„Die Zukunft ist weiblich“
ORF.at: We need to disagree. Wieso?
Daniel Ebner: Wir sind wenig glücklich darüber, wie sich die aktuelle politische Situation in Österreich und auch in der EU darstellt. Es gibt eine Spaltung im politischen Diskurs, eine Polarisierung - aber gleichzeitig kaum Lust am Streiten, Argumentieren, am Zuhören, daran, sich Gedanken zu machen über die Argumente der anderen Seite.
We need to disagree - das ist eine schöne englische Phrase, in zweierlei Hinsicht. Erstens heißt disagree Widersprechen - also der Versuch, einem bestimmten Punkt der Entwicklung entgegenzutreten. Sprich: Wir wollen da nicht mehr mitmachen. Es gibt in Österreich einen politischen Abbau sozialer Errungenschaften und eine deutliche Verschiebung im öffentlichen Diskurs nach rechts, inklusive Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus. In diesem Sinne: We need to disagree.
Gleichzeitig müssen wir - die zweite Bedeutung der Phrase - die politische Debatte wieder starten; Möglichkeiten schaffen, dass wir miteinander diskutieren, im besten Fall aufeinander eingehen, Kompromisse finden - die nicht nur wenigen nützen, sondern der breiten Masse.
ORF.at: Und wie manifestiert sich das im Programm?
Ebner: Es gibt vier kuratierte Programme bei uns zum Thema. Einmal über 1968, kuratiert von der Berlinale. Die Filme von damals machen Diskurse ihrer Zeit sichtbar, die wir auch in drei weiteren Programmen finden, die die Gegenwart abbilden. Ein Programm aus Glasgow, dass sich mit Großbritannien nach dem Brexit beschäftigt; ein Programm aus Barcelona über Katalonien und das Referendum und ein Programm, das sich stark mit nationalistischen Strömungen in Österreich und der EU auseinandersetzt. Auch durch das Rahmenprogramm, etwa bei der Diskussion am Sonntag im MuseumsQuartier, zieht sich die Frage wie ein roter Faden.
ORF.at: Jetzt gibt es das Festival seit 15 Jahren - und es hat sich vom Studentenprojekt zum Oscar-qualifying-Festival gemausert. Was war dafür nötig?
Ebner: . Wir haben in der Zeit sicher viele Fehler gemacht, aber dann jeweils daraus gelernt und diese Dinge im Jahr darauf dann besser gemacht. Wir wussten damals noch nicht so genau, was wir tun, taten es aber mit Leidenschaft.
Dann folgte die Professionalisierungsphase, nachdem wir gemerkt hatten, dass das Projekt immer besser funktionierte und erfolgreich wurde. Da stiegen dann die Ansprüche an uns selbst - und auch das Arbeitspensum. Wir zogen eine Organisations- und Programmreform durch, führten klare Strukturen ein und bauten die einzelnen Abteilungen aus.
Seit 2015 sind wir nun in der Phase der Konsolidierung, nicht zuletzt seit der Aufnahme ins EU-Förderprogramm und der Ernennung zum Oscar-qualifying Festival 2016. Die Begehrlichkeiten an uns sind damit gewachsen - und damit auch der Aufwand. Es geht jetzt noch viel mehr darum, einen Jahresbetrieb für einige Mitarbeiter aufrechtzuerhalten und eine bessere Bezahlung zu ermöglichen. Das Prekariat ist ja nicht nur bei uns so, sondern im Festival-Business überhaupt weit verbreitet.
Das ist auch der Grund, warum wir eine Diskussion dazu starten wollen – Fair Festival Work. Festivals sind immerhin eine Notwendigkeit, sie spielen eine wesentliche Rolle im Kulturbereich. Wir haben im Zuge der Konsolidierung grundsätzlich alle unsere Mitarbeiter angestellt - aber eine faire Entlohnung sieht definitiv anders aus. Da stoßen wir finanziell leider an unsere Grenzen.
Wenn man professionelle Menschen halten und längerfristig beschäftigen will, muss man mehr bieten, als wir können. Das sind ja hochspezialisierte und wahnsinnig stressige Jobs. Und so ein Festival funktioniert dann gut, wenn Menschen das über viele Jahre machen, viele Sprachen sprechen, wissen, wie der Apparat funktioniert. Wir beschäftigen mittlerweile knapp 100 Menschen in der Festivalwoche, davon nur drei das ganze Jahr über.
ORF.at: Wo soll das Geld herkommen, wenn man das Festival weiter professionalisieren will?
Ebner: Wir müssen die Stadt Wien und den Bund stärker in die Pflicht nehmen. Der öffentliche Anteil am Gesamtbudget liegt bei nicht einmal 40 Prozent - viel zu wenig im Vergleich mit anderen Kulturveranstaltungen und vor allem im internationalen Vergleich. Da gibt es einen großen Aufholbedarf. Dabei spüren wir durchaus auch Vertrauen in das, was wir tun - nur finanziell spiegelt sich das nicht wirklich wider! Wir hoffen auf die neue Kulturstadträtin in Wien, weil sie aus dem Festivalbereich kommt, sich gut auskennt im zeitgenössischen Bereich und deshalb hoffentlich eine gute Ansprechpartnerin für Festivals wie unseres ist.
ORF.at: Und wie sieht es mit privater Finanzierung aus?
Ebner: Wir machen einiges in diese Richtung, u.a. mit kommerzielleren Programmangeboten unterm Jahr wie das Cat Video Festival Vienna. Wir vermitteln auch Auftragsproduktionen an junge Filmschaffende, was gut funktioniert. Das sind nicht klassisch kommerzielle Produktionen, sondern künstlerische. Und das sind schon alles schöne Projekte, die aber nicht die Basisabsicherung des Festivals sein können.
Wir sind aber insgesamt dabei, uns stärker auf privates Engagement zu fokussieren – und das funktioniert ganz gut, es ist der am stärksten gewachsene Bereich. Jetzt hat die öffentliche Hand Nachholbedarf. Es heißt: Wenn der Boden gut aufbereitet ist, sprich, wenn die Saat da ist – und die muss von Stadt und Bund kommen – ist es um einiges leichter, Sponsoren und private Geldgeber zu überzeugen.
ORF.at: Welchen Stellenwert hat der Kurzfilm heute in Österreich – und auch international? Was hat sich da in den letzten 15 Jahren verändert?
Ebner: International hat sich wahnsinnig viel getan. Fast alle großen Festivals haben eigene Akademien, Ausbildungszentren integriert - die Berlinale, Locarno, Sarajewo; es geht um die Frage, wie kann man neue Talente suchen, wie kann man die früh abholen und einer Karriere zuführen? Diese Karriere muss dann auch nicht zwingend zum Langfilm führen - sie kann auch im Kurzfilmbereich bleiben.
International hat eine unglaubliche Verstärkung des Formats Kurzfilm stattgefunden. Österreich hat das ziemlich verschlafen. Aber immerhin gibt es auch einen Österreichischen Filmpreis für den besten Kurzfilm, was wichtig ist für die Aufmerksamkeit.
Dass Jannis Lenz für den Europäischen Filmpreis nominiert war oder Patrick Vollrath nach seiner Oscar-Nominierung jetzt eine große US-Produktion gemacht hat, das geht in der Öffentlichkeit ziemlich unter. Man muss darüber reden, dass viele Player leider wenig Interesse daran haben, sich für den Kurzfilm einzusetzen. Die Austrian Film Commission sagt zum Beispiel: Wir interessieren uns nicht für Kurzfilme. Es ist halt schwierig, wenn man nicht einmal versucht, das internationale Netzwerk anzuzapfen.
Da ist man am falschen Dampfer. Die kurze Form firmiert nicht mehr unter „ferner liefen“. Die Möglichkeiten für den Kurzfilm sind immer umfangreicher geworden - auf Online-Plattformen, am Handy, am Laptop, in der U-Bahn - wir sind ständig mit kurzen Formen konfrontiert. Man muss stärker ins Bewusstsein rufen, dass der Kurzfilm das Medium unserer Zeit ist und jenes Medium, in dem fast alles heute transportiert wird. Es wäre ein großes Versäumnis, das zu ignorieren.
ORF.at: Eine Frage, die kein Festivalleiter gerne hört: Wenn Sie selbst bei den Vienna Shorts nur in ein einziges Programm gehen dürften, welches wäre das?
Ebner: Das wäre in diesem Jahr im Filmmuseum das Programm zu Chick Strand, eines der drei Programme, die Mark Toscano von der Oscar Academy kuratiert hat- Chick Strand ist eine kalifornische Filmemacherin, die in den 60er und 70er Jahren so etwas wie eine Vorreiterin war im avantgardistischen, psychedelischen Film - sehr poetisch, sehr politisch, eine großartige Frau, deren Arbeit bisher kaum in Österreich zu sehen war. Wir zeigen es erstmals in seiner Gesamtheit. Das würde ich mir nicht entgehen lassen.
ORF.at: Es gibt im Wettbewerb einen Überhang weiblicher Regiseurinnen. Das ist ungewöhnlich. Wie ist es dazu gekommen? War das ein bewusster Prozess – oder ist es einfach passiert?
Ebner: Im Österreich-Wettbewerb ist das Verhältnis 50/50, im internationalen Wettbewerb machen Frauen sogar 60 Prozent aus. Ich glaube, das hängt mit mehreren Faktoren zusammen. Wir sind sicher mehr sensibilisiert durch die Diskussionen der letzten Jahren. Gleichzeitig hatten wir in beiden Wettbewerben Programmleiterinnen – beim internationalen Wettbewerb sogar eine Doppelspitze. Das spielt natürlich eine Rolle im Auswahlprozess. Ich selbst war auch involviert, aber ich merke, dass die weibliche Beteiligung noch einmal eine andere Diskussion aufmacht, einen anderen Blick ermöglicht.
Man muss weiter über die Ungleichbehandlung öffentlich diskutieren. Filmfördergremien sind oft männlich besetzt, überhaupt sind die meisten Entscheidungsträger in der Branche Männer. Frauen tun sich deshalb schwerer, durchzukommen, sie stoßen an eine gläserne Decke.
ORF.at: Dass es so viele gute Kurzfilme von Frauen gibt, die sehr jung sind - macht das Hoffnung für die Zukunft?
Ebner: Auf jeden Fall: Die Zukunft ist weiblich - weil wir merken, dass eine viel größere Dringlichkeit in den Werken von jungen Frauen steckt. Es gibt da tatsächlich einen anderen Zugang und den unbedingten Wunsch, sich stärker zu positionieren, um das momentane Unverhältnis auszugleichen.
Das Gespräch führte Simon Hadler, ORF.at
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