Macht und Mythos der Diva von Kairo
Bob Dylan zählt zu ihren Bewunderern, ebenso wie Bono von U2 und einst auch Maria Callas. Die Sängerin Oum Kulthum, als „Nachtigall des Nils" und „Stern des Orients“ apostrophiert, war und ist als Stimme Ägyptens gefeiertes Nationalheiligtum und weit über die Landesgrenzen hinaus ein Star.
Als Kind bettelarm, zog die um 1900 Geborene jahrelang - als Bub verkleidet - mit dem Vater singend durch das Niltal. Als sie 1975 - längst zu Ruhm und Reichtum gelangt - verstarb, säumten mehrere Millionen Trauernde die Straßen Kairos.
Lyle Asthon Harris
Ägyptens „vierte Pyramide“
Die iranische Foto- und Filmkünstlerin Neshat, die im März 61 Jahre alt wird und in New York lebt, nähert sich mit ihrem aktuellen Werk dem Mythos der Diva Assoluta. Gedreht wurde die internationale Produktion auch in Wien, der Österreicher Martin Gschlacht amtierte als Kameramann. Wie schon bei Neshats Erstling „Women without Men“, für den sie 2009 den Silbernen Löwen in Venedig errang.
„Ihr ist es gelungen, mit ihrer Kunst politische und religiöse Konflikte zu überwinden", analysiert Neshat das Phänomen Oum Kulthum gegenüber ORF.at. Ihre transzendenten Gesänge von Liebe, Leid und Hoffnung haben vom Staatschef bis zum Bettler alle geleichermaßen fasziniert - Israelis wie Araber. Ägyptens Präsident der 1950er bis -70er Jahre, Gamal Abdel Nasser, war ihr größter Fan, er nannte sie „die vierte Pyramide Ägyptens“ und seine „Geheimwaffe“.
Kein simples Biopic
Wer Kulthum nicht kennt, dem bleibt die Sängerin im Film freilich eher rätselhaft. Ein simples Biopic hat die Regisseurin nicht geschaffen, vielmehr eine poetische Expedition mit der Titelgeberin als Symbolfigur mit politischer Sprengkraft. In „Auf der Suche nach Oum Kulthum“ findet Neshat zu sehr persönlichen Reflexionen der Ikone und ihrer gesellschaftspolitischen Wirkung als Künstlerin.
Ausstellungshinweis
Shirin Neshat: Frauen in Gesellschaft, bis 22. April, Neue Galerie Graz, dienstags bis sonntags 10.00 bis 17.00 Uhr.
Sie ergründet, was die Existenz als Superstar und Übermutter der Nation für das Privatleben als Frau bedeutet. Und sie erinnert daran, dass die großen Töchter Ägyptens, dem Epizentrum der Emanzipation in der arabischen Welt, ohne Kopftücher auftreten. Ein starkes Signal in Richtung von Neshats Heimat Iran, wo Frauen aktuell gegen den von den Mullahs verhängten Schleierzwang rebellieren.
Filmladen
Das Ergebnis ist ein vielschichtiger Film im Film, der um drei Frauen kreist. Die ehrgeizige iranische Exilregisseurin Mitra (Neda Rahmanian) ist ihrem Lebenstraum ganz nah: einem Film über die legendäre Oum Kulthum. Bei der Suche nach der perfekten Darstellerin wird sie in Ägypten fündig. Die Sängerin Ghada (Jasmin Raeis) soll dem Star Gesicht und Stimme verleihen. Doch die Dreharbeiten eskalieren, Sabotage und Selbstzweifel plagen die Künstlerin. Kann sie dem Mythos der Übermächtigen gerecht werden?
Der Gegenwind der männlichen Kollegen wird schärfer. Als auch noch der klassische Konflikt Arbeitswelt versus Mutterschaft aufbricht - Mitras Sohn, den die Exilantin in der Heimat zurücklassen musste, verschwindet spurlos - gesellt sich zur beruflichen die private Katastrophe.
Der Stoff, aus dem die Träume sind
Der weibliche Blick auf die Ikone wird zum Vexierspiegel für Neshats eigene Geschichte. Durch ihre Linse betrachtet werden die Schicksale von Mitra, Ghada und Kulthum zu einem Stoff verwoben, zum Traum von Freiheit, Erfolg und Erfüllung über alle kulturellen Grenzen hinweg.
Filmladen
Ihre Geschichte als Frau, als Iranerin, als Regisseurin in einer Männerwelt wollte sie in den Stoff verweben, wie Neshat zum Film notierte. Ebenso die Entfremdung, die sich einstelle, wenn Frauen Ruhm und Erfolg erlangen, aber auf ein konventionelles Familienleben verzichten müssen. Kulthum blieb kinderlos, Protagonistin Mitra - Neshats alter Ego - trägt die unerfüllte Sehnsucht nach der alten Heimat und der zurückgelassenen Familie stets mit sich. Die Entfremdung der Künstlerin im Exil wird im Film besonders spürbar.
Filmhinweis
„Auf der Suche nach Oum Kulthum" läuft bei der Diagonale als exklusive Preview am 14. März, 20.30 Uhr im Schubertkino 1.
Österreichweiter Kinostart ist am 14. Juni 2018
Kunst als Waffe
Die ruhigen Bilder lassen Spielraum für eigene Interpretation. Das Schlussbild nimmt das Publikum mit auf eine Zeitreise: Die Regisseurin begegnet dem Objekt ihrer Obsession persönlich. Mitra und Kulthum blicken hinaus aufs offene Meer - zwei Kämpferinnen, deren Waffe die Kunst ist. Was die Zukunft bringt, ist ungewiss.
Nadja Sarwat, für ORF.at
Links:
- „Auf der Suche nach Oum Kulthum" (Offizielle Seite)
- Fanseite Oum Kulthum (engl.)
- Millionen beim Begräbnis von Oum Kulthum (YouTube)
- Filmdreh in Wien