Wenn Väter es verbocken
Dass Georg Friedrich längst nicht nur den Wiener Vorstadtstrizzi kann, hat er bereits mehrfach bewiesen, auch wenn er zuletzt in genau dieser Rolle wieder geglänzt hat - in Michael Glawoggers und Michael Ostrovskis „Hotel Rock’n’Roll“ und Josef Haders „Wilde Maus“. Doch nun ist er ganz weit weg vom Goschertsein, als der bärbeißige Bauingenieur Michael, der in Berlin lebt, als ihn die Nachricht vom Tod seines Vaters erreicht.
Ein komischer Kerl, ein Eigenbrötler war dieser Vater gewesen, unnahbar. Und die letzten paar Jahre seines Lebens hat er sich sogar ganz zurückgezogen, in ein abgeschiedenes Holzhaus, irgendwo im großen Wald von Norwegen. Dorthin macht sich der Sohn auf den Weg - und hat seinerseits den eigenen Sohn Luis mitgenommen. Der fünfzehnjährige Luis wird von „Tschick“-Star Tristan Göbel - hervorragend - gespielt.
Filmhinweis
„Helle Nächte“ läuft bei der Viennale am Samstag, dem 21. Oktober, um 15.30 Uhr im
Gartenbaukino und am Sonntag, dem 22. Oktober, um 20.30 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus.
Maulfaule Männer
Ein anderer Bauingenieur hat einmal gesagt: „Alleinsein ist der einzigmögliche Zustand für mich.“ Das war Max Frischs Homo Faber. Und ein wenig wirkt auch Michael wie ein von der (Gefühls-)Welt entfremdeter Homo Faber, wenn er mit seinem Sohn quer durch Norwegen fährt, einem Sohn, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Wie kann man da plötzlich wieder andocken? „Spielst du noch im Verein?“ - „Nein.“
Auf den unsicheren Vater reagiert ein bockiger Sohn. Es liegt etwas in der Luft, die Spannung ist greifbar. Die Landschaft im Norden Norwegens und das wuchtige Wummern der basslastigen Sounds sorgen für zusätzliche Dramatik. Man hat dauernd Angst vor der Eskalation: Bricht aus der Friedrich-Figur doch wieder der Vorstadtganove? Wird er seinem Sohn eine knallen? Oder fallen sie einander in die Arme? Das Spiel von Friedrich und Göbel lässt beides möglich erscheinen, in jeder Minute des Films.
Das Zwiebelprinzip der Vater-Sohn-Beziehung
Michael erklärt seinem Sohn am Lagerfeuer das „Zwiebelprinzip“: „T-Shirt oder Hemd, Fleecepulli, regendichte Windjacke.“ So sei man wettertechnisch gewappnet, komme, was wolle. Können die beiden sich ihrer „Zwiebelschichten“ entledigen? Luis findet das Prinzip nicht so toll, da sehe man ja aus wie ein Rentner. „Sehe ich aus wie ein Rentner?“, fragt Michael. „Schon“, antwortet Luis lapidar und erntet dafür ein Lächeln seines Vaters. Es ist das erste seit Jahren. Das Eis scheint gebrochen - aber nur für einen kurzen Moment.

Viennale
Was geht in diesen Köpfen vor? Man erfährt es tröpfchenweise.
Filmografie Thomas Arslan
Die Berlin-Trilogie:
1997: „Geschwister – Kardesler“ (Drehbuch, Schnitt, Regie)
1999: „Dealer“ (Drehbuch, Regie)
2001: „Der schöne Tag“ (Drehbuch, Regie, Produzent)
2006: „Aus der Ferne“ (Drehbuch, Produzent, Regie, Sprecher, Kamera)
2007: „Ferien“ (Drehbuch, Regie, Produzent)
2010: „Im Schatten“ (Drehbuch, Regie)
2013: „Gold“ (Drehbuch, Regie)
2017: „Helle Nächte“ (Drehbuch, Regie)
Schließlich will Michael doch reden. Darüber, warum er sich jahrelang nicht blicken hat lassen. Dieser Wunsch der Väter, die es verbockt haben - man weiß nie, woher er kommt. Geht es darum, sich dem Gegenüber zu erklären, damit es dem Gegenüber besser geht? Oder geht es um Absolution, damit man es selbst wieder mit sich aushält? Beides gleichzeitig ist möglich, eine familiäre Win-win-Situation sozusagen. Oder nichts von beidem. Es hängt von den Intentionen des Senders und des Empfängers ab. Arslans Kunst ist es, diese beiden Komponenten bis zuletzt offenzulassen.
„Universum“-Doku aus der Gefühlswüste
Man beobachtet die Entwicklung - oder Nichtentwicklung - der Beziehung der beiden fasziniert, als würde man einer „Universum“-Doku folgen. Bei Tieren weiß man auch nie, was als Nächstes passieren wird. Das Allzumenschliche bricht sich jedoch Bahn gegen Ende.
Die epische Breite der Landschaft und die maulfaulen Protagonisten, dazu das Campen im Wald; „Helle Nächte“ wirkt mitunter wie ein Western: „Spiel mir das Lied vom Tod“ - oder zumindest von der Vergänglichkeit, die nur dann kurz innehält, wenn echte Begegnungen stattfinden. So einen Moment kann man im Kino erleben.
Simon Hadler, ORF.at