Matt Porterfield

ORF.at/Alexander Musik

Der Naturalist unter den Independents

Mit Matt Porterfield hat die Diagonale einen wichtigen Vertreter des US-Independent-Kinos eingeladen. Seine Filme „Putty Hill“ und „I used to be darker“ liefen mit großem Erfolg auf wichtigen Festivals. Porterfield, der in Baltimore lebt, erzählt im Interview mit ORF.at vom durch und durch kapitalistischen Geist seiner Heimat und seinem Ansatz des Filmemachens.

Matt Porterfields Filme sind Teil der ständigen Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art, sie liefen mit Erfolg auf dem Sundance-Festival, bei der Berlinale und auch auf der Viennale. Nun hat die Diagonale, auf Anregung des österreichischen Filmemachers Sebastian Brameshuber („Und in der Mitte, da sind wir“), den jungen US-Amerikaner nach Graz eingeladen.

Wie findet man gute Laien-Darsteller?

Zu sehen ist hier noch einmal sein stimmungsvolles Familienporträt „Putty Hill“ (2010). Außerdem hält Porterfield eine Masterclass, wo er über seine Filmarbeit berichtet: Wie macht man Filme, die wenig kosten, ohne dass man es ihnen ansieht? Wie findet man gute Laien-Darsteller? Was bedeutet Naturalismus für ihn? Diese und andere Fragen wird Porterfield mit Interessierten erörtern.

Matt Porterfield

Iris Janke

Matt Porterfield war schon mehrfach in Wien und auch in Graz zu Gast

ORF.at: Matt Porterfield, die Diagonale hat Sie als „einen der renommiertesten Vertreter des gegenwärtigen US-Independent-Kinos“ eingeladen. Was bedeutet für Sie der Begriff „independent“ denn überhaupt?

Matt Porterfield: Independent-Film in den USA ist all das, was nicht von einem Studio produziert wird. Das kann ein 20-Millionen-Dollar-Oscar-Anwärter sein oder ein selbstgezimmertes 10.000 Dollar-Spiefilmdebüt. Es ist schwierig, da einen Platz zu finden. Schauen wir zurück auf Amerikaner wie Cassavetes: Dessen Modell ist noch immer das, nach dem wir heute arbeiten: sich selbst finanzieren, sich für Stipendien bewerben, Kredite aufnehmen - das ist typisch für Independent-Filmemacher. Independent heißt aber auch, etwas so zu machen, wie man es sich selber vorstellt. Mit Leuten, die deine Vorstellung vom Kino teilen, in kleinen Gruppen und mit Freunden.

ORF.at: In Europa, auch in Österreich, gibt es regelmäßig Klagen, dass für Kultur zu wenig Geld da ist. Stichwort: Prekariat der „creative industries“. Wie beurteilen Sie diese Klagen von Ihrem Wohnort Baltimore aus?

Ich finde es großartig, dass Kunst und Kultur in Europa vom Bürger und dem Staat gefördert werden! Im Grunde ist das doch überall in der Welt so - außer in den USA. Ich glaube, öffentliche Förderung wird es in den USA nie geben. Wir sind so durch und durch kapitalistisch, dass das System eben auch für die Künste gilt: Es geht nur ums Kapital! Das gibt uns zwar eine gewissen Grad an Freiheit, aber es belohnt dafür Leute, die bessere Connections zum Geld haben.

ORF.at: Wie lange dauert es denn, bis Sie einen Film finanziert haben und was kostet der dann im Durchschnitt?

Jeder meiner Filme braucht zwei bis vier Jahre, bis er fertig ist. Schreiben, Entwicklung des Drehbuchs und die Finanzierug inbegriffen. Ich bin sicher langsamer als viele andere amerikanische Indies. Es wird ja in den USA immer so viel Wert drauf gelegt, Filme wie am Fließband zu produzieren. Dem kann ich mich nicht anschließen. Ich verstehe nicht, warum man Filme so schnell machen soll. Warum ist Quantität so wichtig? Ich brauche im Durchschnitt 250.000 Dollar für einen Film. Mein neuer wird teurer, aber das liegt am Skript.

Putty Hill

Andrew Laumann

„Putty Hill“: Eine zerstrittene Familie kommt durch den Tod eines jungen Mannes wieder zusammen

ORF.at: Wie würden Sie Ihren Regiestil beschreiben? Irgendwo an der Grenze zwischen Spiel- und Dokumentarfilm? Oder sind die Abgrenzungen Unsinn?

Ich interessiere mich für beide Formen. Ich mache nun mal Spielfilme - aber ich interessiere mich für die Welt, für Menschen, die auch nicht unbedingt Schauspieler sein müssen. Ich interessiere mich für Schauplätze mit Charakter.

ORF.at: Wie Baltimore ...

Genau. Ich interessiere mich für eine Art von Naturalismus. Es ist doch frustrierend, wenn Filmemacher, Kritiker und das Publikum so viel Zeit damit verschwenden, über diese Unterscheidungen zu debattieren.

ORF.at: Das große Thema 2015 und auch 2016: Flüchtlinge. Wie wird das Thema bei Ihnen zu Hause in den Medien wahrgenommen? Und möchten Sie nicht nach Europa kommen und einen Film dazu drehen?

Interessante Frage. Wir haben ja keine Flüchtlings-Situation so wie in Europa im Moment. Was nur an der Geografie liegt. Einwanderung ist natürlich auch in den USA ein großes Thema. Im Moment sind alle Zeitungscover, alle TV-Sender und online-Medien voll mit Präsidentschaftswahlkampf.

Einwanderung ist sicher ein heißes Thema in diesem Kontext. Aber entscheidend bei den Wahlen ist die Wirtschaft. Die meisten Amerikaner fürchten, dass sie durch Einwanderer ihre Jobs an Leute verlieren, die bereit sind für weniger Geld zu arbeiten. Oder gezwungen sind, für weniger Geld zu arbeiten. Es ist die Furcht vor dem Anderen, die übereinstimmt mit der Furcht vor der anderen Kultur, die ich in Europa wahrnehme.

Putty Hill

Joyce Kim

Sprachlosigkeit lässt sich durch Trauerarbeit aufheben, Szene aus „Putty Hill“

Ein Freund von mir hat gerade „Mediterranea“ produziert. Ein toller Film, der sich mit afrikanischen Flüchtlingen in Italien auseinandersetzt. Er ist in Italien geboren, hat eineinhalb Jahre in den USA gelebt. Um einen Flüchtlingsfilm in Europa zu drehen und eine Geschichte mit der nötigen Autorität zu erzählen, müsste ich mehr Zeit dort verbringen. ich weiß nicht, ob ich das könnte.<<

ORF.at: Sie halten eine Masterclass auf der Diagonale. Was kann man von Matt Porterfield lernen?

(lacht) Ich weiß nicht. Ich habe Erfahrung darin, viel mit wenig zu machen. Wir könnten darüber reden, Filme mit wenig Geld zu machen. Mein Ansatz zum Casting wäre auch ein Thema. Und mein Ansatz, eine Geschichte zu erzählen. Der ist neuartig und vielleicht interessant, besonders für Filmemacher, die in der Falle des konventionellen Storytelling stecken.

ORF.at: Welchen Ansatz haben Sie denn, ihre Rollen zu besetzen?

Ich folge der neorealistischen Tradition. Ich finde Leute auf der Straße oder an Orten, wo ich selber bin und baue eine Beziehung zu ihnen auf. Das ist eine Arbeitsmethode, die wirklich gemeinschaftlich ist und nicht der Machtdynamik zwischen Filmemacher und Schauspieler entspricht. Laien bringen auch ihr Unterbewusstsein stärker in die Rolle ein.

Das Interview führte Alexander Musik, ORF.at

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