Filmszene aus "Im Spinnwebhaus"

Gero Kutzner

Kinder, sich selbst überlassen

Ein Wochenende ohne Erwachsene. Was für Jonas, Nick und Miechen als Abenteuer beginnt, endet in einem Kampf ums Überleben, als die Mutter über Monate nicht zurückkehrt. Essen und Geld gehen aus und das Zuhause verwandelt sich langsam in ein „Spinnwebhaus“. Der Schwarz-Weiß-Film von Mara Eibl-Eibesfeldt ist ein bemerkenswertes Debüt über den Zusammenhalt dreier Geschwister und die magischen Gesetze der Kindheit.

Jonas ist zwölf. Schon lange hat er statt seiner instabilen Mutter die Verantwortung für seine jüngeren Geschwister übernommen. Cool und liebevoll zugleich kümmert er sich darum, dass die kleine Marie, genannt Miechen, nachmittags aus dem Kindergarten abgeholt wird und der neunjährige Nick rechtzeitig sein Ritalin nimmt. Mutter Sabine leidet unter den „Dämonen“, wie sie sagt, die sie immer wieder heimsuchen.

Unbeschwertheit auf Zeit

Als die Alleinerziehende eines Tages wieder die Nerven verliert, gibt Jonas ihrer Bitte nach, für ein Wochenende auf Nick und Miechen aufzupassen, damit sie sich im „Sonnenthal“ erholen kann. Jonas ist von nun an der von Sabine ernannte Chef im Haus und genießt zunächst die unbeschwerte Zeit mit seinen Geschwistern. Man schläft in selbstgebauten Höhlen im Wohnzimmer, darf fernsehen, wann immer man will und zum Abendessen gibt es Chips aus der Tüte. Doch nach dem Wochenende kehrt Sabine nicht zu den Kindern zurück.

Filmszene aus "Im Spinnwebhaus"

Gero Kutzner

Anfangs genießen die Kinder das abenteuerliche Wochenende

Was mit der Mutter geschehen ist, lässt die Regisseurin über lange Strecken offen. Die Geschichte konzentriert sich ganz auf die Dynamik im Mikrokosmos der Kinder, wie sie sich gegenseitig beschützen und gegen die Außenwelt verteidigen. Sie schaffen sich ihre eigene Märchenwelt, wo Käfer zu Haustieren werden und Spinnen Menschen an ferne Orte teleportieren können. Doch was als Abenteuer beginnt, wird zum Kampf um Leben und Tod, als das Geld ausgeht und niemand mehr den Strom bezahlen und Essen kaufen kann. Nur die Freundschaft mit dem geheimnisvollen Felix, den Jonas auf seinen Streifzügen durch die Nacht kennengelernt hat, gibt den Kindern Hoffnung und Mut.

Modernes Fantasy-Märchen in Schwarz-Weiß

„Im Spinnwebhaus“ ist der Debütfilm von Mara Eibl-Eibesfeldt, geboren 1980. Sie ist die Enkelin des österreichischen Zoologen und Dokumentarfilmers Irenäus Eibl-Eibesfeldt. Gemeinsam mit dem renommierten Kameramann Jürgen Jürges („Funny Games“, „Angst essen Seele auf“, „Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) fand sie eine besondere Bildsprache in kontrastreichem Schwarz-Weiß, um den fantastischen Blick der Geschwister auf die Welt zu zeigen. Der Film ist weniger Sozialstudie als ein modernes Fantasy-Märchen aus der Perspektive der Kinder.

Filmszene aus "Im Spinnwebhaus"

Gero Kutzner

Das Leben ohne Mutter ist für Miechen (Helena Pieske), Nick (Lutz Simon Eilert) und Jonas (Ben Litwinschuh) ein Balanceakt

Zeitungsartikel als Ausgangspunkt

Als Ausgangspunkt für den Film nennt die Regisseurin einen Zeitungsartikel über vier Kinder, die von ihrer Mutter über Monate alleine gelassen wurden. Der Älteste war zwölf Jahre alt. Er übernahm die Rolle des Familienoberhaupts und sorgte dafür, dass die Abwesenheit der Mutter nach außen nicht auffiel. Die Wohnung hingegen verwahrloste immer mehr. Als die Kinder entdeckt wurden, waren die Spinnweben in der Wohnung bis auf die Kopfhöhe der Kinder hinuntergewachsen.

Filmhinweis

„Im Spinnwebhaus“ wird auf der Diagonale noch am 11. März um 21.00 Uhr im UCI Annenhof Saal 5 gezeigt.

Auch wenn die Magie in den letzten fünf Minuten abrupt endet und eine plötzliche Wende so wirkt, als hätte die Regisseurin auf einmal ihre Kreativität verlassen, ist „Im Spinnwebhaus“ ein Film, der nachhallt. Wie sich die Kinder voller Urvertrauen und Loyalität zur Mutter in ihre Situation fügen, ist bemerkenswert inszeniert. Undurchdringlich wie die immer dichter werdenden Spinnennetze ist der Zusammenhalt der Geschwister, um sich selbst zu schützen. Und man bekommt eine Ahnung davon, wie schaurig-schön die Welt ohne Erwachsene wäre.

Sonia Neufeld, ORF.at

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