Die Geträumten

Ruth Beckermann Filmproduktion

Bachmann und Celan: Die Tragik ihrer Liebe

Wie lässt sich der hochemotionale Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan in einem Film darstellen? Regisseurin Ruth Beckermann wählt in „Die Geträumten“ einen ungewöhnlichen Weg: Sie lässt zwei junge Schauspieler im Studio 3 des ORF-Funkhauses ausgewählte Briefe der beiden Dichter rezitieren – ein eindrückliches Kammerspiel, das gewissermaßen erst durch seine Unterbrechungen lebt.

Bachmann und Celan: eine große Liebe zwischen zwei bedeutenden Dichtern mit einem ebenso großen Talent zum Verletzen und Fremdeln. Bachmann, deren Vater bei der NSDAP war, und Celan aus Cernowitz, der überlebende Jude, dessen Eltern 1942 nach Transnistrien deportiert wurden. Der Vater starb an Typhus, die Mutter wurde erschossen.

Drei Jahre nach Kriegsende lernten sich die beiden in Wien kennen, eine Begegnung, die „das Geistige und das Sinnliche“ verbinden sollte, wie Celan schrieb. Doch das Zusammenleben, das beide in den 1950er Jahren dann kurz in Paris erprobten, gelang ihnen nicht. Das Abschiednehmen aber auch nicht, als er schon in Paris Frau und Kind hatte und sie in Zürich mit Max Frisch verheiratet war.

Schauspieler sind mitgerissen und mitgenommen

In dem Suhrkamp-Band „Herzzeit“ lässt sich die hochgestimmte pathetische Korrespondenz nachlesen, Beckermann bringt sie in „Die Geträumten“ filmisch auf den Punkt. Aber nicht indem sie die Adressen aufsucht, an denen diese Briefe zwischen 1948 und 1967 geschrieben wurden (Paris, Zürich, Wien, München, Rom, obwohl das laut Information des Filminstituts anfangs noch die Absicht war): Beckermann entscheidet sich für die Reduktion, für die Konzentration auf die Texte selbst.

Das gelingt vortrefflich: Anja Plaschg, die unter dem Künstlernamen Soap&Skin auch als Musikerin in Erscheinung tritt, und Burgschauspieler Laurence Rupp lesen einander im holzvertäfelten Studio 3 des ORF-Funkhauses ausgewählte Passagen vor. Sie lesen und verkörpern gleichzeitig die beiden Dichter, was von ihrem Alter und ihrem Habitus her – er ist 28, sie 25 Jahre jung – recht gut funktioniert und die gewünschte Metaebene schafft.

Rauchpausen als willkommenes Stilmittel

Denn Plaschg und Rupp reagieren auf die Texte, sind mitgerissen und mitgenommen von der eindringlichen, feinnervigen Sprache der Liebenden.

Die Geträumten

Ruth Beckermann Filmproduktion

Rauchpause zwischen der Lesung: Laurence Rupp und Anja Plaschg

Ein willkommenes Stilmittel sind die Pausen zwischen den Lesungen, die wie für eine Rundfunksendung aufgenommen werden: Da kommt dann ein Techniker und korrigiert die Mikrofone, weil mit dem Pegel etwas nicht stimmt; da gehen die Schauspieler regelmäßig ins Freie oder in die Kantine, um zu rauchen.

Das schafft eine grandiose Fallhöhe, die daran erinnert, dass Bachmann und Celan sich auch über ganz banale Dinge mitteilten: zum Beispiel, zusammen eine Lampe für ihre neue Wohnung in München kaufen zu gehen.

Lockerungsübungen zu James Brown

Plaschg und Rupp nehmen den Text ernst, diskutieren ihn, versuchen sich in die Nachkriegszeit zu versetzen. Der Film lebt aber davon, dass beide junge Menschen von heute sind. Und so hängen sie zwar immer wieder schweigend ihren Gedanken nach - und müssen doch spontan lachen über den Abstand zwischen dieser Collage aus Gefühls- und Sensibilitätsbezeugungen und dem Alltag auf den Fluren des Funkhauses.

Die Geträumten

Ruth Beckermann Filmproduktion

Immer wieder hängen die Schauspieler ihren Gedanken nach

Das schönste Bild des Filmes ist vielleicht eine Einstellung von außen durch die Glaswand ins Studio. Da liegen Rupp und Plaschg ganz entspannt auf dem Boden, bei Lockerungsübungen, leise klingt James Brown dazu aus dem Smartphone: Das sind wirklich „die Geträumten“ aus dem Gedicht, das Celan ihr widmete, und wo es heißt: „Es stehn / die Geträumten für / die Mitternachtsziffer“. Und die Bachmann fragt dazu (im Film zwecks Verdeutlichung gleich mehrmals): „Aber sind wir nur die Geträumten?“

Filmhinweis

„Die Geträumten“ läuft bei der Diagonale am Donnerstag um 20.30 Uhr im Schubertkino und am Samstag um 11.00 Uhr im Schubertkino.

Briefe bis 2008 unter Verschluss

Es ist ehrenwert, diese zum Scheitern verurteilte und größtenteils ungelebte Liebe durch diesen unter Beteiligung des ORF hergestellten Film wieder zum Leben zu erwecken. Ein Versuch, anhand der ausgewählten Briefe zwei komplexen Persönlichkeiten Kontur zu verleihen: dem Autor der „Todesfuge“, den eine (als antisemitisch begriffene) Anspielung in einer Zeitungsrezension depressiv machen konnte. Und die Geliebte, die ihm antwortet: „Du willst das Opfer sein.“ Der Film macht Lust, sich mit diesen bis 2008 nicht zugänglichen Briefen wieder zu befassen.

Alexander Musik, ORF.at

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