Filmstill aus "Kinders"

Golden Girls Film

Befreites Aufspielen: Publikumspreis für „Kinders“

Kulturübergreifende Musiktherapie stellen Arash und Arman Riahi in ihrer Dokumentation „Kinders“ vor. Vor allem aber dreht es sich dabei um jugendliche, nicht eben freiwillige Exzentrik. Die juvenilen Charakterköpfe sind die Stars dieses spielfilmnahen Plädoyers für ein musisches Bildungsideal. Der Film gewann den Diagonale-Publikumspreis 2016.

Bildungsdebatten und Diskussionen darüber, was Sechs- bis Zwölfjährigen vermittelt werden soll, können heftig ausfallen - nicht zuletzt deswegen, weil im Österreich der Gegenwart ein paar tausend Kinder mehr als vorgeplant Bestandteil dieser Debatten sind. Vielfach wirkt es, als sei eine optimale Zurichtung für künftige Konkurrenz- und Arbeitskämpfe die oberste Priorität, als sei die Obsession für Sprachkenntnisse im Deutschen Ausdruck dieser Fixierung aufs „Funktionieren“.

Charakterbildung durch Musik

Das musische Bildungsideal scheint dabei fatal in den Hintergrund gedrängt, jene Idee, dass jemand frei durchzuatmen, zu singen und zu spielen vermag, für vieles im späteren Leben vorbereitet sein wird, ganz ohne Kampf. Charakterbildung durch Musik: Der spielerische Dokumentarfilm „Kinders“ von Arash und Arman Riahi, der im Rahmen der Diagonale seine sehr applausreiche Uraufführung feierte, formuliert anhand von einem guten halben Dutzend Fallbeispielen ein Plädoyer für dieses angeblich so altmodische Ideal.

Filmstill aus "Kinders"

Golden Girls Film

Aufschrei der Wutbürgerin, ein erster Schritt zum freien Durchatmen

Ausgangspunkt des im Verlauf von einigen Jahren entwickelten Films war die Initiative „Superar“, ein nach einem Vorbild in Venezuela von der Caritas und anderen initiiertes Projekt. Kindern mit persönlichen Problemen - und diese mögen auf schwerer Krankheit, auf Zerfall der Familie oder auf unfreiwilliger Migration beruhen - sollen neue Perspektiven eröffnet werden, indem sie dazu angeleitet werden, Mitglied eines Chors oder eines Orchesters zu werden. Zentrum der Initiative ist Wien, Partner befinden sich etwa in der Slowakei und im bosnischen Srebrenica.

Juvenile Charakterköpfe

„Kinders“ erzählt dabei weniger vom Überbau, er lässt die involvierten Kinder von Beginn an unmittelbar zu Wort kommen; sie sind der Fokus und die Stars, nicht die Institutionen. Mit einem inhärent komischen Paukenschlag wird eröffnet, in dem die Tochter einer Mongolin und eines US-Amerikaners druckreif ihre Philosophie einer kleinen Wutbürgerin erläutert - Auftakt zu einer Galerie von Charakterköpfen, die etwa lyrische Melancholie verströmen oder aber unbeholfen schlaksige Körperlichkeit, religiös bedingte Überdezentheit oder schlicht stille Traurigkeit.

Nicht alle von ihnen werden am Ende befreit singen oder Geige spielen - und im Raum steht irgendwann auch die Frage, ob eine Existenz als Wiener Sängerknabe ein Ideal sein kann oder bloß ein geringeres Übel. Aber jedenfalls war’s der Versuch wert.

Auf Augenhöhe mit den Jugendlichen

Die Regie führenden „Riahi Brothers“ sind - wohl bekanntermaßen - seit Jahren eine fixe Größe im jungen österreichischen Filmschaffen. Zu den Themenfeldern „Integration“ und „Migration“, von denen sie einst selbst betroffen waren, steuerten sie kluge Beiträge bei, und bekannt ist auch ihre Fähigkeit, bei ihren Arbeiten mit Jugendlichen eine Partnerschaft auf Augenhöhe eingehen zu können: Beobachtendes Dokumentieren und spielfilmnahes Nachstellen fließen homogen ineinander, wie auch das Dramatische und das Komische. „Kinders“ ist diesbezüglich eine Variante: Die Kooperation mit dem „Superar“-Institutionen - etwa mit dem Wiener Konzerthaus, einem Big Player der Klassikbranche - bringt eine neue Note hinzu.

Filmstill aus "Kinders"

Golden Girls Film

Ein Talent für Mimik und Accessoire

Verwundert es, dass Kinder, die auf musiktherapeutischem Weg dazu animiert werden, sich Stück für Stück aus den Schalen ihrer Traumatisierungen zu lösen, diesen Weg auch fortsetzen, wenn sie sich vor einer Kameralinse befinden? Sich produzieren, Frechheiten beisteuern - bei der Premiere im Rahmen der Diagonale erzählten Arash und Arman Riahi jedenfalls gelassen auch von der Qual der Wahl von Dokumentarfilmern, die sich mehr als gedacht mit einer Überfülle an Material konfrontiert sehen. Wer weiß, vielleicht haben sie da eine Rasselbande von Schauspielerinnen und Schauspielern herangezüchtet.

Offenes Problem Verbreitung

„Kinders“ hat vorerst keinen Verleihvertrag für eine Kinoverwertung. Recht schade wäre es, wenn es dabei bliebe und nur wenige den Film auf großer Leinwand erleben könnten. Dazu sind die kleinen Nuancen beim Timing und die Mimik der jugendlichen Protagonisten einfach zu gewinnend. Und auch die Kamera von Mario Minichmayr erhielte nicht ihre volle Würdigung, wie sie gerade aus Halbdistanzen Intimität zu vermitteln vermag, wie sie für die vielen Zwischenstufen zwischen dem hoch Offiziellen und dem ganz Privaten bildliche Entsprechungen findet. Bei den Diagonale-Zuschauern kam der Film jedenfalls gut an und wurde mit dem mit 3.000 Euro dotierten Publikumspreis ausgezeichnet.

Hans Christian Leitich, ORF.at

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