„Aida“ trotzt dem Zuckerguss
Wer im Osten Österreichs den Namen „Aida“ hört, denkt bekanntlich nicht notwendigerweise an Oper, sondern mitunter zunächst an Zuckersüßes. Auch bei Verdis vielleicht meistgespielter Oper mit Sommerbühneneignung (so man das nötige Kleingeld für Hundertschaften hat) scheint es, als müsse man den Zuckerguss und so manches Missverständnis abschlagen. Hier stehen kein reines Monumentalwerk und „Ägyptomania“ des späten 19. Jahrhunderts mit kolonialen Missverständnissen, die der Kulturkritiker Edward Said so schlüssig wie möglicherweise doch auch am Punkt vorbei ausleuchtete.
Welche „Aida“ darf es denn sein?
„Aida“ ist ein großes Stück der Zeit, als Europa (und Italien im Besonderen) mit der Nationen- und entsprechenden Hymnenbildung beschäftigt war. Es ist die Zeit nach der „Grande Opera“, dem Gesamtkunstwerk mit dem (nationalen) Lokalkolorit, wie einst von Victor Hugo in seiner „Preface de Cromwell“ gefordert. Es ist die Zeit der Verdi-Wagner-Konkurrenz, die Zeit, in der die Klangfläche die Melodie abwerfen darf, was man heute gerne als „Sound“ (Copyright für den Premierenabend: die Einführung von Barbara Rett) bezeichnet.
TV-Hinweis
ORF III zeigt am 10. August, 20.15 Uhr, die Aufzeichnung der Premiere der „Aida“ aus St. Margarethen - mehr dazu in tv.ORF.at und im Übertragungsüberblick von ORF.at/festspielhighlihgts.
Und wenn es die Zeit des Orientalismus ist, so wird diese Sehnsucht weniger die Erschließung neuer Kulturen mit sich bringen als eine ungewollte Reflexion der eigenen Geschichte aufdecken. All das warf Verdi mit der Auftragsarbeit für die Oper Kairo, gegen die er sich so lange gewehrt hatte, in ein Brennglas. Bis zur Gegenwart darf man in einer reichhaltigen Kiste wühlen und mehr oder weniger Monumentales aus dieser Opernanwendung holen.

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Die Bühne mit LED-Panelen: An diesem Abend sollte noch viel gezoomt und projiziert werden-
Zwischen Kindheitserinnerung und „Aida“-Falle
Dornhelm bedient, wie er am Mittwochabend bei der Premiere in St. Margarethen betonte, mit seiner Aufführung eine Erinnerung seiner Kindheit in Rumänien. „Die einzig wahre ‚Aida‘ findet in Verona statt“, habe sein Opa gesagt, denn: „In Verona gibt es Elefanten auf der Bühne.“
Dornhelm zieht es inszenatorisch zwar nicht in den Zoo, auch wenn er einen Reitertrupp von den Höhen des Steinbruchs mehr als einmal ins Bühnental traben lässt. Dornhelm mag sich als Filmregisseur vielleicht an die große „Aida“-Falle erinnert haben, in die Clemente Fracassi im Jahr 1953 tappte, als er „Aida“ als Monumentalfilm inszenierte und Sophia Loren als Aida aufstellte, die am Ende die Lippen synchron zur eingesungenen Partie der großen Renata Tebaldi bewegte.
Wie also den Felsen umschiffen, dass die „Aida“ zwar optisch kolossal in den Steinbruch passt, aber durch Dislozierung des wie immer soliden Orchesters unter Alfred Eschwe in den geschlossenen Aufnahmeraum und einer Rampenbreite von über 30 Metern so wirken könnte, als würden die Darsteller zu Statisten, durch die die Oper „durchsingt“?
Zwei Zugänge zu einem Monumentalwerk
Dornhelm und sein Team (Bühne: Manfred Waba, Kostüme: Susanne Özpinar, Licht: Michael Grundner, Videodesign: Klus Hundsbichler) fokussieren zwei Punkte: das Mysterium hinter dem Setting in Memphis, in dem er die Monumentalszenen ausstaffiert. Bei der Massenszene muss alles Fluss und Mysterium sein. Das geht an diesem Abend auf, auch weil die erwartbare Kulissenverschiebung diesen Rhythmus gut stützt. Dornhelm entgeht im Verlauf des Abends der Gefahr, die „Aida“ als hölzerne Auf-und-Abmarsch-Orgie mit Zwischenarien, -duetten und Co. verkommen zu lassen (wie man es in Verona schon erleben durfte und dabei dem durch den Oberrang marschierenden „Gelati“-Verkäufer für ein bisschen Abwechslung dankbar war).
LED-Screens, die in die Bühnenkulisse eingelassen sind, wirken am Anfang so, als wären sie hauptsächlich der Background-Atmosphäre verpflichtet. Bald sieht man aber die Akteure in Großaufnahmen und Close-ups auf diesen Bildschirmen. Das erhöht die Sichtbarkeit für den riesigen Zuschauerbereich. Allerdings wird dabei so viel gezoomt, dass einen im ersten Akt die Angst überkommen kann, hier stünden die Akteure bald mehr neben als für sich auf der Bühne.

Steve Haider
Close-up: Annunziata Vestri als Amneris wird stimmlich und optisch mitunter zum eigentlichen Star des Abends
Doch ab dem zweiten Akt wird deutlich: Hier geht es um mehr als um ein verspieltes Multimediaspektakel mit viel Aufblendeffekten. Den Regisseur interessiert vor allem die intime Situation, die auf der monumentalen Bühne mehr als schwierig herzustellen ist. Der Schlüssel ist ihm hierbei die Konkurrenz von Amneris (Annunziata Vestri), der Tochter des Pharao, und der Sklavin und äthiopischen Prinzessin Aida (Kristin Lewis) um die Gunst des ägyptischen Feldherren Radames (Martin Muehle).
„Io son l’amica tua“
Als Amneris ihrer Konkurrentin heuchelt: „Io son l’amica tua“, muss sich Aida auf ein hinterhältiges Kräftemessen einstellen, für das die Soap-Opera der Gegenwart wenig zitable Attribute hätte. Dornhelm fokussiert das Liebesdrama und Machtspiel zwischen zwei Frauen via Aufblendungen. Die Kontrahentinnen werden einmal als Nahaufnahme auf die wallenden Scherpen der Sklavinnen projiziert bis hinauf auf den Steinbruch, wo der Regisseur eine Bild-gegen-Bild-Projektion setzt.

Steve Haider
Kristin Lewis (Aida), Alexey Dedov (Amonasro) und Martin Muehle (Radames) im Ringen um den Ausgang eines klassischen „Grande Opera“-Dramas
Die Besetzung des Abends will es so, dass Amneris die nicht zuletzt stimmlich stärkere ist. Aida wirkt von Beginn an sehr in die Opferrolle gedrängt. Das Spiel zwischen Liebe und Macht, Neigung zu Radames und Pflicht gegenüber ihrem Vater, dem äthiopischen König Amonasro, muss für sie tragisch ausgehen. Das wird schon sehr früh deutlich - und so bleibt auch der stimmlich klare brasilianische Tenor Muehe als Radames ein Heerführer, der vor allem neben sich steht, wenn er in der Nähe von Hof und Macht ist.
Hinweis
„Aida“ ist in St. Margarethen noch bis 17. August bei den Opernfestspielen zu sehen.
Ein wenig mehr Staatsräson und weniger Romantik möchte man ihm am Ende dieses sehr lange in die (bei der Premiere sehr kalte) Nacht reichenden Abends fast wünschen - aber das ist bekanntlich nicht „Aida“, denn die Liebe soll ja triumphieren über alle weltlichen Verpflichtungen. Hier ist „Aida“ dann doch ganz der „Grande Opera“ verpflichtet, die die musikalischen Effekte auf die geschickte Kombination von Staatsaktion und privaten Problemen aufsetzt.

Andreas Tischler
Spannung vor der Premiere: ein warmer Mantel war im Lauf des kurzweiligen aber doch frischen Abends nicht von Nachteil
Höhepunkt bleibt der zweite Akt
So ist der Höhepunkt der „Aida“ auch hinsichtlich ihrer Moderne nicht das tragische wie vergleichsweise intime Ende (mit dem konsequenten Kreisschluss zu der zurückgenommenen Ouvertüre, die eben den dezenten Soundakzent über den dramatischen Fingerzeig setzt), sondern der Triumphzug im zweiten Akt, der eben auch zeigt, dass „Aida“ mehr ist als Monumentalszenenfolge mit Gassenhauern. Die an die Triumphszene angedockte Ballettmusik weist weit in die Moderne voraus - und lässt gerade auch den späten Verdi als musikalischen Meister dastehen, der die Trends der Zeit mit Verve aufzugreifen wusste.
Bei aller Opulenz gelingt der St. Margarethner „Aida“ eine erstaunlich aufgeräumte Interpretation, die dem kindlichen Staunen ebenso verpflichtet wirkt wie der Entdeckung neuer Akzente im Spiel zwischen Liebe und Macht. Wenn dann noch der Sommer in die Nacht einzieht, darf man gerne und lange im Steinbruch ausharren.
Gerald Heidegger, ORF.at
Links:
- Opernfestspiele St. Margarehten
- „Aida“ begeistert Publikum (burgenland.ORF.at)
- ORF III (tv.ORF.at)