Filmszene aus "Hildegart"

Fragile Features

Auf der Suche nach der „Überfrau“

Ein grausames Experiment endet für Hildegart Rodriguez mit dem Tod: Der Plan ihrer Mutter, die perfekte Frau zu „züchten“, scheitert. Barbara Caspar erzählt in „Hildegart“ die schwer fassbare, wahre Geschichte eines Wunderkinds, das für den Feminismus kämpfen sollte - und für die Freiheit vom verhassten Patriarchat letztlich mit dem Leben bezahlen musste.

Den Vorstellungen der Mutter entsprechen zu müssen, bildet das Kernstück so mancher problematischer Mutter-Tochter-Beziehung: Für Hildegart bedeutet das nicht weniger, als die Welt - mit ihrem herbeigewünschten Dasein als „Superwoman“ - für immer zu verändern. Die Grazerin Barbara Caspar rückt daher den wenig überraschenden Moment des Scheiterns an den Beginn der Erzählung - Aurora Rodriguez erschießt ihre Tochter und wird zu langjähriger Haft verurteilt.

In den kurzen Ausschnitten, die sich optisch im Stil einer animierten „Visual Novel“ präsentieren, wird das Psychogramm einer Frau gezeichnet, deren Idealismus zusehends zu Extremismus wird. Im Spanien der Jahrhundertwende erlebt sie am eigenen Körper die damals unüberwindbare Macht des Patriarchats, die ihr als Antrieb für ihren abstrusen Plan dient.

Filmszene aus "Hildegart"

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„Hildegart“ erzählt in Rückblenden die Geschichte des feministischen Wunschkindes - visuell wird auf Illustrationen zurückgegriffen

Wunderkind ohne Zuwendung

Der Weg zur „perfekten Frau“ führt für Aurora über die Lehren der Eugenik, die unumgänglich andere Assoziationen hervorrufen - zu jener Zeit, kurz vor dem ersten Weltkrieg, aber noch nicht von den Gräueltaten der Nationalsozialisten vereinnahmt waren. Das Konzept war damals eine relativ junge Strömung und fand rund um den Globus Anhänger. Aurora erhoffte sich, einen intelligenten Mann zu finden, der sein Erbgut zur Erschaffung der „Überfrau“ beitrug - und wurde letztendlich fündig.

Das Ergebnis ist Hildegart: Ein Mädchen, das schon früh sprechen, lesen und schreiben lernt und vier Sprachen fließend beherrscht - aber im Gegenzug auf Zuwendung und Liebe verzichten muss, genau so, wie einst ihre Mutter aufgewachsen ist. Ohne jegliche Bezugsperson oder Freunde, einzig und allein durch die Mutter indoktriniert, entwickelt sich die designierte Proto-Frau trotzdem zu einer angesehenen, jungen Sozialistin und Feministin in ihrer spanischen Heimat.

Femen-Aktivistinnen im Gespräch

In Hildegarts Aktivismus schlägt Caspar die Brücke zur Gegenwart: Den animierten Rückblenden in das frühe 20. Jahrhundert stellt sie Interviews mit Aktivistinnen der selbst unter Feministen umstrittenen „Femen“-Bewegung gegenüber. In Gesprächen wird über den Stellenwert von Hildegarts Aktionen philosophiert, aber auch die prekäre Mutter-Tochter-Beziehung ist Diskussionsgegenstand.

Filmszene aus "Hildegart"

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Keine gewöhnliche Mutter-Tochter-Beziehung: Hildegart wird im Schlaf von ihrer Mutter umgebracht

Dabei wird ein viel ambivalenteres Bild gezeichnet, als es die bloße Beschreibung der Geschehnisse vermuten lässt: Die Aktionen der Mutter werden von den Gesprächspartnern mitunter relativiert, wenngleich erkannt wird, dass Aurora dem Ziel der starken, selbständigen Feministin letztlich selbst am meisten im Weg gestanden ist. Schließlich sei sie es gewesen, die ihr Gedankengut dem Kind aufgezwungen hatte - und damit selbst patriarchale Strukturen aufgebaut hat.

Filmhinweis

„Hildegart oder Projekt: Superwoman“ wird im Rahmen der Diagonale am 11. März im Schubertkino, sowie am 13. März im UCI Annenhof gezeigt.

Ihrer Zeit voraus

Warum Caspar neben den Femen-Aktivistinnen unter anderem auch eine deutsche Astrologin als Gesprächspartnerin herangezogen hat, bleibt ein Rätsel. Was willkürlich gewählte Planeten-Konstellationen über die Mutter-Tochter-Beziehung aussagen, trägt nichts zur eigentlichen Geschichte bei - und steht darüber hinaus im krassen Gegensatz zum Feminismus als Idee, die aus den Wissenschaften entsprungen ist. Die übernatürliche Hilfe trübt das sonst starke Gesamtbild, das sich visuell und auch akustisch einprägsam von anderen Dokumentationsformaten abhebt.

Mit nur 19 Jahren wurde Hildegart von ihrer Mutter erschossen. Die Geschichte wurde in Romanen (Erich Hackl, „Auroras Anlass“) und Filmen verarbeitet, in der Forschung bleibt ihr Schicksal bestenfalls eine Randnotiz - obwohl sie Jahrzehnte vor der sexuellen Revolution vergleichbare Standpunkte vertrat. Kein „Frankensteins Monster“ in Gestalt der „Überfrau“, aber ihrer Zeit doch deutlich voraus.

Florian Bock, ORF.at

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