Es werde „Licht“
Es gibt nur eine Handvoll österreichischer Regisseurinnen und Regisseure, auf deren neue Filme man wartet. Eine davon ist Albert, die zwar in Berlin lebt, in der heimischen Filmszene aber eine große Rolle spielt. Sie gründete 1999 gemeinsam mit Gleichgesinnten die Produktionsfirma coop99 - bis heute ein Leuchtturm unabhängigen Filmschaffens in Österreich. Mit „Nordrand“ war sie - ebenfalls 1999 - berühmt geworden, es folgten gefeierte Filme wie „Böse Zellen“ (2003) und „Fallen“ (2006). Zuletzt lief 2012 „Die Lebenden“ im Kino.
„Licht“ ist im Spielfilmwettbewerb der Diagonale zu sehen, davor lief er bereits im Wettbewerb der Filmfestivals von San Sebastian und Toronto und als Österreichpremiere bei der Viennale. Beim Österreischischen Filmpreis gewann der im Rahmen des ORF-Film/Fernseh-Abkommens unterstützte Film in den Kategorien beste weibliche Nebenrolle (Maresi Riegner), Kamera (Christine A. Maier), Kostümbild (Veronika Albert), Maske (Helene Lang) und Szenenbild (Katharina Wöppermann). Das Branchenmagazin „Variety“ zeigte sich begeistert - „sinnlich“, „gefühlvoll“ und „fesselnd“ sei der Film. „Licht“ ist eine im Kern wahre Geschichte, basiert jedoch auf Alissa Walsers Roman „Am Anfang war die Nacht Musik“ aus dem Jahr 2010.
„Schön ist sie nicht“
Maria Theresia Paradis, genannt Resi, lebte im Wien des 18. Jahrhunderts. In der Eröffnungsszene sieht man sie verzückt, geradezu ekstatisch Klavier spielen: Der Kopf schwankt hin und her, mit ihm die skurril hohe Perrücke, die Augen rollen unstet in den Höhlen umher. Eine der feinen Damen im Salon kommentiert gut hörbar: „Schön ist sie nicht. Aber spielen tut’s gut!“ Die weiß gepuderte, barocke Dekadenz übt sich in „Licht“ stets sehr wienerisch im „deppert reden“, daran ändern auch die eingeworfenen französischen Begriffe nichts.
Resi ist blind, aber nicht von Geburt an, wie ihre Mutter den Salondamen wenig charmant erzählt: „Dabei ist sie ja ganz intakt auf die Welt gekommen.“ Von einem Tag auf den anderen sei sie „stockblind“ geworden. Albert legt, dem Roman folgend, eine psychologische Interpretation nahe: Aufgrund der Spannungen und mangelnden Empathie im Elternhaus habe sie schon als kleines Mädchen die Sehkraft verloren.
Empathie als Wunderheilmittel
Resis Leben besteht aus dem Klavierspiel, von den Eltern vehement eingefordert und bei jeder Gelegenheit vorgeführt, und aus allen möglichen Versuchen der Eltern, mittels obskurer Heilverfahren ihre Sehkraft wiederzuerlangen. Der Druck der Wiener Salonwelt lastet in beiderlei Hinsicht auf dem pubertierenden Mädchen. Doch dann wird sie zum Arzt und Heiler Franz Anton Mesmer geschickt - gewohnt routiniert gespielt von Devid Striesow.
Diagonale
Mesmer war ein Wunderheiler, dessen Glauben an den „animalischen Magnetismus“ bis heute Anhänger findet, auch wenn der Wiener schon zu Lebzeiten als esoterischer Obskurant abgetan wurde. Sogar in Mozarts Oper „Cosi fan tutte“ wird Mesmer auf den Arm genommen. Aber was Resi betrifft, wirkte er tatsächlich Wunder. Auch hier eine psychologische Interpretation: Empathisch zeigt er echtes Interesse an dem Leben des Mädchens - wodurch sie einen Teil ihrer Sehkraft zurückerlangt, und nicht durch den Magnestismus, wie Mesmer glaubt.
Filmhinweis
„Licht“ läuft bei der Diagonale am Mittwoch, dem 14. März, um 17.30 Uhr im Schubertkino 1.
Häme und Hass
„Ich bediene mich eines magnetischen Fluidums, das alle belebten und unbelebten Körper durchdringt“, so Mesmer im Film - ganz aufgeregt ist er und hofft, durch Resis Fall endlich am kaiserlichen Hof ernst genommen zu werden. Doch die Zweifel bleiben, und auch für Resi ändert sich wenig zum Guten. Erstens, weil sie durch das Sehen ihr Talent für das Klavierspielen zu verlieren scheint, was ihre Eltern auf die Palme bringt.
Zweitens sieht sie die Dinge anders als andere Menschen. Wieder wird sie vorgeführt, diesmal nicht als Klaviervirtuosin, sondern als personifiziertes „Wunder des Sehens“. Die Salondamen und -herren gehen mit ihr spazieren und prüfen ab, ob sie auch wirklich sehen kann. „Das da ist schön“, sagt Resi, und zeigt auf einen Haufen Äste, wofür sie bösartig ausgelacht wird.
Diagonale
Und die Freundinnen sind nicht besser. Sie tratschen über fesche Männer und fragen Resi, wer ihr gefällt, jetzt, wo sie sehen kann. Als sie sagt, dass es die Magd Agnes (großartig: Maresi Riegner) sei, die sie hübsch findet, ist ihr auch hier die Häme sicher. Die von Resi geliebte Magd, eine Unwürdige? Der von ihr verehrte Mesmer, ein Obskurant? Das schwindende Talent fürs Klavierspielen? Die Sehkraft bringt Resi kein Glück in einer Welt, in der nicht schön sein darf, was sie schön findet.
Vom Gesehenwerden, damals und in #MeToo-Zeiten
Tipp
„Diagonale im Dialog“: Im Anschluss an die Projektion spricht Elisabeth Scharang mit Barbara Albert (Regie) und Veronika Albert (Kostüm).
Alberts Film ist eine Geschichte über den Wunsch einer jungen Frau nach Selbstbestimmung und einem eigenen Blick auf die Welt - einer Selbstbestimmung, die nie in Sichtweite ist für Resi, einem Blick auf die Welt, der andere nur befremdet. „Licht“ ist ein Historienfilm, der über sich selbst hinausweist und nicht zuletzt von der wunderbaren Besetzung lebt.
An einer Stelle sagt Resi: „Wer nicht sehen kann, der wird nicht gesehen. Wer nicht gesehen wird, wird auch nicht gehört. Der lebt nicht.“ Und was Frauen in der damaligen Zeit betrifft - die lebten nur so, wie Männer sie ließen. Davon können auch heute noch viele ein Lied singen - #MeToo.
Simon Hadler, ORF.at