Bundeskanzleramt als Zuckermodell

ORF.at/Gerald Heidegger

„Vor mir lag eines der schönsten Stadtbilder, das ich kenne“

Anfang des 18. Jahrhunderts von Johann Lukas von Hildebrandt als „Geheime Hofkanzlei“ erbaut, hat das heutige Bundeskanzleramt bis zum Ende der Monarchie als k. u. k. Außenministerium gedient. Der Ballhausplatz war damit auch Ausdruck des Selbstverständnisses, mit dem sich der Vielvölkerstaat auf der Weltbühne bewegte. Spätestens mit der Proklamation der Ersten Republik kam dieser Anspruch zu einem Ende.

Am 12. November 1918 riefen Franz Dinghofer und Karl Seitz als Vertreter der Provisorischen Nationalversammlung vor dem Parlament am Wiener Ring die Republik Deutschösterreich aus: Die Geburtsstunde des Österreichs der Zwischenkriegszeit. 150.000 Menschen hatten sich an jenem November-Tag vor dem Parlament versammelt.

Zur gleichen Zeit saß einer der letzten Verwalter des Habsburger-Reiches in seinem Schreibzimmer am Ballhausplatz. Ludwig Freiherr von Flotow war Anfang November 1918 zum „liquidierenden“ k. u. k. Außenminister eingesetzt worden. Seine primäre Aufgabe: die Auflösung der Botschaften, Gesandtschaften und Konsulate im Ausland und des Ministeriums in Wien. In Flotows Erinnerung fließen das Ende des Alten und der Beginn des neuen zur ästhetischen Beobachtungen zusammen.

Topografie der Macht

„Vor mir lag eines der schönsten Stadtbilder, das ich kenne. Links das düstere Profil der Hofburg, der weite Heldenplatz mit dem Äußeren Burgtor, darüber die wohlgeformten Kuppeln der beiden Hofmuseen. Vor mir der Volksgarten, aus dessen Gewirr kahler Bäume der Theseustempel hervorragte, jenseits des Gartens die gräzisierende Silhouette des weitausladenden Parlamentsgebäudes, weiter rechts das Burgtheater und dahinter der mächtige gotische Bau des Rathauses“, schrieb Flotow rückblickend über den 12. November 1918 - und zeichnete dabei zugleich eine Topografie der neuen und gleichsam brüchigen Machtverhältnisse in der Bundeshauptstadt.

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