„Grenzland“: Hetzjagd im Südburgenland
Jedem Bundesland sein Landkrimi. Unter dieser Devise produziert der ORF seit fünf Jahren erfolgreich TV-Unterhaltung auf höchstem Niveau. Renommierte Regisseurinnen und Regisseure wie Barbara Eder, Wolfgang Murnberger, Andreas Prochaska, Michael Glawogger und David Schalko wurden für die Reihe engagiert und inszenierten jeweils ein Bundesland als Schauplatz eines Verbrechens.
Mord an der österreichisch-ungarischen Grenze
Auch Regisseur Marvin Kren (geb. 1980) ist kein Unbekannter. Er machte sich international mit den beiden Horrorfilmen „Rammbock“ und „Blutgletscher“ einen Namen und gewann mit der TNT-Serie „4 Blocks“ mehrere Auszeichnungen, zuletzt den Grimme-Preis 2018. Jetzt hat Kren auf der Diagonale den neuen Landkrimi aus dem Burgenland vorgestellt. Doch „Grenzland“ spielt nicht etwa in der malerischen Gegend rund um den Neusiedler See, sondern – wie der Titel schon sagt – an der österreichisch-ungarischen Grenze, wo das Bundesheer Drohnen zur Überwachung einsetzt und wo vor nicht allzu langer Zeit zahlreiche Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind.
Toni Muhr/Graffilm/ORF
Auf einem Feld wird Renate, die 18-jährige Tochter einer heimischen Bauernfamilie, tot aufgefunden. Weil Ortspolizist Boandl noch nie in einem Mordfall ermittelt hat, wird ihm die erfahrene Chefinspektorin Jandrasits aus Eisenstadt zur Seite gestellt. Diese hat sich gerade mit dem Innenminister angelegt und eigentlich ganz andere Sorgen. Deshalb kommt es ihr ganz gelegen, dass der Fall auf den ersten Blick klar zu sein scheint: Die Spuren am Tatort und alle weiteren Indizien deuten auf den Asylwerber Ahmed als Täter hin.
ORF-„Landkrimi“ von Marvin Kren
Der ORF ist auf der Diagonale mit 39 Produktionen vertreten. Donnerstagabend wurde die neueste uraufgeführt: ein hochbrisanter ORF-„Landkrimi“.
Renate hatte im örtlichen Asylheim gearbeitet, Ahmed selbst ist seit der Tat spurlos verschwunden und hat zudem einen negativen Asylbescheid bekommen. Die Dorfgemeinschaft ist sich einig, dass nur er als Schuldiger infrage kommt, und auch Jandrasits und Boandl nehmen die naheliegende Fährte auf. Doch bald stellt sich heraus, dass alles ganz anders ist, als es zunächst schien.
Missverstandene Burgenländer
Mit „Grenzland“ wurde nach „Kreuz des Südens“ (mit Andreas Lust und Franziska Weisz, 2015) der zweite Landkrimi im Burgenland gedreht. Schon damals sorgte die Darstellung der burgenländischen Landbevölkerung teilweise für Irritationen im Fernsehpublikum. Manch Einheimischer fühlte sich missverstanden oder gar als fremdenfeindlich, alkoholsüchtig und engstirnig denunziert. Von der burgenländischen Kulturpolitik gab es auch diesmal kein Fördergeld für den Landkrimi.
Toni Muhr/Graffilm/ORF
Im neuen Burgenland-Fall werden nicht nur die Dorfbewohner als streitbare Zeitgenossen dargestellt, auch die Hauptfigur selbst ist eine komplexe und alles andere als entspannt-weltoffene Persönlichkeit. Gespielt wird die resolute Kripobeamtin von Brigitte Kren - bekannt aus „Vier Frauen und ein Todesfall“ und Mutter des Regisseurs. Gleich zu Beginn stellt sie im Gespräch mit ihrem Kollegen klar, was sie von den vielen Asylwerbern hält, denen sie im Sommer 2015 während ihres Dienstes am Grenzübergang Nickelsdorf begegnet ist. Alle wieder zurückschicken? Warum nicht?
Landkrimi mit „moralischem Wert“
Dementsprechend wenig begeistert ist sie, dass das Gasthaus, in dem sie übernachten muss, zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert worden ist, wo dann auch noch Backhendl mit Couscous serviert wird: „Nein, danke. Ich hab’s nicht so mit der ‚Multikulti‘-Küche.“ Je tiefer sie jedoch in den Fall eintaucht, desto weniger weiß sie, von welcher Seite hier nun wirklich die Gefahr ausgeht. Gegen Ende muss sie zugeben, dass sie sich in ihren Zuschreibungen von Gut und Böse grundlegend getäuscht hat.
Schauspielerin Kren über ihre Rolle: „Sie muss ein ordentliches ‚mea culpa‘ hinlegen. So gesehen hat der Landkrimi moralischen Wert. Und als Schauspielerin ist es natürlich interessant, wenn man einen Bruch in der Rolle hat - und für das Publikum hoffentlich auch.“
Filmhinweis
„Grenzland“ wurde im Rahmen der Diagonale als Österreich-Premiere gezeigt. Im ORF wird der Film voraussichtlich Anfang 2019 ausgestrahlt.
Nicht nur die Ermittlerin macht im Laufe des Films eine Entwicklung durch, auch die anderen Figuren müssen sich quälenden Wahrheiten stellen. So manche Leiche im Keller kommt zum Vorschein, familiäre Abgründe innerhalb der Dorfgemeinschaft tun sich auf. Am Ende wird der Schuldige gefasst, und ein schöner alter Wurlitzer sorgt dafür, dass sich manches - zumindest für die Länge eines Songs - in Wohlgefallen auflöst.
Sonia Neufeld, ORF.at