Diagonale-Eröffnung: Plädoyer gegen den Opportunismus
Zum Auftakt der Diagonale wollten sie „eine Lanze dafür brechen, in der Politik zur Politik zurückzukehren“, so Schernhuber und Höglinger in der Helmut-List-Halle in Graz: „Als Auseinandersetzung mit Argumenten, im respektvollen Streitgespräch, durch Meinungspluralismus wider den widerwärtigen Opportunismus. Mit einer Haltung, die jenen aktiv Paroli bietet, die Kommunikation pauschal torpedieren und Eigeninteressen über Meinungsaustausch stellen. Mit einer Haltung, die jenen aktiv Paroli bietet, deren Gesprächsführung ausschließlich ein heuchlerisches, taktierendes und durchschaubares Machtspiel ist.“
Möglicherweise würden genau diese Überlegungen zurück zum Kino, zurück auf die Leinwand führen: „Dorthin, wo eine Gegenbewegung zu vorschneller Meinungsäußerung passieren kann, die sich auch für das alltägliche Zusammenleben fruchtbar machen lässt: Der genaue Blick, die präzise Analyse und die stille Beobachtung, in der die Gedanken auch mal ruhen dürfen, bevor Schlüsse gezogen werden, sind nämlich nicht selten Sache des Films“, so die Intendanten - mehr dazu in fm4.ORF.at.
Graz, die Menschenrechtsstadt
Die Aussagen fielen vor bundes- und landespolitischen Vertreterinnen und Vertretern der meisten Parteien, angefangen vom steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP). Nicht erschienen waren der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) und Vizebürgermeister Mario Eustacchio (FPÖ).
Letzterer hatte mit einer Rede vor dem rechtsextremen „Kongress der Verteidiger Europas“ für Aufregung gesorgt, wo er sich Berichten zufolge ob der „Vermehrungsrate“ von Zuwanderern um die „autochtone Bevölkerung“ Österreichs sorgte. Schernhuber und Höglinger erinnerten daran, dass sich Graz seit 2001 „Stadt der Menschenrechte“ nennt - was in krassem Widerspruch zu Eustacchios Äußerungen stehe.
„Schmähstade“ Preisträgerin
Ingrid Burkhard wurde mit einem von Toni Schmale gestalteten Kunstwerk ausgezeichnet. Die Schauspielerin erlangte als Toni Sackbauer in der Fernsehserie „Ein echter Wiener geht nicht unter“ großen Bekanntheitsgrad, war aber auch für Maren Ades Welterfolg „Toni Erdmann“ im Einsatz. Aktuell ist Burkhard in Ronny Trockers „Die Einsiedler“ im Kino als Bergbäuerin Marianne zu sehen.
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„Ich bin schmähstad“, erklärte die Geehrte bei ihrer Dankesrede. Normalerweise sei es ihr unangenehm, aber „heute darf ich ein bisserl am Lobtopf schlecken“, sagte Burkhard. Ein Problem mit dem Alter habe sie nicht, sagte die 86-Jährige, die von der Jury für ihre Authentizität und Uneitelkeit gewürdigt wurde. „Sie will nicht gefallen, sondern Geschichten erzählen“, so das Urteil.
Ein Film gegen die „Opferfassade“
Nach der Preisverleihung wurde „Murer - Anatomie eines Prozesses“, der Eröffnungsfilm der diesjährigen Diagonale gezeigt - mehr dazu in Filmchronik eines Justizskandals. Der Film von Regisseur Christian Frosch lasse die „Opferfassade der österreichischen Nachkriegsjahre porös werden“, erklärten die Intendanten. Selten sei die österreichische Seele „derart zur Kenntlichkeit entstellt“. Froschs Rekonstruktion der damaligen realpolitischen wie gesellschaftlichen Stimmung mache augenfällig, dass der radikale Bruch mit dem Denken, das zum Holocaust führte, hierzulande ausblieb.
Man möchte sich aber ausdrücklich dagegen verwehren, „den Film auf plumpe tagespolitische Analogien zu reduzieren. Vielmehr ist ‚Murer‘ ein ideologiekritischer Film, ein Kunstwerk mit realer zeitgeschichtlicher Handlungsvorlage, das nicht darauf abzielt, Spiegel der Zeit zu sein, sondern versucht, die Nachkriegsstimmung visuell zu repräsentieren und vor allem zu reflektieren“, betonten die Intendanten.
Denn „wer in der aktuellen Politik eins zu eins eine Wiederholung der Geschichte sieht, hat nichts verstanden und spielt der Verharmlosung in die Hände“. Umso dringlicher sei hingegen die deutliche Kritik an antidemokratischen und antiliberalen Tendenzen, die allerorts immer mehr den Ton angeben würden.
neuf, cppp (beide ORF.at), Agenturen