Szene aus "Onkel Wanja"

Jakob Wiessner und NoMa Filmproduktion UG

Melancholie in der Bankenkrise

An Anton Tschechows „Onkel Wanja“ haben sich schon viele Filmemacher versucht. Darunter Louis Malle in seinem herausragenden letzten Film „Vanja auf der 42. Straße“, der seine Schauspieler das Stück in Straßenkleidung und ohne Kulissen einstudieren ließ. Anna Martinetz wählt einen anderen Weg und schneidet Bilder von durch die Bankenkrise ausgelösten Straßenkämpfen in ihren Film.

In „Onkel Wanja“ fühlen sich alle alt, auch wenn sie äußerlich noch ganz jung sind: Elena (Julia Dietze) leidet darunter, dass sie einen ziemlich alten Ehemann hat, den Professor und Bankvorstand Alexander (Wolfgang Hübsch). Dessen Tochter Sonja (Korinna Kraus) schmerzt es, dass sie Doktor Astrow liebt, ohne dass der junge Arzt ihre Liebe erwidert. Denn Astrow (Manuel Rubey) kann nicht mehr lieben, wie er sagt. Höchstens noch seine Bienen und seine Wälder.

Am schlimmsten hat es Wanja (Martin Butzke) selbst erwischt: Er fühlt sich mit seinen 47 Jahren (einmal spricht er auch von 43) schon am Ende, sein Leben sei verpfuscht, seine Energie verbraucht. Die Liebe zur verheirateten Elena – sie wird nicht erwidert. Und auch die eigene Mutter nervt nur noch: Immer will sie reden, diskutieren, lesen. Als ob nicht längst alles gesagt ist.

Straßenkämpfe im Einkaufszentrum

Martinetz (Regie, Buch und Schnitt) hat ihren „Onkel Wanja“ auf ein marodes Landgut versetzt, das Wanja verwaltet, und wohin Alexander und Elena geflüchtet sind, nachdem es in der Stadt rumort: „Straßenkämpfe im Einkaufszentrum“, solche SMS bekommt der Banker Alexander jetzt.

Szene aus "Onkel Wanja"

Jakob Wiessner und NoMa Filmproduktion UG

Man trifft sich zu einer Art Picknick vor trostloser Kulisse, denn nicht nur die Stadt, sondern auch die Natur scheint dem Untergang geweiht. Wer nicht gelangweilt schweigt, redet ins Nichts. Einig sind sich die Protagonisten nur in ihrer Wahrnehmung, wie gelähmt zu sein und nicht zu wissen, wie sie der Lähmung entkommen sollen. Martinetz macht die Trostlosigkeit in ausgewaschenen Bilder deutlich, aufgenommen mit einer ruhelosen Handkamera.

Ein tapsiger Brummbär

Es ist nicht ganz klar, welchen Mehrwert es hat, dass die Filmemacherin ihren 134 Minuten langen Film in vier Kapitel unterteilt hat, die etwa mit „Arbeit 4.0“, „gated communities oder „Industrialisierung“ überschrieben sind. Die offenbar gewünschte Einflechtung einer aktuellen gesellschaftskritischen Ebene wirkt aufgesetzt.

Ein paar dokumentarische Einsprengsel aus der Zirkuswelt unterbrechen dramaturgisch den öden Alltag auf dem Gut, und aus dem Nichts taucht ein tapsiger Mensch im Bärenkostüm auf, der ein wenig an den zotteligen wilden Mann aus „Toni Erdmann“ erinnert. Gut so, denn die Spaziergänge auf endlosen Feldwegen, die Wanja und Astrow unternehmen, brauchen dringend eine Unterbrechung. Außerdem machen nicht alle Darsteller in „Onkel Wanja“ eine so gute Figur wie Butzke in der Hauptrolle und Rubey als Astrow.

„Man muss handeln“, ein Kernsatz des Stücks

Dafür entschädigt das Dekor, denn im Innern des Gutes bewegt man sich in prunkvoll ausgestatteten Bibliotheken, wandelt durch historische Gemächer mit so viel Patina, dass diese ziemlich karg ausgestattete Produktion (hergestellt mit Unterstützung der bayerischen Filmförderung und des ZDF) tatsächlich ans vorrevolutionäre Russland denken lässt.

Aber nichts geht voran in dieser nun wieder sehr Tschechow’schen Welt, und erst als Alexander gegen Ende hin vorschlägt, das Gut zu verkaufen, um Aktien zu kaufen, kommen Aufregung und sogar eine Waffe ins Spiel. „Man muss handeln“, wiederholt der cholerische Alte trotzig einen der wichtigsten Sätze in „Onkel Wanja“ in Richtung aller Anwesenden.

In der Figur des Astrow kommt am besten heraus, wie unmöglich das hier ist: Der Doktor betont immer wieder, dass er jetzt gehen müsse, zu seinen Patienten, doch irgendwas hält ihn: der Schnaps? Sonjas Blicke? Elena? Die Bankenkrise einzubauen, hätte Martinetz sich eigentlich sparen können, Tschechows Text ist vielschichtig und zeitlos genug. Martinetz’ nächstes Projekt ist eine Adaption von Shakespeares „Kaufmann von Venedig“.

Alexander Musik, für ORF.at

Link: