BF 2017 Hinter den Kulissen der Kostümabteilung

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Künstlerinnen mit Nadel und Faden

Die Seebühne bei den Bregenzer Festspielen ist riesig, das Bühnenbild überdimensional, die letzte Zuschauerreihe weit weg. Dennoch ist bei allen 400 Kostümen bis hin zur Position des kleinsten Knopfes nichts dem Zufall überlassen. Dafür sorgen bis zu 65 Mitarbeitende in der Kostümabteilung der Festspiele.

Für die „Carmen“-Kostümideen zeichnet Anja Vang Kragh aus Kopenhagen verantwortlich. Mit ihr hatte die Leiterin der Kostümabteilung, Claudia Raab, bereits vor über zwei Jahren das erste Gespräch über ihre Erwartungen, Pläne und darüber, wie die Kostüme schlussendlich wirken sollen.

Jahrelange Vorlaufzeiten

Die Arbeit der Kostümbildner in Bregenz beginnt also bereits Jahre vor der Premiere, erzählt Raab: „Wir bekommen ungefähr zweieinhalb bis drei Jahre im Vorfeld die Information, wer das Leading-Team sein wird, also wer Regie, Licht-Design, Bühnen- und Kostümbild machen wird. Bei der ersten Besprechung zeigen uns die Kostümbildner ihre ersten Entwürfe, also das, was sie prinzipiell vorhaben.“

BF 2017 Hinter den Kulissen der Kostümabteilung

APA/Dietmar Stiplovsek

Jede der Figuren in „Carmen“ hat ihr individuelles Design

Der Regisseur der jeweiligen Produktion gibt die Richtung vor, der Kostümbildner - oder besser: die Kostümbildnerin, denn in den allermeisten Fällen sind es Frauen - entwirft dementsprechend. Die Kostümabteilung der Festspiele sorgt dann für die Umsetzung. „Wir haben dazu einen bestimmten Budget-Rahmen zur Verfügung“, erzählt Raab, „innerhalb dessen wir die Zeichnungen dann zum Leben erwecken können“.

Während des Jahres arbeitet Raab alleine, teils mit ein, zwei Assistentinnen für die Anproben. Erst im Sommer kommt der Rest des Teams dazu. Zwei Männer sind heuer in der Abteilung mit dabei, ansonsten ausschließlich Frauen, allesamt mit Schneider-Ausbildung. Viele haben die Modeschule gemacht, manche am Theater gelernt, einige sind Studentinnen. Die Meisterinnen mit Nadel und Faden, die heuer zusammenarbeiten, sind zwischen 18 und 63 Jahre alt.

Wetterfeste Materialien

Die Gegebenheiten auf der Seebühne bescheren den Kostümbildnerinnen eine besondere Herausforderung: Die Materialien müssen sich im Notfall nämlich bis zum nächsten Tag wieder trocknen lassen. Oft finden einzelne Szenen direkt am oder sogar im Wasser statt. Bei „Carmen“ beispielsweise bekommen die Tänzer gewollt nasse Füße.

„Dazu“, sagt Raab, „kann es natürlich regnen. Meist wird dann noch ziemlich lange weiter gespielt – auch dann, wenn die Aufführung schlussendlich abgebrochen wird. Die Kostüme müssen also Regen, Wind und Wetter aushalten, komplett wetterfest sein – und dennoch ästhetisch aussehen und auch so beschaffen sein, dass die Darsteller darin noch gut spielen, singen und sich bewegen können“.

Gespür für die Vorstellungen der Künstler

Es sei sehr wichtig, sich in die Kostümbildnerin des Leading-Teams einfühlen zu können, erklärt Raab, „weil jeder Mensch eben eine andere Optik hat. Das heißt, jeder hat visuell andere Vorlieben und eigene Arten, das darzustellen: Die Kostümbildner bringen dementsprechend unterschiedliche Arten von Entwürfen: die eine macht Photoshop, die andere bringt Recherchen aus Magazinen und Zeichnungen“. Daraus müssen Claudia Raab und ihr Team dann ablesen können, wie sich die Künstlerin die Umsetzung auf der Bühne tatsächlich vorstellt.

BF 2017 Hinter den Kulissen der Kostümabteilung

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Blick in die Kostümabteilung: Hier arbeiten bis zu 65 Mitarbeiter daran, dass auch wirklich jeder Knopf sitzt

„Man muss ein Gefühl einfangen können, ein Gespür haben, ein Gefühlsmensch sein. Ich sehe zum Beispiel einen Entwurf und habe gleich die Vorstellungen von den dazu passenden Materialien dazu im Kopf. Da hilft mir meine Erfahrung weiter - gerade auch, was die Verhältnisse auf einer Seebühne betrifft.“ Immerhin leitet Claudia Raab seit acht Jahren die Kostümabteilung der Bregenzer Festspiele. Im Team ist sie bereits seit 23 Jahren, davor war sie jahrelang als Assistentin mit dabei.

Bei aller Erfahrung wird aber auch die Wahl der Materialien genau mit dem Leading-Team besprochen, denn auch da haben die einzelnen Kostümbildner ganz genaue Vorstellungen: „Es ist ein Herantasten an sämtliche Details. Je gefestigter die Vertrauensbasis ist, desto mehr können mein Team und ich dann auch selbstständig entscheiden. Dennoch muss jede Entscheidung abgesegnet werden.“

Zwischen Färberei und Secondhand-Geschäften

Die Bregenzer Festspiele verfügen über eine eigene Kostümfärberei, in der die Kostüme bearbeitet und bedruckt werden können. Für „Carmen“ arbeitet Anja Vang Kragh mit ganz speziellen Druck-Motiven, etwa riesigen Blüten auf den Kostümen: „Eine sehr aufwändige, aber interessante Arbeit. Die Position des Motivs muss auch der Statur des Schauspielers und der Bühnen-Distanz angepasst werden“, erklärt Raab.

In der Färberei werden bestimmte Stoffe auch auf „alt“ gemacht, „wir haben beispielsweise Kleider so auf speckig und getragen gefärbt, dass sie von der Nähe schon eklig aussehen. Aber für die Distanz zwischen Seebühne und Zuschauer haben sie eben genau den richtigen Effekt“, lacht sie. Raab ist für ihre Kostüme und Stoffe in ganz Europa unterwegs, sehr viel auch in Secondhand-Geschäften. Der Suche geht eine intensive Recherche über jenes Zeitalter voraus, in der die jeweilige Oper angesiedelt ist. Viele Einzelstücke für „Carmen“ haben die Schneiderinnen diesmal in Secondhand-Geschäften in Spanien und Italien gefunden.

Maßnehmen an jedem einzelnen

Neben der Wetterfestigkeit der Materialien wertet Raab das Maßnehmen als eine der größten Herausforderungen, die die Kostümabteilung zu bewältigen hat: „Leider sind viele Maße, die wir zuvor von den Künstleragenturen und Opernhäuser bekommen, längst nicht mehr aktuell. Wir hatten schon Angaben, die zehn Jahre alt waren. In dieser Zeit verändern sich die Menschen natürlich, in welche Richtung auch immer. Kurz vor den Proben muss man da schon noch einige Änderungen vornehmen. Wir hatten beispielsweise einmal einen Sänger, der mit Größe 46/48 angekündigt worden war – gekommen ist ein Mann mit Größe 58. Da mussten wir auf die Schnelle einen komplett neuen Anzug machen.“

Jedes Kostüm ist heuer einzigartig

Dieses Jahr, bei „Carmen“, ist jedes Kostüm individuell gefertigt. Das heißt, jeder einzelne Solist, jedes einzelne Chormitglied, jeder Stuntman und Akrobat, jeder Statist hat sein eigenes, maßgeschneidertes Kostüm. „Das ist toll, aber natürlich aufwändig“, sagt Claudia Raab. „Wir haben zwar Gruppen auf der Bühne, beispielsweise die Schmuggler – aber selbst da hat innerhalb dieser Gruppe jedes einzelne Kostüm sein eigenes Design. Nur die Soldaten haben die gleichen Uniformen. Ansonsten ist heuer jedes einzelne Kostüm wirklich einzigartig."

Bei den Proben dabei

Da das Team der Kostümabteilung auch für die Kostümwechsel während der Aufführung verantwortlich ist und damit die Garderoben während der Aufführung hinter den Kulissen betreut, gibt es auch für die Kostümbildnerinnen Probenarbeit: „Wir haben ungefähr fünf bis sechs Proben im Vorfeld, damit wir alle bei jedem Darsteller wissen, wann und wo welcher Handgriff zu machen ist“, erklärt Raab.

Bei so viel Einsatz und Engagement wundert es wohl kaum jemanden, dass dann beim Verkauf der Festspielkostüme, der alle zwei Jahre stattfindet, der Abschied vom einen oder anderen lieb gewonnenen Teil schon sehr schwer fallen kann.

Angelika Schwarz, ORF Vorarlberg

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