die in Trachtenuniform gehüllte Blaskapelle der Postmusik Salzburg auf der Drehbühne aus dem Boden schraubt oder von Gräuelberichten rundherum unbeirrt mit fröhlicher intonierter Marschmusik durch den Raum spaziert, dann liegt österreichische Satire offen.

Viel Platz für gute Schauspielleistungen

Der rote Faden in Schmiedleitners Inszenierung sind die Szenen, in denen Nörgler (Dietmar König) und Optimist (Gregor Bloeb) gemeinsam als satirische Kommentatoren auftreten, sowie jene der Kriegsberichterstatterin Alice Schalek (von Dörte Lyssewski in großartiger Selbstherrlichkeit gespielt) gewählt.

Szene aus "Die letzten Tage der Menschheit"

Georg Soulek

Dörte Lyssewski als Frontberichterstatterin Alice Schalek: „Sie sind Bombenwerfer, also was für Empfindungen haben Sie dabei?“

Alle anderen Schauspieler des 16-köpfigen Ensembles changieren zwischen mehreren (teils wiederkehrenden) Rollen und geben mitsammen eine grandiose Hurra-Patrioten-Gesellschaft der Wiener Sirk-Ecke (ein zur Jahrhundertwende legendärer Treffplatz am Ring) ab - „Serbien muss sterbien“, „jeder Russ’, an Schuss, jeder Franzos’, an Stoß, jeder Brit’, an Tritt“ - und feiern Berichte von Fronttriumphen mit Sektgelagen und reden sich die Lebensmittelknappheit gemeinsam schön.

Hinweis

„Die letzten Tage der Menschheit“ ist bei den Salzburger Festspielen noch am 30. Juli, sowie am 1., 2., 4., 6., 8., 9., 10., 12., 14. und 15. August jeweils um 18.00 Uhr im Landestheater zu sehen. Im Herbst wird die Produktion im Wiener Burgtheater wiederaufgenommen.

Als naive, überforderte und realitätsverweigernde Kaiser sind Bernd Birkhahn und Peter Matic zu sehen - letzterer brilliert als nicht sterben wollender, coupletsingender Franz Josef. Elisabeth Orth gibt, nicht weniger grandios, unter anderem den boshaften Volksschullehrer und den von Eitelkeit zerfressenen Generalstabschef Conrad von Hötzendorf, der auf der Karte von Italien tanzt und für den Hoffotografen Skolik (Stefanie Dvorak) posiert. Dvorak, Orth, Alexandra Henkel und Petra Morze dürfen sich auch im herrlichen Zickenkrieg zwischen Hausfrauen in Rage spielen.

Szene aus "Die letzten Tage der Menschheit"

Georg Soulek

Generalstabschef Hötzendorf (Elisabeth Orth) beim „Studium der Karte vom Balkan - ah was sag ich, von Italien!“

Auf Showtreppen und Gerüsten dem Ende entgegen

Trotz aller Satire und Überhöhung holt Schmiedleitner die „Letzten Tage“ immer schnell auf den Boden der Brutalität zurück, lässt Szenen nahtlos ineinander übergehen und sorgt mit der genauso kargen wie trefflichen Ausstattung von Hintermeier und Kloempken dafür, dass das apokalyptische Szenario immer präsent bleibt. Wabernde Nebelschwaden ziehen über die anfangs fast leere Bühne, auf der sich später immer wieder hohe Gerüste und verschiebbare Showtreppen zur Kulisse für ein eindrucksvolles Bildertheater arrangieren werden - alles in Schwarz-Weiß, abwechselnd schaurig finster und in grelles Scheinwerferlicht getaucht.

Kraus und der „chlorreiche“ Krieg

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges hat die deutschsprachige Literatur und Presse in eine ungeahnte Euphorie versetzt und in willige „Waffenbrüder“ verwandelt. Nur einer ließ sich nicht korrumpieren: Karl Kraus bezog von Anfang an mit aller Schärfe gegen den „chlorreichen“ Krieg Stellung - mehr dazu in news.ORF.at.

Auf plakative Bebilderung von Kriegsgräueln oder historisierende k. u. k Ausstattung hat Schmiedleitner dabei auch verzichtet - seine „Letzten Tage der Menschheit“ sind der Versuch einer zeitlosen Endzeit und die Reduktion des Stücks auf die archaische Theatertragödie. Das letzte Wort hat der Optimist, der hier am Ende den Text des Hauptmann Praschs zu sprechen hat und mit stolzgeschwellter Brust vom Morden und Vergewaltigen im Krieg erzählt. Ist die Menschlichkeit einmal tot, dann ist das Ende der Menschheit auch schon da - „Kopf hoch!“

Sophia Felbermair, ORF.at

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