Die Sehnsucht der Nummern-Girls
Jonathan Porter, der stämmige Ingenieur und Gründer der britischen Hilfsorganisation „Medicine on the move“ hat sich auf seinem Flugfeld „Kpong Airfield“ in Ghana, 50 Kilometer von Accra gelegen, viel vorgenommen: Er will den jungen, perspektivarmen Frauen auf dem Lande eine Chance bieten, die fast zu schön klingt, um wahr zu sein: Sie sollen abheben, im Wortsinn wie im übertragenen. Dazu schart er eine Gruppe von ihnen um sich, steckt sie in T-Shirts und ruft sie fortan nur noch mit der dort aufgedruckten Nummer auf. Vier Jahre soll die Ausbildung dauern, dann dürfen sie sich Pilotinnen nennen – eine höchst seltene Auszeichnung für Frauen in Ghana.
Monika Grassl zeigt in ihrem Dokumentarfilm, einer deutsch-österreichische Koproduktion, an der auch „Brot für die Welt“ beteiligt ist, den Alltag dieser zu Nummern degradierten Mädchen, die sehnsüchtig den Linienmaschinen nachschauen, die hoch oben über ihnen fliegen - und Jonathan Porters Propellerflugzeug, das einsam auf dem weiten Flugfeld auf den nächsten Einsatz wartet. Doch der kommt nicht.
„I Am Not a White Man“, verkündet der Weiße
Stattdessen übt Porter – sein T-Shirt trägt die Aufschrift „I Am Not a White Man“ - mit den Frauen militärischen Drill. Dass die Ausbildung so lange dauert, sagt er, liege an den afrikanischen Genen, die die Ghanaer zwar sehr robust machten, aber nicht unbedingt für die Herausforderungen der Luftfahrt geeignet seien.
Petra Lisson, Julia Hönemann
Deswegen die Nachrüstung: Die besteht, so zeigt es „Girls don’t fly“, vor allem in monotonen handwerklichen Tätigkeiten und Unkrautjäten. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, so würden der bullige Ingenieur und seine einheimische Ehefrau es wohl begründen, dass der Weg bis zur ersten Flugstunde so lange ist.
Interessanterweise akzeptieren die Schülerinnen Parkers seltsamen autoritären Stil lange durchaus, und interessant wird der Film immer dann, wenn es um das Verhältnis zwischen ihnen und dem Mann aus der ehemaligen britischen Kolonie geht.
Wären doch die Briten etwas später gegangen
Man sei in Ghana einfach immer noch stolz, mit einem Weißen zusammenzuarbeiten, sagt eine Frau. Sie erklärt, zwar nichts gegen die Unabhängigkeit ihres Landes zu haben, doch besser wäre es für Ghana gewesen, wenn es noch ein wenig länger unter britischer Obhut geblieben wäre. Daher mucken sie auch nicht auf, wenn Porter – den sie „Boss“ zu nennen haben – sie nicht beim Namen nennt. Denn afrikanische Namen – christliche und muslimische – sind einfach verwirrend für die Geschäftsleute, die man in Kpong erwarte, findet der „Boss“.
Petra Lisson, Julia Hönemann
Vielleicht war Monika Grassl (sie hat auch das Drehbuch geschrieben) nicht ganz klar, worauf sie sich konzentrieren sollte in ihrem ersten Langfilm. Berührend sind die Szenen, in denen die Flugschülerinnen, noch ganz naiv-verspielt, mit den Härten des Berufs konfrontiert werden. Härten, so wie Jonathan Parker sie schildert. Gelungen auch die Sequenzen, in denen die Mädchen, zurück in ihrem Dorf, der Familie von ihrer Ausbildung vorschwärmen. Schließlich soll die ja später mal das Auskommen der Familie sichern.
Die Regisseurin konnte überall ungehindert filmen, wie es scheint. Dennoch bleibt Jonathan Parker als Persönlichkeit etwas blass: Über ihn und seinen persönlichen Hintergrund hätte man gerne mehr erfahren.
Dramaturgische Abschweifungen
Statt dessen zieht Grassl eine neue Ebene in ihren Film ein und springt in ein bayerisches Krankenhaus, wo die kleine resolute Lydia - auch sie eine Schülerin des grimmigen Jonathan Porter - operiert wird. Ein Insektenstich ließ ihren Arm verkrüppeln, der Eingriff soll das wieder richten, damit sie später einmal einen Steuerknüppel halten kann.
Und dann baut Grassl noch Bilder von einer PR-Aktion von „Medicine on the move“ ein, die wohl irgendetwas belegen sollen. Doch diese dramaturgischen Abschweifungen mit ihren verwirrenden Zeitebenen wirken wie nachträglich ausgedacht und eingebaut, sie stören die Dramaturgie mehr als sie nützen.
Filmhinweis
„Girls don’t fly“ läuft bei der Diagonale noch am 10.3. um 21.00 Uhr im UCI Annenhof.
Dafür bleiben stimmungsvolle Bilder der Mädchen mit all ihren Illusionen in Erinnerung: Sie wollten ein anderes, freieres Leben führen und ergriffen jede Chance, und Kpong Airfield war zunächst eine gute Chance. Auch wenn sie sich dann doch, bei allem Gehorsam gegenüber dem „Boss“, irgendwann getäuscht fühlen von ihm. Sie werden wohl nie fliegen – aber die stille Rebellion, wie sie der Film zeigt, sie ist auch schon ein Stück Emanzipation.
Alexander Musik, ORF.at
- Filmtrailer
- Interview mit Monika Grassl (Dokumentarfilmfest München)