„Viele Modelle von Frausein“

Bei der Berlinale ist Katharina Mückstein für ihren Film „L’Animale“ gefeiert worden, nun bringt sie die kraftvolle Geschichte einer Selbstfindung zeitgleich mit der Diagonale österreichweit ins Kino. Sophie Stockinger spielt darin die 17-jährige Mati, die nicht ins Mädchenklischee passt und damit auf Widerstände stößt.

ORF.at: „L’Animale“ dekliniert an vielen Begegnungen durch, welche Eigenschaften von einer jungen Frau erwartet werden: Brav, strebsam, begehrenswert und angepasst soll sie sein. Ist das nicht längst überholt?

Katharina Mückstein: Wir haben eine ständige Debatte über Geschlechterverhältnisse, und wir kriegen zu hören, die Frauen seien ohnehin frei, alles zu werden, was sie wollen. Aber ich glaube, dass das weder für Frauen noch für Männer wirklich der Fall ist. Es gibt sehr klare Grenzen, und wenn man die überschreitet oder bricht, hat das nach wie vor krasse Konsequenzen.

Katharina Mückstein

Elsa Okazaki

Katharina Mückstein will mit dem Film Menschen Mut machen

Das sehe ich auch bei den kleinen Söhnen meiner Freundinnen, wenn sie einmal mit lackierten Fingernägeln in den Kindergarten gehen wollen, und dort von anderen Vierjährigen gemobbt werden, die schon wissen, dass das für einen Buben absolut nicht in Ordnung sei. Ich will mit dem Film Menschen Mut zusprechen, damit sie sich trauen, in sich hineinzuhören und herauszufinden, wer sie sein wollen.

ORF.at: Der Film erzählt auch davon, wie sich ein Mädchen wünscht, „eine von den Burschen“ zu sein, weil das Freiheit bedeutet. Das ist ein Gefühlserlebnis, von dem viele junge Frauen aus ihrer Teenagerzeit berichten.

Mückstein: Ich habe das als Teenager selbst so erlebt. Die Mädchen in meinem Alter waren alle dem Druck ausgeliefert, sich einer klassischen Mädchen- oder Frauenrolle anzupassen. Für mich war das keine Option, also habe ich mich halt umgeschaut: Wer sind die Leute, die so leben, wie ich gerne leben möchte? Das waren halt Burschen, die drei, vier Jahre älter waren als ich, sehr politisch, und die coole Musik gehört haben, die sonst niemand kannte.

Szene aus "L'Animale"

NGF/La Banda

Mati (Sophie Stockinger) ist auf dem Moped so mutig wie die Burschen

Das war die Welt, in der ich mich bewegen wollte, und in der ich mich sicher gefühlt habe, ohne dass ich bestimmt davon war, ein Mädchen zu sein. Aber wie im Film hat das halt auch eine Grenze, und irgendwann kommt der Moment, wo man realisiert, dass es viele andere Modelle von Frausein gibt.

ORF.at: Neben Matis Erwachsenwerden gibt es noch einen zweiten großen Identitätskonflikt im Film, den ihres Vaters. Woher kommt diese Nebenhandlung?

Mückstein: Mir war wichtig, dass das nicht nur ein Film über die Schwierigkeit des Frauseins ist, sondern generell ein Film über Geschlechterstereotype und die Befreiung davon. Die Frauenbewegung hat viele verschiedene Entwürfe von Frausein geschaffen, während es für Männer vergleichsweise wenige verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten gibt. Mir war das wichtig, zu thematisieren, was es für einen Mann bedeutet, wenn er der Forderung unterworfen ist, ein harter Typ sein zu müssen, der alles aushält.

ORF.at: Streckenweise ist „L’Animale“ actionlastig, vor allem mit Matis Motocrossgang. Gab es da spezielle Herausforderungen?

Mückstein: Ich habe drauf bestanden, dass Sophie von einem Mädchen gedoubelt wird. Erst einmal wurde mir von den Stuntleuten gesagt, es gebe leider keine Frauen, die das können. Dann habe ich meinen Cousin angerufen, der passionierter Motocrossfahrer ist, und habe ihn gefragt. Er hat mir gleich eine Reihe cooler Mädels vermittelt, die wirklich alles gekonnt haben, ohne irgendwelche Bedenken. Mit denen haben wir dann teilweise auch die Mopedstunts der Burschen gedreht.

ORF.at: Ein wiederkehrendes Motiv im Film sind Tiere, und auch der Titel „L’Animale“ weist darauf hin. Woher kommt das?

Mückstein: Der Titel kommt von dem Lied des italienischen Liedermachers Franco Battiato, das im Film ja sehr präsent ist. Er besingt da das Tier, das er in sich trägt und das ihn nie zur Ruhe kommen lässt.

Er meint damit nicht unbedingt das Animalische, wie wir das oft verwenden, als das Ungezügelte, Leidenschaftliche, sondern er meint es eher als ein Sehnen, das man nicht unterdrücken kann. Und ich finde, das Spannende an Tieren ist, dass sie immer authentisch sind, sie können uns nichts vormachen. Für mich ist es das, was Tiere so faszinierend macht. Es wäre vielleicht schön, wenn wir unserem eigenen Tiersein mehr Platz geben könnten.

Das Gespräch führte Magdalena Miedl, für ORF.at