Wahlkampf von der Regierungsbank
Manchmal geht es extra schnell - und dann bestätigt die Ausnahme die Regel: Im August beschlossen SPÖ und ÖVP eine deutliche Erhöhung der niedrigen und mittleren Pensionen. Bis zu 2,2 Prozent mehr gab es für Österreichs Pensionistinnen und Pensionisten. Bei der Opposition witterte man ein Wahlzuckerl; eine Einschätzung, der sich auch mancher Medienbericht anschloss.
Debatte: NR-Wahl: Welche Inhalte entscheiden?
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) war über ein solches Urteil naturgemäß wenig erfreut. Man müsse in der „journalistischen Debatte“ etwas aufpassen, sagte der Kanzler bei der Präsentation nach dem Ministerrat. Was er dabei unerwähnt ließ: Sein Sozialminister Alois Stöger hatte zuvor keine Probleme, den aktuellen SPÖ-Wahlslogan zu bemühen. Die Pensionisten „haben bekommen, was ihnen zusteht“, kommentierte Stöger den Beschluss.
Das große Bündel des Sozialministers
Der Sozialminister war in den vergangenen Wochen überhaupt besonders fleißig mit neuen Ideen, Forderungen und Projekten unterwegs. Ende August brachte er etwa das Thema Bankomatgebühren erneut aufs Tapet. Ein Gesetzesentwurf aus dem Jahr 2016 schaffte es doch noch in Begutachtung. Das Gesetz soll Behebungsgebühren einen Riegel vorschieben. Die Erfolgschancen für den Vorschlag sind allerdings überschaubar. Bereits vor einem Jahr hatte sich Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) gegenüber solchen Plänen quergestellt.

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Sozialminister Stöger trug in den vergangenen Tagen und Wochen ein ganzes Bündel an Plänen in die Öffentlichkeit
Kaum besser sieht die Lage bei Stögers Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für Gruppenklagen aus. Gemeinsam mit Infrastrukturminister Jörg Leichtfried (SPÖ) verkündete Stöger, an einer Umsetzung noch vor der Wahl zu arbeiten. Und tatsächlich steht das Projekt im 2013 geschlossenen Regierungsübereinkommen. Die bisher letzte von ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter eingesetzte Arbeitsgruppe beendete ihre Arbeit allerdings ohne Ergebnisse. Es wird also vorerst beim Vorhaben bleiben.
Zeitgerechtes „Vorhabenspapier“
Über diesen Status nicht hinauskommen wird bis zur Wahl auch die Forderung von ÖVP-Obmann und Außenminister Sebastian Kurz nach einer Strafverschärfung bei Gewaltdelikten. Auch wenn Justizminister Brandstetter versprach, das entsprechende „Vorhabenspapier“ werde zeitgerecht fertig, und ein Monat später ankündigte, dass er in das „Gesamtpaket“ auch noch Maßnahmen gegen islamische Vereine und Doppelstaatsbürgerschaften aufgenommen habe.
Wie für viele der Forderungen der vergangenen Wochen gilt: Als Grundbedingung für die Umsetzung müssen die jeweiligen Ministerinnen und Minister sich auch nach der Wahl wieder in der Regierung finden. Sei es Stögers und Leichtfrieds Unterstützung für einen Gratisführerschein für Lehrlinge, Leichtfrieds Idee eines „Öffi“-Fonds für Österreichs Städte oder der bereits Ende August vom Infrastrukturminister angekündigte Plan, den Gemeinden künftig zehn Mio. Euro für „Mikro-Öffis“ zu Verfügung zu stellen.
Langzeitprojekte und terminliche Vorgaben
Als Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) Ende August die Gratismundhygiene für Jugendliche ankündigte, war ebenso klar, dass dieser Plan erst in der kommenden Legislaturperiode umsetzbar wäre. Die 5.000 zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrer, die Unterrichtsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) für „Schulen mit besonderen Herausforderungen“ in Aussicht stellte, wird es auch ganz sicher nicht mehr vor der Wahl geben. Und der Bundesheer-Hubschrauber aus Österreich - ein Wunsch von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) - wäre ohnehin ein Langzeitprojekt.
Schon allein terminlich erst nach die Wahl fällt eine Ankündigung von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP): das Festhalten an den außerordentlichen Grenzkontrollen. Die Sonderregelung der EU läuft erst am 11. November aus - rund einen Monat nach der Nationalratswahl. Die Forderung teilt Sobotka aber immerhin mit der SPÖ-Regierungsseite.
Eine Runde Schwarzer Peter
Anders sieht es da bei einem weiteren Projekt des Innenministers aus. Dass das Sicherheitspaket wie ursprünglich geplant noch vor der Wahl beschlossen wird, scheint vom Tisch zu sein. Der „linke Flügel“ habe sich „leider durchgesetzt“, die Gesetzesänderungen würden „in dieser Periode nicht mehr“ kommen, so Sobotka Anfang September.

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Sobotkas Sicherheitspaket dürfte sich bis zur Wahl nicht mehr ausgehen
Die Schuld lag für den Innenminister bei der SPÖ, der er „Wahlvorbereitung“ vorwarf. Vice versa unterstellte die Kanzlerpartei der ÖVP ganz ähnliche Motive. Das Thema „darf nicht in den Wahlkampf gezogen werden“, es brauche ein sauberes Gesetz, hieß es von Doskozil.
Das Vorhaben mag damit erst einmal geplatzt sein. Für die beiden Regierungsparteien birgt das Scheitern aber immerhin eine Möglichkeit: dem Koalitionspartner jeweils den Schwarzen Peter zuzuschieben. Auch das kann eine Form des Wahlkampfs von der Regierungsbank aus sein.
Martin Steinmüller-Schwarz, ORF.at