Bild des aufgeschlagenen Kapitels 86 aus dem Mann ohne Eigenschaften

ORF.at

„Gebildete Bummler, wenn sie nachts vorbeikamen, faßte Schauer an“

„Die Fenster des schönen alten Palais am Ballhausplatz, wo Sektionschef Tuzzi waltete, warfen oft noch spät abends Licht in die kahlen Bäume des gegenüberliegenden Gartens, und gebildete Bummler, wenn sie nachts vorbeikamen, faßte Schauer an“, schreibt Robert Musil im Kapitel 86 seines „Mannes ohne Eigenschaften“, das den Untertitel trägt: „Alle Wege zum Geist gehen von der Seele aus, aber keiner führt zurück.“

Im „Mann ohne Eigenschaften“ ist es Sektionschef Tuzzi, der im Ballhausplatz „waltet“. In der Vorbereitung der Parallelaktion, wir schreiben das fiktive Jahr 1913, tun sich Risse auf zwischen der österreichischen Welt der Administration und dem um sich greifenden deutschen, vulgo preußischen Gestaltungswillen. Tuzzis Gegenspieler ist Dr. Arnheim, in der Mitte: Ulrich, der Mann ohne Eigenschaften - und zahlreiche auch amouröse Verstrickungen.

Dass Musil eine eingehende Kenntnis des Ballhausplatzes hatte, liegt an seiner Biografie. Musil kam auf Empfehlung des zweiten Außenministers der Ersten Republik, des Sozialisten Otto Bauer, in den Pressedienst des Staatsamtes des Äußeren. Bauer, der, wie er selbst schrieb, Bedenken hatte, das alte diplomatische Personal zu verwenden, „weil wir dann als Fortsetzung der alten Monarchie erschienen würden“, fand damals schwer geeignete Leute. Mit Musil traten damals Hans Kelsen, Otto Pohl und der Ökonom Richard Schüller in den Dienst am Ballhausplatz.

Der Ballhausplatz und die „apokryphe Gegenregierung“

In voller Länge liest sich der Abschnitt zum Ballhausplatz so:

„Die Welt wurde damals von allerlei erschüttert, und wer gegen das Ende des Jahres neunzehnhundertdreizehn gute Nachrichten besaß, hatte das Bild eines kochenden Vulkans, wenn auch die von der friedlichen Arbeit ausgehende Suggestion, dieser könne niemals wieder ausbrechen, allgemein war. Sie war nicht allgemein gleich stark. Die Fenster des schönen alten Palais am Ballhausplatz, wo Sektionschef Tuzzi waltete, warfen oft noch spät abends Licht in die kahlen Bäume des gegenüberliegenden Gartens, und gebildete Bummler, wenn sie nachts vorbeikamen, faßte Schauer an. Denn so wie der heilige Josef den gewöhnlichen Zimmermann Josef durchdringt, durchdrang der Name »der Ballhausplatz« den dort stehenden Palast mit dem Geheimnis, eine des halben Dutzends mysteriöser Küchen zu sein, wo hinter verhängten Fenstern das Geschick der Menschheit bereitet wurde. Dr. Arnheim war von diesen Vorgängen ziemlich gut unterrichtet. Er erhielt chiffrierte Depeschen und von Zeit zu Zeit den Besuch eines seiner Beamten, der mit persönlichen Informationen aus der Zentrale kam, die Fenster seiner Hotelwohnung waren auch oft in Front erleuchtet, und ein einbildungskräftiger Beobachter hätte glauben können, hier nächtige eine zweite, eine Gegenregierung, eine moderne apokryphe Kampfanlage der wirtschaftlichen Diplomatie.“

Link: