Vergessen, verweigern, verleugnen
„Ich nehme zur Kenntnis, dass Waldheim nicht bei der SA war – nur sein Pferd“, spöttelte Bundeskanzler Fred Sinowatz damals. Bis hinein in die Familien und quer durch die Generationen gingen die durch die Affäre Waldheim verursachten Risse. Endlich gab es eine öffentliche Debatte über die österreichische Mitschuld am Holocaust und die Unaufrichtigkeit des Mythos, Österreich sei mit dem „Anschluss“ 1938 das erste Opfer Hitler-Deutschlands gewesen.
„Nichts gewusst“
Es war der Wahlkampf Waldheims um das Amt des Bundespräsidenten im Jahr 1986. Waldheim wurde beworben als „der Mann, dem die Welt vertraut“ - so hieß es auf Plakaten, hatte er doch zuvor zwei Amtszeiten als UNO-Generalsekretär geleistet. Ein gewandter Diplomat, mehrsprachig, ein Aushängeschild der Republik, so ließ er sich darstellen. Doch in seinen Autobiografien war die NS-Zeit nie ein Thema gewesen. Er sei lediglich am Schreibtisch gesessen, sagte er später, und habe von den Deportationen griechischer Juden auf dem Balkan erst nach dem Krieg erfahren.
Dann allerdings publizierte Hubertus Czernin im „profil“ Recherchen zu den Vorwürfen des Jüdischen Weltkongresses, wonach Waldheim nicht die Wahrheit gesagt habe: In den Jahren 1942 bis 1945, an die er sich angeblich nicht erinnern konnte, habe er sehr wohl gewusst von den Massakern, die die deutsche Wehrmacht auf dem Balkan an Partisanen und Zivilisten angerichtet hatte, und von den Deportationen. Waldheim leugnete die Vorwürfe, bis es nicht mehr möglich war.
Filmhinweis
„Waldheims Walzer“ ist bei der Diagonale am 15. März um 20.30 Uhr im Schubertkino 1 und am 17. März um 11.00 Uhr im KIZ Royal zu sehen. Der Film startet im Herbst österreichweit in den Kinos.
Material aus dem Archiv
Für ihren Kompilationsfilm „Waldheims Walzer“ hat Beckermann die Aufgabe auf sich genommen, ihr eigenes Archiv sowie österreichische und internationale Fernseharchive zu durchforsten nach Bildern und Berichten, wie sich Waldheim durch sein Leugnen öffentlich und nachhaltig demontierte – und wie er trotzdem, mit dem berüchtigten Slogan „Jetzt erst recht!“, zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Beckermanns Videokamera fängt da einen Waldheim-Anhänger bei einer Wahlveranstaltung auf dem Wiener Stephansplatz ein, der einen Gegner als „jüdische Drecksau“ beschimpft. Die ersten Bilder dieses Films hatte Beckermann schon bei der Diagonale 2016 gezeigt, damals noch unter dem Titel „The Art of Forgetting“.

Ruth Beckermann Filmproduktion/Lukas Beck
Beckermann verwendete für ihren Film Szenen, die sie 1986 als Dokumentaristin und Aktivistin drehte
Der Anlass für diesen Film sei von außen gekommen, sagt Beckermann: „Es haben mich so viele junge Leute gefragt nach diesen Geschichten damals, und so ist das entstanden, aus dem Bedürfnis nach Geschichte.“ Sie selbst war in doppelter Funktion bei den Protesten gegen Waldheim, als Dokumentaristin und als Aktivistin. Folgerichtig ist ihr Film, in dem sie Fernsehmaterial und ihre eigenen verwaschenen Videoaufnahmen montiert, von einem subjektiven Voice-over begleitet, in dem sie ihre Doppelrolle reflektiert.
Wiederkehrendes Motiv
32 Jahre ist die Affäre her. Und auch wenn manche heute aktiven Politiker damals gerade erst oder noch nicht geboren waren, die Strukturen von damals, die Mechanismen und Gewohnheiten vom Wegwischen von Schuld, vom Warten, bis es vergessen ist, die funktionieren nach wie vor. In diesem Punkt trifft sich Beckermanns Film mit dem Diagonale-Eröffnungsfilm „Murer – Anatomie eines Prozesses“, in dem der Angeklagte Franz Murer und all seine Entlastungszeugen immer wieder einen Stehsatz wiederholen, der ähnlich auch in „Waldheims Walzer“ vorkommt: „Da muss eine Verwechslung vorliegen.“ Und: „Davon habe ich erst nach dem Krieg erfahren.“
"Ein Film darüber, wie man mit Populismus und Antisemitismus Wahlen gewinnen kann." Ruth Beckermanns Film "Waldheims Walzer" gewinnt den @g_o_manufactory-Dokumentarfilmpreis bei der #Berlinale2018 #WaldheimsWaltz #Berlinale pic.twitter.com/9n2jNHV1QR
— ZDF-Studio Berlin (@ZDFberlin) 24. Februar 2018
Im Dezember 2018 würde Waldheim seinen 100. Geburtstag feiern. Beckermanns Film ist ein notwendiger Beitrag dazu, Waldheims Leben ins richtige Licht zu rücken und mit ihm ein wichtiges Kapitel der jüngeren Geschichte, das vieles über jene toxische Mischung aus Opportunismus und Dreistigkeit aussagt, die in der Politik gefährlich werden kann. Bei der Berlinale gab es für den im Rahmen des ORF-Film/Fernsehabkommens unterstützten Film den Preis für den besten Dokumentarfilm.
Magdalena Miedl, für ORF.at