Ein Quantum Festspiele: 007 in Bregenz
50 Meter breit und 25 Meter hoch - diese beeindruckenden Maße konnte das Auge im „Tosca“-Bühnenbild vorweisen. Es stellte in Giacomo Puccinis Oper die Überwachung durch den Polizeistaat dar. Aufgeführt wurde „Tosca“ als Spiel auf dem See in den Jahren 2007 und 2008. Im Vorfeld erregte das Bühnenbild so viel Aufmerksamkeit, dass 2008 zwei große Events stattgefunden haben: die Bond-Dreharbeiten und die ZDF-Arena zur Fußball-EM auf der Seebühne.
Opernbesuch von Bond wurde zur Verfolgungsjagd
Das Bond-Abenteuer begann im April 2007 mit einem anonymen Anruf aus London beim Pressebüro der Festspiele. Man habe Interesse an einem Filmdreh und forderte Agentenmäßig höchste Geheimhaltung. Wenige Wochen darauf kam es zu einem ersten Treffen in Bregenz. Offiziell bestätigt wurden die Dreharbeiten aber erst im Februar 2008.
APA/ Dietmar Stiplovsek
Exakt um 13.55 Uhr am 29. April 2008 betrat dann James Bond-Darsteller Daniel Craig zum ersten Mal das Festspielhaus, wenige Minuten danach begannen die Dreharbeiten zum 22. Bond-Film, die bis 9. Mai gedauert hatten.
In siebeneinhalb Filmminuten im Festspielhaus und auf der Seebühne entdeckt 007 während der „Tosca“-Vorstellung erstmals seine Widersacher. Der Opernbesuch von Bond entwickelt sich zu einer Verfolgungjagd über die Seebühne. „Das Auge stellt für mich eine Metapher für die Bond-Filme dar“, sagte Bond-Regisseur Marc Forster.
Kalte Nächte für Künstler und Statisten
Zehn Nächte lang wurde auf der Seebühne und im Festspielhaus gedreht. Die Festspiele stellten eine fast komplette „Tosca“-Vorstellung samt Solisten, Chor, Statisten und Publikum auf die Beine. Wochen vor Beginn der Festspiele musste die Bühne von den Technikern spielfertig hergerichtet werden, damit 007 im Film über die Seebühne jagen konnte.
APA/ Dietmar Stiplovsek
An den zehn Drehtagen waren knapp 2.000 Beteiligte im Einsatz. 1.500 Statisten stellten das Publikum auf der Seebühne dar. Zum Casting im Jänner kamen 5.000 Interessierte nach Bregenz. Detail am Rande: Da zum Casting alle in passender Abendkleidung zu kommen hatten, gab es in der gesamten Region in dieser Zeit keinen Smoking zum Leihen. Die Statisten mussten zehn Stunden lang in der kalten Nacht auf ihren Sitzplätzen auf der Seetribüne ausharren. Die Sänger sangen wegen der niedrigen Temperaturen und der dünnen Kostüme in Skiunterwäsche.
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Veränderungen am „Tosca“-Bühnenbild waren für die Dreharbeiten nicht wirklich notwendig. Sie beschränkten sich auf einen extra errichteten Steg, der vom Publikumsbereich auf die Seebühne führte, sowie auf eine kleine Ecke hoch oben im Bühnenbild, wo die Schauspieler agierten. Die Produzenten und Regisseur Forster hatten sich für den Film die Original-„Tosca“ gewünscht.
Bregenzer Festspiele/Benno Hagleitner
Vor den Augen eines Millionenpublikums
Dank des Bond-Filmes haben mehr als 100 Millionen Menschen die Bregenzer Festspiele erlebt - zwar nur wenige Minuten auf der Kinoleinwand, dafür aber rund um den Globus.
Er sei immer wieder gefragt worden, was die Festspiele dafür bezahlt hätten, dass Bond und ZDF nach Bregenz gekommen sind, so Franz Salzmann, der damalige kaufmännische Direktor der Bregenzer Festspiele: „Nichts haben wir bezahlt. Für jeden benutzten Quadratmeter wurde ordentlich Miete entrichtet und jede Arbeitsstunde wurde bezahlt. Mit dem Überschuss konnte wir Intendant David Pountney einen Wunsch erfüllen und ein Projekt mit zeitgenössischer Musik ermöglichen“.
Noch heute kommen Bond-Fans nach Bregenz und wollen sich das „Tosca“-Auge ansehen - um Jahre zu spät, da inzwischen schon längst andere Bühnenbilder entstanden sind. Doch auch diese konnten mit ihren Besonderheiten überzeugen.
Für den Fußball wurde das Auge orange
Die Spannung abseits der Oper blieb auch nach den Bond-Dreharbeiten in Bregenz erhalten. Das ZDF übertrug während der Fußball-Europameisterschaft im Juni das „EM-Studio“ direkt von der Seebühne. Zwei 45 Quadratmeter große LED-Leinwände wurden inmitten der „Tosca“-Kulisse aufgebaut. Über zwei Wochen lang musste das Bühnenbild umgebaut werden, 200 Extra-Scheinwerfer wurden aufgestellt, 34 Kilometer Kabel wurden verlegt - am Ende war das „Tosca“-Auge „ZDF-orange“ statt blau.
ZDF/ Sascha Baumann
Vor Ort machten 125.000 Fans bei den 27 Spielübertragungen die Seebühne zum „neunten Stadion“ der WM. Beim Halbfinale Deutschland gegen die Türkei hatten durchschnittlich über 29 Millionen Fans ZDF eingeschaltet. Thomas Fuhrmann, damals stellvertretender Sportchef des ZDF, sprach von einer „Weltkulisse“. 217 Millionen Menschen sahen 50 Sendestunden aus der Arena zwischen Tribüne und „Tosca“-Auge.
Carmen Sauerbrei
„Popularität und Qualität schließen sich nicht aus“
Zwischen Oper und Fußball sehe er keinen Widerspruch, sagte der damalige kaufmännische Direkor Salzmann. Die Bregenzer Festspiele „wollen nicht elitär sein, sondern die Türen aufmachen. Popularität und Qualität schließen sich nicht aus.“ Kulturschaffende sollten keine Berührungsängste haben, Oper hätte in Bregenz nicht nur Bildungsanspruch sondern auch Unterhaltungswert. „Wir ziehen keine Grenzen, sondern wollen Hemmschwellen abbauen“, so Salzmann, der Ende 2008 in Pension ging.
Bühnenbild des Jahres 2008
Das „Tosca“-Auge wurde zum Bühnenbild des Jahres 2008. In einer Umfrage der Zeitschrift „Opernwelt“ unter 50 Kritikern wurde Johannes Leiacker für seine spektakuläre Skulptur zum Bühnenbilder des Jahres gekürt.
APA/MOMA
„Die visuelle Kraft des „Tosca“-Auges als Sinnbild eines Polizeistaates ist ein sehr treffendes Bild für dieses Stück. Darüberhinaus war das Auge aber einfach auch eine sehr sinnfällige Kulisse mit starkem Symbolgehalt: Durch das ZDF-EM-Studio und die Dreharbeiten zum neuesten James-Bond-Film konnte es auch über die konkrete Produktion hinaus die Aufmerksamkeit von vielen Millionen Menschen erregen, die sonst vielleicht nichts mit der Kunstform Oper zu tun haben“, so begründete „Opernwelt“-Chefredakteur Albrecht Thiemann die Entscheidung.
Martina Fend, vorarlberg.ORF.at