Viennale-Bilanz: Qualität statt Quantität
Nach 98.200 im Jahr 2014 zählte das diesjährige Festival 94.100 Besucher. Hurch dazu: „Die Viennale war auch in diesem Jahr wieder ein besonderer Beweis für die Vielfalt und Qualität sowohl des österreichischen als auch internationalen Kinos. Dass die Besucherzahlen von Jahr zu Jahr nicht beliebig zu steigern sind, ist wahrscheinlich für niemanden eine Überraschung. Wichtig scheint es uns aber, die spezifische Besonderheit der Viennale, nämlich zugleich Stadt- und Publikumsfestival sowie international anerkanntes Filmereignis zu sein, auch in Zukunft weiterzuentwickeln.“
Verbotene Liebe in Rot
Der Eröffnungsfilm der Viennale war heuer Todd Haynes’ 50er-Jahre-Melodram „Carol“, das von der verbotenen Liebe zwischen einer wohlhabenden Ehefrau und einer jungen Verkäuferin erzählt. In den Hauptrollen schlürfen Cate Blanchett und Rooney Mara unzählige Martinis, rauchen ständig Zigaretten – und leuchten dabei vor Eleganz. Der Film läuft in Österreich am 18. Dezember an. Mehr dazu in Verbotene Liebe in Rot.

Wilson Webb / Filmladen
„Wenn du glaubst, es kann nicht schlimmer werden, sind die Zigaretten alle“: Carol (Blanchett) ist zugleich tough und verletzlich
Kein Mensch ist eine Insel
Preise der Viennale
Mit dem Wiener Filmpreis wurden „Lampedusa im Winter“ von Jakob Brossmann, sowie „Ich seh Ich seh“ von Veronika Franz und Severin Fiala ausgezeichnet. Mehr dazu in Preisregen auf der Viennale.
Das Kino brauchte oft Jahre, um auf historische Ereignisse zu reagieren: Mit digitalem Werkzeug geht es inzwischen schneller. Zwei sehenswerte Dokumentarfilme porträtieren die Menschen hinter den Schlagzeilen: „Coma“ verschanzt sich mit drei Frauen im umkämpften Damaskus. „Lampedusa im Winter“ verbringt viel Zeit auf der Insel, über die alle geschrieben haben, ohne sie richtig zu kennen. Der Film läuft in Österreich am 11. November an. Mehr dazu in Kein Mensch ist eine Insel.

Viennale
„Lampedusa im Winter“ ist nicht auf die schnellen Kontraste - Inselromantik versus Flüchtlingsleid – aus
Menschen sind schlecht
Michael Almereyda, bekannt für seinen „Hamlet“ mit Ethan Hawke in der Hauptrolle, hat sich nun des Milgram-Experiments angenommen. Am Anfang stand das Entsetzen nach dem Ende der Nazi-Herrschaft: Wie konnte es zum Holocaust kommen? Die Ergebnisse des drastischen Experiments führten zu heftigen Debatten. In den Hauptrollen des Films sind Peter Sarsgaard und Winona Ryder zu sehen. Der Film hat in Österreich noch keinen fixen Starttermin. Mehr dazu in „Experimenter“: Menschen sind schlecht.

Viennale
Stanley Milgram, knochentrocken gespielt von Peter Sarsgaard
Ein Mädchen und sein Monster
Schnell, laut, superseltsam: „Der Nachtmahr“, ein Techno-Monsterfilm des Berliner Regisseurs Akiz, hat das Zeug zum Kult. Was als Gruselstory beginnt, wandelt sich zum einfühlsamen Coming-of-Age-Drama mit überraschendem Ausgang. Der Film hat in Österreich noch keinen fixen Starttermin. Mehr dazu in Das Mädchen und sein Monster.

Viennale
Auf das Feiern folgt der Horrortrip - mit einem ungefährlichen Monster
Auf Partnersuche im Tinder-Zeitalter
Vor ihr laufen die Männer schreiend davon: Spieleprogrammiererin Phoebe lässt ihren Körperfunktionen ungeniert freien Lauf und hat eine Obsession mit der Körperbehaarung ihrer Partner. Doch was ist schon „normal“? „Female Pervert“ stellt diese Frage augenzwinkernd in den Raum und rüttelt damit an eingefahrenen Geschlechterrollen. Der Film hat in Österreich noch keinen fixen Starttermin. Mehr dazu in Auf Partnersuche im Tinder-Zeitalter.

Viennale
Phoebe (Jennifer Kim) und Teilzeitveganer und -Yogi Allen (Joshua Mikel) beim gemeinsamen Picknick: kein Traumpaar
Und die Moral ist die Geschicht’
„A Most Violent Year“ ist ein breit ausgerollter Mafia- und Wirtschaftsthriller, der mit Jessica Chastain und Oscar Isaac in den Hauptrollen zu Recht zu den publikumswirksamsten Highlights der diesjährigen Viennale zählte. Das Gartenbaukino lud gleich dreimal zur Zeitreise ins New York der frühen 80er Jahre. Der Film hat in Österreich noch keinen fixen Starttermin. Mehr dazu in Und die Moral ist die Geschicht’.

Viennale
Jessica Chastain war für ihre Darstellung der Anna bei den Golden Globes nominiert
Aufdeckerjournalismus auf Oscar-Kurs
Im Jahr 2001 deckte ein Journalistenteam des „Boston Globe“ einen großangelegten Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche auf, der seit den 1970ern zahllose Opfer forderte und systematisch vertuscht wurde. Tom McCarthys „Spotlight“ beleuchtet den Entstehungsprozess dieser Geschichte und schafft es, auch ohne Sensationsgier zu fesseln. Der Film wird in den USA zu Recht bereits als Oscar-Kandidat gehandelt. Österreichischer Filmstart ist voraussichtlich im Februar 2016. Mehr dazu in Aufdeckerjournalismus auf Oscar-Kurs.

Viennale
Das „Spotlight“-Team wird mit langfristigen Recherchen großer Themenkomplexe betraut
Nanni Moretti und das Gesetz der Mutter
14 Jahre nach „La Stanza del Figlio“ nimmt Nanni Moretti mit „Mia Madre“ nochmals die letzte Lebensetappe im Spielfilmformat in den Blick. Der Abschied von der todkranken Mutter bringt eine Familie zwangsweise zusammen. Alte Rollenmuster kollidieren am Krankenbett, das Gesetz der Mutter kommt ins Wanken. Und doch offenbart der Moment der Verunsicherung eindringliches, bezauberndes Kino, das sich, stur wie eh und je bei Moretti, dem großen Moment verweigert. Der Film läuft in Österreich am 20. November an. Mehr dazu in Nanni Moretti und das Gesetz der Mutter.

Viennale
John Turturro als Firmenchef: Findet nicht in die Codes der italienischen Gesellschaft
Ausbruch aus dem Wolfsrudel
Die Viennale zeigte eine der unglaublichsten wahren Geschichten, die in den letzten Jahren ihren Weg auf die Leinwand fanden. In „The Wolfpack“ werden sechs Brüder porträtiert, die - mitten im New York von heute - isoliert von der Außenwelt aufwuchsen, bis sie eines Tages den Mut fanden, aus dem Gefängnis ihres Vaters auszubrechen. Der Film hat in Österreich noch keinen fixen Starttermin. Mehr dazu in Ausbruch aus dem Wolfsrudel.

Viennale
Verbunden durch ihre Leidenschaft für Filme: Regisseurin Crystal Moselle und die Angulo-Brüder
Ich und du und das Mädchen, das wir kennen
Eine Coming-of-Age-Story, in der eine der Hauptfiguren durch eine Krebserkrankung zum Tode verurteilt ist? Was klingt, als wäre wieder jemand auf einen fahrenden Hype-Zug aufgesprungen, entpuppt sich als skurrile, unsentimentale und coole Tragikomödie mit Sundance-Auszeichnung. „Me and Earl and the Dying Girl“ war einer der ganz großen Publikumsmagneten der diesjährigen Viennale. Der Film läuft in Österreich am 4. Dezember an. Mehr dazu in Ich und du und das Mädchen, das wir kennen.

Viennale
Regisseur Gomez-Tejon hat den Film mit den Newcomern Olivia Cooke, Thomas Mann und RJ Cyler großartig besetzt
Todesschuss von Krems
Im Sommer 2009 wird ein junger Einbrecher in einem Supermarkt bei Krems erschossen - von hinten, von einem Polizisten. Der Tote ist 14 Jahre alt. Das ist der Ausgangspunkt für Stephan Richters beklemmendes Spielfilmdebüt „Einer von uns“. Im Interview wundert sich der Regisseur, dass nach dem dramatischen Vorfall niemand versuchte, den Jugendlichen in der Gegend zuzuhören. Der Film läuft in Österreich am 20. November an. Mehr dazu in „Einer von uns“: Todesschuss von Krems.

Golden Girls Filmproduktion
Andreas Lust als überforderter Polizist
Das älteste It-Girl der Welt
Iris Apfel, 93-jährige Kultfigur der New Yorker Modeszene, ist der Star in Albert Maysles bemerkenswerter Doku „Iris“. Beherzt hat der hochbetagte Filmemacher kurz vor seinem Tod eine ebenso exzentrische wie warmherzige Persönlichkeit porträtiert und damit ein inspirierendes, generationenübergreifendes Zeitdokument geliefert. Der Film hat in Österreich noch keinen fixen Starttermin. Mehr dazu in Das älteste It-Girl der Welt.

Viennale
Mit ihren übergroßen Brillengläsern international bekannt: Iris Apfel
Suche nach dem Schrei des Jahrhunderts
Mit „Realite“ liefert der in Kalifornien lebende Franzose Quentin Dupieux ein ziemlich amüsantes Stück surreales Kino ab: Ein angehender Horrorfilmregisseur auf der Suche nach dem wildesten Schrei der Filmgeschichte ist nur ein Baustein dieses vielschichtigen Vexierspiels. Der Film hat in Österreich noch keinen Starttermin. Mehr dazu in Suche nach dem Schrei des Jahrhunderts.

Viennale
Die Suche nach dem perfekten Schrei: Jason bei Aufnahme 45. Oder schon 57?
Der Krieg geht weiter
Jacques Audiard dürfte sich für „Dheepan“ heuer die Goldene Palme abholen: Dheepan ist ein Ex-Rebell aus Sri Lanka, der unter falscher Identität und mit falscher Familie nach Frankreich einreist. In einer Satellitensiedlung bekommt er eine Stelle als Hausmeister – doch die Gewalt folgt Dheepan auf dem Fuß. Der Film läuft in Österreich am 11. Dezember an. Mehr dazu in Der Krieg geht weiter.

Viennale
Dheepan und seine falsche Tochter lesen Nachrichten aus der alten Heimat
Woody Allen und der Midlife-Crisis-Mord
Der Traum des weißen alten Intellektuellen, wenn es nach dem Output namhafter Schriftsteller und Regisseure geht: Uniprofessor verführt junge Studentin. So oder so ähnlich sieht das aus, von Martin Walser über Philip Roth bis Woody Allen - auch in dessen jüngstem Film „Irrational Man“, einem der ganz großen Publikumsfilme bei der Viennale. Der Film läuft in Österreich am 13. November an. Mehr dazu in Woody-Allen-Film: Der Midlife-Crisis-Mord.

Viennale
Emma Stone als Jill, Joaquin Phoenix als Abe
Surreale Animationen zum Abschluss
Charlie Kaufman meldet sich nach siebenjähriger Regiepause mit „Anomalisa“ zurück: ein Stop-Motion-Film, der nichts für die ganze Familie ist. Neben existenziellen Problemen wird auch die gefühlvollste Sexszene der diesjährigen Viennale gezeigt. Eine unheimliche Geschichte über Menschlichkeit, die gänzlich ohne reale Schauspieler auskommt. Der Film hat in Österreich noch keinen fixen Starttermin. Mehr dazu in „Anomalisa“: Surreale Animationen zum Abschluss.

Paramount Pictures
Portion Menschlichkeit in einer Welt voller Puppen
Simon Hadler, Sonia Neufeld, Alexander Musik, Florian Bock, Gerald Heidegger, Dalibor Manjic, Maya McKechneay (alle ORF.at)