Strolz auf der Wahlcouch im Wortlaut
Einerseits schließen Sie eine Koalition mit der FPÖ nach der Wahl aus. Andererseits findet aber Ihre Listenzweite, Frau Dr. Griss, in einem Interview im August nicht nur, dass Schwarz-Blau schon einmal „einiges auf den Weg gebracht hat“, sondern schließt nicht einmal kategorisch aus, dass sich NEOS als pinkes Anhängsel für eine schwarz-blaue Neuauflage hergeben würde. Wie kann das sein? (Hug Dust, 36, Wien)
Die Frau Griss war unlängst in einer Konfrontation eh auf ORF mit dem Herrn Strache und hier hat sie klar auch das zum Ausdruck gebracht, was ich auch sage: Es fehlt uns vor allem im Europathema das gemeinsame Fundament. Das heißt, Kooperation ja mit der FPÖ, aber eine Koalition geht sich nicht aus. Wir würden nur streiten, und gestritten hat die Regierung genug. Und sie hat recht, die schwarz-blaue Koalition hat nicht nur Schlechtes gemacht.
Sie hat grobe Korruptionsfälle verschuldet, aber sie hat zum Beispiel auch zum ersten Mal Zwangsarbeiter entschädigt. Österreich hat sich über 60 Jahre Zeit gelassen nach dem Krieg damit. Zum ersten Mal Kunst restituiert, und auch die Pensionsreform damals war ein richtiger Schritt. Und dann ist auch vieles geschehen, was nicht so gut war. Aber ich sehe das differenziert, und was die FPÖ betrifft, ich bin kein FPÖ-Fresser, wie jetzt klassisch die Glawischnig es war. Sondern ich sage, es geht sich halt in der Koalition nicht aus, aber Kooperation ja.
Als überzeugter Europäer setzen Sie sich für eine vertiefte Integration der Europäischen Union ein. Wie sehen Sie die enge Verflechtung der europäischen Verteidigungspolitik mit der NATO? Kann sich Österreich als neutrales Nicht-NATO-Mitglied hier als gleichberechtigter Partner einbringen? (Maria W., 28, Innsbruck)
Ja, also hier sind wir sehr klar und sehr entschlossen, die Klarsten, die Entschlossensten im Parlament. NEOS sagt: schrittweiser Aufbau einer europäischen Armee. Ich will ein Europa, das uns schützt. Und wenn wir zum Beispiel wissen, dass Dschihadisten, heilige Krieger, aus über 77 Nationen der Welt kommen, und wir glauben, dass wir mit einem Neun-Millionen-Volk unsere Sicherheit selbst gewährleisten sollten, das ist unrealistisch. Unsere Abfangjäger können nachts nicht fliegen, weil sie nicht sehen, können bei Regen nicht starten, weil sie nicht ausgerüstet sind.
Also wir sollten solche Dinge gemeinsam machen. Und das heißt, die alte Schablone Neutralität, die ist nicht mehr aufrecht, die ist tot. Wir haben mit der EU-Beitrittsabstimmung auch mit einem Volksentscheid gesagt, wir gehen in Richtung europäische Solidarität. Und das heißt nicht NATO-Beitritt, sondern das heißt europäische Solidarität, wie wir es mit den sogenannten Petersberg-Aufgaben schon übernehmen, und es gibt auch andere blockfreie oder neutrale Staaten in der EU - es gibt Finnland, es gibt Schweden, es gibt Irland - die sind auch nicht bei der NATO. Das heißt, das geht schon.

ORF.at/Dominique Hammer
Was gedenken Sie bezüglich Sozialversicherungs- und Steuerlast bei Einpersonenunternehmen zu tun - speziell wenn es um den Dienstleistungsbereich geht? Selbstständige haben kaum Sicherheiten, so sie gesundheitlich oder urlaubsbedingt ausfallen. Viele arbeiten für weniger Geld als Angestellte und haben weit mehr Arbeitsstunden zu investieren. Von diesen Personen redet niemand. Sie haben keine Lobby. Gleichzeitig ist ihre Zahl steigend. (Mag. Marion Linska, MSc, 50, Linz)
Also ja, Einpersonenunternehmen sind massiv steigend in der Zahl, es sind schon um die 300.000 in Österreich. Wir wollen alle Österreicherinnen und Österreicher natürlich entlasten, steuerlich, das ist unser Konzept, das kann man googeln. NEOS Steuerreform, dann springt es einen an. Wir wollen in einer Reformetappe von insgesamt acht Jahren 19,1 Milliarden Verschwendung rausschneiden, dann können wir auch die Menschen entlasten, auch Personen, Einpersonenunternehmen in dem Fall, bei der Einkommenssteuer. Das ist ein Punkt.
Der zweite Punkt: Wir müssen bei den Sozialversicherungskosten runter, das ist ein großer Brocken für Einpersonenunternehmen. Also Grüße nach Linz, ich war auch selber einmal Einpersonenunternehmen und ich kenne das, dass vor allem die SV der gewerblichen Wirtschaft hier ein großer Brocken ist. Wir wollen Sozialversicherungen schrittweise zusammenlegen, sodass hier mehr Effizienz hineinkommt, die Beiträge sinken können. Und wir wollen für Einpersonenunternehmen auch, dass sie ein Opt-out machen können bei der Kammer, Zwangsmitgliedschaft. Sie sollen selber entscheiden können, bin ich da dabei oder nicht. Das wären also drei Schritte, weitere müssen folgen.
Warum nehmen Sie die Flat Tax nicht in Ihr Wahlprogramm auf - als radikale Steuerpolitiklösung, die medial für Gesprächsstoff sorgt, klar verständlich für jeden ist, die Mittelschicht entlastet und zu Ihren „Stammwählern“ passt? (Michael Lebernegg, 24, Kapfenberg)
Ja, liebe Grüße an den Michael. Wir haben tatsächlich die Flat Tax sehr intensiv diskutiert, wir haben unsere Pläne für ein neues Österreich mit den Bürgerinnen und Bürgern in 1,8 Millionen ehrenamtlichen Stunden entwickelt. Also, wir sind eine echte Bürgerbewegung, keine Bewegung mit Event-Agentur. Und das war eine lange Auseinandersetzung, und wir sind schon zur Übereinkunft gekommen, wir wollen Leute, die auch höhere Einkünfte haben, stärker in die Verantwortung auch nehmen.
Das heißt, NEOS steht zu einem progressiven Steuersatz. Wir glauben, das ist okay, wir sagen aber auch, bei 50 Prozent ist Schluss mit dem Spitzensteuersatz. Und wir halten das für gerecht. Ich weiß, dass Flat Tax ein Aufreger wäre, und wir stehen jedenfalls zu einer Entlastung, sinkende Steuerabgabenquote, wir wollen sie runterbringen von derzeit 43, über 43 Prozent, auf 39 Prozent. Den Durchschnittseinkommen soll das eine Ersparnis bringen von zwischen 600 und 2.000 Euro pro Jahr, je nachdem, wie groß die Beiträge sind der Gemeinden und der Länder.
Durch welche Maßnahmen will NEOS das österreichische Bildungs- und Sozialsystem sowie Rechtssystem an die Herausforderung der Zuwanderung anpassen? (Friedrich Huber, 61, Leonding)
Okay. Schöne Grüße nach Oberösterreich! Das ist eine große Frage für 90 Sekunden. Frage der Zuwanderung: Wir müssen dringend Arbeitsmigration trennen von Asyl. Das Asylsystem wollen wir auf europäische Beine stellen, gemeinsam. In Österreich wollen wir Verfahren in 180 Tagen erledigt haben. Wer einen negativen Bescheid hat, der muss gehen, ohne Wenn und Aber, da muss der Staat viel entschlossener sein.
Wer einen positiven Bescheid hat - rasche Integration. Das heißt natürlich auch im Bildungssystem, da würden wir auch Brennpunktschulen unterstützen mit Zusatzbudgets, unser sogenannter Chancen-Bonus. Rasch Deutsch, rasch Arbeit, rasch auf eigenen Beinen stehen, dass sie selber auch sich erhalten können und einzahlen ins System.
Bei der Arbeitsmigration setzen wir die Rot-Weiß-Rot-Card neu auf, nicht jeder kann kommen, wie er will, sondern Österreich sucht sich das selbst aus bei der Arbeitsmigration. So wie Kanada beispielsweise, und das machen wir entlang des Bedürfnisses des Arbeitsmarktes. Das heißt, dort, wo wir Mangelberufe haben, holen wir auch in der Regel hochqualifizierte Kräfte punktuell und entschlossen aus dem Ausland. Das funktioniert derzeit nicht, es sind nur ungefähr 2.000 Leute, die wir da schaffen pro Jahr über die Rot-Weiß-Rot-Card. Völliger Rohrkrepierer, müssen wir neu organisieren.
Könnten Sie bitte die Idee des Bürgergeldes (BG) näher beschreiben? Einerseits wird im NEOS-Programm von einer „Sozialen Grundsicherung für alle Bedürftigen“ geredet, andererseits schreiben Sie: „Das BG beruht auf dem Prinzip der negativen Einkommenssteuer (...) wer kein oder nur geringes Einkommen bezieht, erhält BG.“ Zweiteres klingt nach einem bedingungslosen Grundeinkommen nach dem Gießkannenprinzip. Wie wird die Bedürftigkeit ermittelt? Und wie funktioniert das BG bei Pensionsbezug? (Benedikt Ebli, 36, Gratwein-Straßengel)
Ja, die Kernidee des Bürgergeldes ist, dass wir sagen, wir wollen ein Netz nach unten spannen. Niemand soll unter der Brücke schlafen in Österreich, erstens. Und zweitens ist es ein Sprungbrett zurück in den Arbeitsmarkt. Weil das liberale Bürgergeld, das stoppt nicht an dem Tag, an dem ich wieder Arbeit habe, sondern es schichtet ab, also es phast aus. Das ist die Idee.
Nun, wir können es nicht auf der grünen Wiese bauen, das ist das Problem, weil das Sozialsystem sehr komplex ist und schon da ist. Und deswegen würden wir Schritt für Schritt in die Richtung gehen. Das Pensionssystem würden wir erst sehr spät hier integrieren, in einer späten Phase. Die ersten zwei Schritte sind die Ausdehnung des Arbeitslosengeldes, das derzeit zwischen sechs bis zwölf Monate bezahlt wird, je nachdem, wie alt man ist, das wollen wir auf zwei Jahre ausdehnen, allerdings soll es nach hinten hin abfallend sein.
Dafür entfällt die Notstandshilfe und nach zwei Jahren greift die Mindestsicherung. Die würden wir stärker umschichten in Sachleistungen, nicht so viel Geldleistungen, da ist das Vorbild die Vorarlberger Lösung. Das wären Zwischenschritte. Google - „YouTube und liberales Bürgergeld“ eingeben, dort ist ein Video, dass das noch wesentlich präziser und schöner erklärt, wie ich das jetzt gerade geschafft habe.
Englisch als Amtssprache: Was machen Sie mit den Menschen, die nicht ausreichend (!) Englisch sprechen? Amtsdolmetscher? (Dr. Thunshirn, 56, Wien)
Nein, Frau Thunshirn, danke der Nachfrage. Es soll ja nicht zwingend Englisch sein. Da geht es darum, ich habe davor besprochen dieses Thema Rot-Weiß-Rot-Card. Also wir haben zum Beispiel - in Österreich fehlen uns über 15.000 Leute im IT-Bereich. Österreich ist nicht fähig, die auszubilden. Wir brauchen hochqualifizierte Leute.
So, jetzt gibt es diese Rot-Weiß-Rot-Card. Jetzt kann es sein, dass ich tatsächlich einen Inder hole, die haben sehr viele gute IT-Leute, und sage, ich brauche den unbedingt, weil der stabilisiert hier einen Bereich, der auch Arbeitsplätze schafft, der am Aufblühen ist in unserem Unternehmen, und dann kommen wir drauf, ui, der kann nicht Deutsch. Was für das Unternehmen völlig egal ist, weil der macht seinen Job großartig.
Und ich meine einfach, er soll seinen Papierkram auf Englisch erledigen können. Die Masse der Bevölkerung betrifft das nicht, aber der soll seinen Papierkram auf Englisch erledigen können. Das ist ein bisschen falsch rübergekommen, wir werden das ein bisschen vorsichtiger kommunizieren beim nächsten Mal. Der Sepp Schellhorn ist immer ein bisschen ein Heißsporn in diesen Angelegenheiten und hat das halt auch mit seiner Leidenschaft präsentiert.
ORF.at/Dominique Hammer
Warum will man die Arbeiterkammer „abschaffen“? Sind Ihnen die Anliegen von Arbeitnehmern egal? Viele können sich einen privaten Rechtsschutz nicht leisten. (Carina Krenn, 31, Weer)
Natürlich, an die Carina zurückgespielt, wir wollen die Arbeiterkammer nicht - Carina, hat sie geheißen? Ja. Carina, wir wollen die Arbeiterkammer nicht abschaffen, sondern wir wollen sie nur ins 21. Jahrhundert holen. Die Arbeiterkammer macht derzeit gerade eine Kampagne in Zeitungen gegen zwei Parlamentskräfte, weil wir sie kritisieren. Das geht überhaupt nicht! Der Punkt ist: Jeder von uns zahlt mit, Arbeiterkammerbeiträge, da werden 0,5 Prozent unseres Bruttogehalts abgezogen. Die Leute glauben, sie zahlen nichts, aber sie zahlen ja. Da sind auch zahlreiche befreit, das stimmt.
Ich will starken Arbeitnehmerschutz, ich will aber auch Sozialpartner, die nicht Tintenburgen sind, die sich auch ein Stück weit mit ihren Leistungen bewähren müssen. Das schafft der ÖAMTC, das schafft die Hoteliersvereinigung, das schaffen alle Arbeitnehmervertretungen in Europa außer in Luxemburg und Österreich. Dort gibt es eine Zwangsmitgliedschaft, sonst nirgends. Also, da wird uns viel unterstellt, aber wir sind die Ausnahme, nicht die Normalität, und es funktioniert in anderen Ländern auch mit freiwilliger Mitgliedschaft - auch bei der Gewerkschaft beispielsweise funktioniert es mit freiwilliger Mitgliedschaft.
Sie wollen, dass wir länger arbeiten, also später in Pension gehen. Gibt es so viele freie Arbeitsplätze? Und können ältere Menschen diese Arbeit auch noch ausüben? Was ist mit den Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können? (Anonym)
Jene Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können, die haben immer die Chance für Frühpension. Das muss es auch in Zukunft geben. Dafür haben wir Sozialsysteme, dafür zahlen wir gemeinsam ein. Auch mein Vater musste in Frühpension gehen, weil sein Herz nicht mehr mitgespielt hat, und das war wichtig so, das habe ich auch so erlebt, dass das wichtig ist. Wir wollen das schwedische Modell, die Österreicherinnen und Österreicher entscheiden selbst, Flexi-Pensionsmodell, wann sie gehen ab 61. Das Referenzpensionsalter, also ich bekomme hundert Prozent aus meinem Pensionskonto ausbezahlt, wenn ich mit 65 gehe. Gehe ich früher, habe ich Abschläge, gehe ich später, habe ich mehr.
Was heißt das in Schweden? Mehr Freiheit, Verantwortung hat in Schweden dazu geführt, dass das durchschnittliche Pensionsantrittsalter bei 64 ist und dass es 15 Prozent der Bevölkerung auch nach 65 noch arbeiten - meist nicht full-time. Also Teilpension wollen wir auch einführen, und die machen das, weil sie auch Freude an der Arbeit haben. Ich war in Schweden, ich war beim Botschafter, habe gefragt, machen die das fürs Geld? Sagt er: Solche wird es auch geben, aber die meisten freiwillig, weil sie sagen, Arbeit ist auch etwas Erfüllendes.
Wir sollten aufhören mit dem Gedanken, Arbeiten bis zum Herzinfarkt, und dann über Nacht kommt das Paradies. Das ist doch elend, oder, dass wir im Elend leben 40 Jahre, und dann kommt das Paradies. Weder ist die Pension das Paradies noch ist Arbeit nur blöd. Ja, es ist auch eine Belastung, nicht jeder hat einen super Job, und wir müssen schauen, dass Arbeitsplätze wachsen. Da hat niemand mehr und bessere Konzepte wie NEOS. Also ich war selber auch Unternehmer, habe Arbeitsplätze geschaffen, das unterscheidet mich von anderen Spitzenkandidaten, die entweder in Staatsbetrieben Arbeitsplätze abgebaut haben oder ansonsten maximal acht Wochen Praktikum hatten, irgendwo, irgendwann. Ich glaube, da können wir viel einbringen.
Welche Regierungskonstellation (die irgendwie realistisch ist) wäre Ihnen am liebsten? Sehen Sie NEOS auch als Kraft, die regieren kann, oder grundsätzlich eher als Oppositionskraft? (Mathias Johannes Schmidhammer, 26, Wien)
Wird mir oft gestellt die Frage in diesen Tagen. Danke Mathias Schmidhammer, danke für Frage. Also wir können beide Rollen wahrnehmen. Wichtig ist, dass wir wachsen. Wir wollen ein ordentlicher Stachel im Fleisch dieses alten, eingefahrenen Systems sein. Ich habe auch das Gefühl, die brauchen das dringend, auch diese vermeintlich jetzt neu lackierte Bewegung braucht eine Bewegungshilfe. Wenn der Herr Kurz nicht unseren Atem in seinem Nacken spürt, dann biegt er regelmäßig falsch ab oder bewegt sich erst gar nicht. Und deswegen müssen wir wachsen.
Opposition können wir, das haben wir bewiesen, und für Regierung sind wir dann bereit, wenn unsere Themen hier auch in einem Regierungsprogramm verankert sind: Bekenntnis zu Europa und einer ganz aktiven Rolle in der Europäischen Union, sinkende Steuerabgabenquote, den Menschen muss mehr Geld in der Geldtasche bleiben, Bildungswende, Schulen müssen besser werden, Kindergärten, die Kinder in den Mittelpunkt, Parteienfinanzierung muss sinken, nicht steigen, solche Dinge. Mit der FPÖ geht es sich nicht aus, mit allen anderen geht es sich aus. Es gibt jetzt so eine Initiative, eine Dirndl-Initiative Schwarz-Pink-Grün von zivilgesellschaftlichen Akteuren - finde ich ganz spannend.